Mel macht´s anders. Sina Seeland. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sina Seeland
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783945163139
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abgeschmackteste aller Klischeebilder zu verwenden. Wer nicht fremdgeht, der ist ja schon fast kein ganzer Kerl mehr. Nein, Monogamie war seit jeher etwas, das in allererster Linie das Verhalten der Frau diktiert hat. Eine Frau ging mit der Hochzeit quasi in den Besitz des Mannes über und wie sie sich verhielt, das sagte auch immer etwas über das Ansehen des Mannes aus. Eine gute Frau ließ sich selbstverständlich nur von ihrem Mann beschlafen. Punkt, aus. Dass eine Frau ein eigenständiges Lustempfinden hat, das sie nicht nur an- und ausknipst, wenn ihr Mann sich bequemt, sie zu beglücken, sondern das auch eigene Wünsche und eigene Phantasien beinhaltet, ist eine relativ junge Erkenntnis.

      Meine Meinung: Die Monogamie ist eine Utopie. Sie ist eine gesellschaftliche Forderung mit einer langen Geschichte, aber sie entspricht nicht der Natur des Menschen. Weder der des Mannes noch der der Frau.

      Und wieso bin ich dann noch nie fremdgegangen, wenn ich so schlau bin? Tja, vielleicht aus Mangel an Gelegenheit? Ich wurde, wie alle braven Mädchen, so erzogen, dass man seine Beziehungen gefälligst nacheinander hat, nicht parallel. Also hielt ich mich daran. Aber eigentlich auch nur, weil ich das mit der Lügerei nicht wollte. Wenn man mit jemandem lebt und man hat eine Vertrauensbasis, dann lügt man sich nicht ins Gesicht. Damit zerstört man mehr, als man je wieder reparieren kann.

      Wenn ich allerdings nicht lügen müsste … wenn das Leben ein Ponyhof wäre und ich meinem Partner sagen könnte »Du, bei der Arbeit, da ist dieser neue Kollege, der ist vielleicht uuuuaaaahhh und ich glaube, der findet mich auch ganz sexy, meinste, ich könnte mit dem mal was trinken gehen weil er hat nämlich gefragt …« und mein Partner würde dann sagen »Klar, mach doch. Ich sehe doch an dem Glitzern in deinen Augen, dass dir das gut tun würde. Aber erzähl mir danach, wie es war …« dann weiß ich nicht, ob ich eine solche Gelegenheit nicht tatsächlich auch ergreifen würde.

      Und weil ich das über mich weiß, sollte ich vermutlich die Letzte sein, die Tom verurteilt. Dass ich das mit der Lügerei beschissen finde, habe ich ihm geschrieben und – Überraschung – das fand er auch immer ziemlich doof. Aber seine Frau hat da wohl ihre Prinzipien. Sie ist nicht so der Typ, der ihm viel Spaß gewünscht hätte, wenn er ihr erzählt hätte dass er eine andere daten will. Sie ist da eher so der traditionelle Typ. Und ich? Was bin ich?

      Ich weiß es nicht. Denn ich habe da durchaus auch noch eine andere Fantasie. Die Fantasie von einem Kerl, der mir nicht alles Gute und einen schönen Abend wünscht, wenn ich das mit dem Arbeitskollegen erzähle, sondern der mich packt und mir in die Augen starrt und mit leiser, ruhiger Stimme sagt: »Mein Baby gehört zu mir.« Haha, nein. Aber der etwas sagt wie: »Dass er dich toll findet, kann ich ja verstehen. Die arme Sau. Aber du gehörst zu mir und ganz sicher fickt dich kein anderer als ich.« Höhlenmensch? Einmal grunzen, die Frau an den Haaren packen und ans Lagerfeuer zerren? Nicht sexy? Doch. Doch sexy. Ich finde es anziehend, wenn ein Mann so seinen Claim abpinkelt. Auf eine Weise, die mein emanzipiertes Selbst zwar mit den Augen rollen lässt, die mir aber trotzdem ein feuchtes Höschen macht. Ich glaube, wenn man es auf die Essenz runterkocht, dann steht und fällt einfach alles damit, ob jemand der oder die Eine ist. Denn wenn man diesen Einen hat, dann teilt man den nicht. Dann geht man kaputt bei dem Gedanken, ein anderer könnte Hand an ihn legen. Aber ok, vielleicht fange ich schon wieder an, in Geschichten und Filmen zu denken. Herrjeh, ich weiß es doch auch nicht. Ich weiß es nicht, weil ich dieses Gefühl noch nie hatte. Verliebt, ja. Jedenfalls dachte ich das. Eine Weile glücklich? Auch das. Aber dieses Gefühl, sich zu verzehren nach jemandem, völlig von innen nach außen gekrempelt zu werden von jemandem, die eigene Welt beginnen und enden zu sehen mit jemandem und vor Lust auf jemanden völlig schwindelig zu sein … nein. Bisher nicht. Vielleicht nie? Vielleicht wartet so etwas nicht auf jeden. Ich wäre bestimmt nicht die Erste, die so jemanden nie trifft in ihrem Leben. Trübsal? Ich? Nie!

      Di. 02.10.12

      Ich habe es getan. Jawohl. Ich habe mich hinter meinem Rechner vorgetraut und habe mich mit einem Mann aus diesem Online-Club getroffen.

      Jules Kommentar: »Ja, bist du denn des Wahnsinns???«

      Ich daraufhin: »Ja entschuldige mal, du bist doch sonst immer die Erste, die mich den Kerlen zum Fraße vorwerfen will. Und wenn ich dann mal von selbst losgehe, ist es auch wieder nicht recht, oder wie?«

      Sie: »Doch, schon. Aber wieso hast du nicht Bescheid gesagt? Ich hätte dich doch covern können.«

      »Covern?«

      »Ja, Mensch. Wenn du zu einem Date mit einem wildfremden Typen gehst, musst du jemandem vorher Bescheid sagen. Der muss wissen, wo du dich mit dem Mann triffst und sollte per Handy immer erreichbar sein.«

      »Falls mein Date ein psychopatischer Frauenmörder ist, oder wie?« Ich wollte witzig klingen, aber irgendwie wurde mir noch im Nachhinein mulmig.

      Jule schlug auch gleich rein in die Kerbe: »Das ist nicht lustig! Weißt du, wie viele echt kranke Leute da draußen rumlaufen?? Außerdem hätten wir verabreden können, dass ich dich um eine gewisse Uhrzeit anrufe. Wenn der Typ eine Niete ist, hättest du so tun können, als wäre ich ein familiärer Notfall und du müsstest dringend weg.«

      Hm … also das klang praktisch. Wieso kannte Jule wieder mal alle Tricks und ich nicht? Ich war einfach losmarschiert. Wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass Nils ein Psycho sein könnte. Der kam schon per Mail so … normal rüber. Ja, normal klingt in diesem Fall wie ein Todesurteil, ich weiß. War es dann ja schließlich auch. Aber von Anfang an:

      Nils hatte mir zwei oder drei nette Mails geschrieben, auf den Fotos sah er auch nett aus und ich dachte, für den Einstieg wäre »nett« ganz nett. Als er kam, saß ich schon da und konnte auch gar nicht anders, als ihn sofort zu erkennen. Er trug die gleichen Klamotten wie auf seinen Profilbildern. Wollte er es mir nur besonders leicht machen oder besaß er nichts anderes? Man weiß es nicht. Jedenfalls kam er motiviert-federnden Schrittes auf mich zu - Jeans, Turnschuhe, kariertes Hemd ganz ungebügelt, braune Locken, blaue Augen - und streckte mir die Hand entgegen. »Hi, du bist bestimmt die Melanie. Hab dich gleich erkannt. Ich bin der Nils.«

      Ich lächelte verhalten. Der Nils? Der Nils, der kann nichts dafür, aber dieser Artikel vor dem Namen beim Vorstellen, der ist für mich ein rotes Tuch. Der Nils. Nicht etwa der damals aus dem Kindergarten oder der in der Parallelklasse auf dem Gymnasium, nicht mein ehemaliger Gitarrenlehrer und auch nicht mein Arbeitskollege mit dem unangenehmen Mundgeruch (wow, zum Glück nicht der Nils!) sondern eben genau der Nils. Der Nils aller Nilse. Ich weiß, ich bin eine Zicke. Aber der Nils geht für mich ebenso wenig wie die Monika oder der Horst oder der Waldemar, Dackel meiner Nachbarin Frau Kleinschmidt. Ich bin auch nicht die Melanie. Ich bin eine Melanie von bestimmt sehr vielen auf dieser Welt, machen wir uns doch nichts vor. Und das sagte ich ihm auch gleich.

      »Hallo, ja, ich bin Melanie. Schön, dass du gekommen bist.«

      Der Nils und ich, wir hatten wirklich einen ganz, ganz putzigen Abend. Wie plauderten bei 2-3 Fassbrausen über Gott und die Welt und den komischen Online-Club und wieso ausgerechnet wir da eigentlich gar nicht hinpassten und dass es ja mit der Partnersuche auch nicht leichter würde mit der Zeit. Der Nils war wirklich … nett. So nett, dass ich nicht mal behaupten kann, der Abend sei langweilig gewesen. Das wäre gemein dem Nils gegenüber. Aber wiedersehen möchte ich den Nils auch nicht. Und ich kann nicht mal genau sagen, wieso. Er war sympathisch, behandelte mich sehr zuvorkommend, war nicht unattraktiv und hatte offensichtlich ein Talent für Smalltalk. Gehöre ich etwa zu diesen Frauen, für die »nett« der kleine Bruder von scheiße ist? Mag ich keine netten Männer? Ich glaube, ich muss mir diese Frage an mich selbst wirklich mal gefallen lassen. Denn Tilo, der war auch nett. Hat er mich deswegen so schnell gelangweilt? Fehlte da der Reibungswiderstand? Ist das nicht auch wieder so ein blödes Klischee, dass Frauen nur auf Typen stehen, die sie schlecht behandeln? Ich will nicht schlecht behandelt werden. Also … nicht so richtig. Nicht schlecht-schlecht. Nicht Frauenhaus-und-Anzeigeschlecht. Aber zu nett ist eben tatsächlich auch