Mel macht´s anders. Sina Seeland. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sina Seeland
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783945163139
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oh je! Ich muss mich erst einmal daran gewöhnen – gegen diese Form von Einsamkeit? Meine Antwort lautet: Man wirft sich ins pralle Leben und sucht sich was zum Vögeln, wenn einem danach ist. Männer können sowas auch. Und auch viele Frauen. Einige meiner Freundinnen konnten das. Bevor sie dann selbstverständlich allesamt ihrem »Mr. Right« begegnet sind und schwanger wurden und heirateten und nun keine anderen Gesprächsthemen mehr haben als die Konsistenz des Windelinhalts ihrer Sprösslinge oder die tausend Vorzüge ihrer wundervollen Ehemänner. Wieso ist denen das alles passiert und mir nicht? Vielleicht, weil meine Freundinnen alle weniger Brontë und Austen gelesen haben, sondern mehr Gala und Bild der Frau? Weil sie sich Strähnchen und schicke Kunststofffingernägel haben machen lassen und ausgegangen sind, während ich meine Nägel lieber bis aufs Nagelbett abkaue und blass und ungesträhnt in meiner Bude hockte und Bücher lese? Ich kann nichts dafür, dass ich gern lese und Plastiknägel scheußlich finde und dass mein Haar nur eine einzige, langweilige Farbe hat. Ok, ich kann was dafür. Aber ich bin eben auch nicht bereit, mich in etwas oder jemanden zu verwandeln, der ich nicht bin (in eine Tussi, zum Beispiel), nur um endlich dem Traumprinzen zu begegnen. Der würde sich dann ja in die Tussi verlieben, die ich eigentlich gar nicht bin, und nicht in mich.

      Ok ok, ja, ich gebe es zu: »Tussi« ist fies und vielleicht bin ich ein wenig neidisch. Ich wollte das auch. Ehemann und Windelinhalt und so. Ich wollte es mit Tilo. Eigentlich. Nur irgendwann wollte ich es nicht mehr. Jedenfalls nicht mehr mit ihm. Und inzwischen weiß ich gar nicht mehr, ob ich es überhaupt noch will. Dieser ganze Familienkram … wird der nicht grandios überbewertet? Davon abgesehen: Wie viel Zeit habe ich noch, um einen Mann kennenzulernen, der bei dem Gedanken, eine Familie zu gründen, nicht schreiend davonläuft, als hätte man ihm mit der beidseitigen Daumenschraubenfolter gedroht? Bis wir uns dann zusammengerauft haben, bin ich fast 40 und dann fange ich mit dem ganzen Mist auch nicht mehr an. Ist doch wahr.

      Nein, Schluss. Ich werde ab sofort viel mehr im Hier und Jetzt leben. Ich bin Single und das ist gut so. Es ist kein Stigma, kein scharlachroter Buchstabe auf der Bluse, kein Mal, das man auf die Stirn gebrannt bekommt und dessen man sich schämen muss. Im Gegenteil. Es bedeutet Freiheit. Es bedeutet, so viele Bücher lesen zu können - und das auch bis weit nach Mitternacht - wie ich will. Es bedeutet, BH und Slip nicht immer zueinander passend aussuchen zu müssen. Es bedeutet mehr Tage in meinen heißgeliebten Chucks und weniger in widerlich unbequemen High Heels. Es bedeutet mausfarbenes Haar ohne erkennbare Frisur und absolut kein Problem damit. Es bedeutet: was geschieht, ist meine Entscheidung und meine allein. Es bedeutet: sich vor niemandem und für gar nichts rechtfertigen und entschuldigen zu müssen. Es bedeutet: eine unendliche Vielzahl von Möglichkeiten. Jawohl. Ich werde gern und mit Begeisterung Single sein. Gleich morgen fange ich damit an.

      Mi. 29.08.12

      Hatte ich nicht erwähnt, dass zu viel Selbstbefriedigung und zu viele Sextoys in der Schublade einsam machen? Nun ja …

      Frei nach dem Motto »kein Alkohol ist auch keine Lösung« habe ich den Beginn meines Single-Daseins dennoch ganz für mich allein gefeiert. Mit einem Sexshop-Besuch. Nein, ich war nicht ganz allein dort, das wäre mir dann noch etwas zu armselig vorgekommen. Es war so ein klassisches Mädelsabend-Ding. Angeheitert durch diverse Proseccöchen verkündete Jule (beste Freundin und auch einzige, die bisher zwar nicht von Strähnchen und Plastiknägeln, dafür aber von Ehemann und Kindern verschont geblieben ist), dass sie mir jetzt den besten Männerersatz der Welt beschaffen würde. Einen, der immer genau dann will, wann man selbst auch Lust hat, der immer sofort die richtigen Punkte findet und einen, der sich hinterher nicht grunzend und schnarchend auf drei Vierteln des Bettes breit macht. Naja, nicht dass ich so einen nicht schon hätte. Ich bin ja eine moderne, aufgeschlossene Frau von heute, also habe ich auch einen Dildo. Und einen Vibrator. Einen, der aussieht wie eine Raupe. Den hat Tilo mir mal geschenkt und fand das irre frivol. Ich weiß bis heute nicht, was ich davon halten soll, es mir mit einer Insektenlarve zu besorgen.

      Wir also rein in den Sexshop. Den großen mit der vielen Neonbeleuchtung und den Schaufensterpuppen mit den kunstledernen Domina-Outfits. Soll das eigentlich cool wirken? Oder stylish? Ich finde es immer irgendwie … ja, sagen wir es doch mit gerümpfter Nase: billig, wie diese Läden daherkommen. Da war noch einer, der hatte so einen 70er-Jahre-Vorhang aus bunten Plastikbändern im Eingang hängen. Der war bestimmt auch aus den Siebzigern. Der Vorhang. Und der Laden. Bäh. In den sind wir also nicht, der war uns zu schmuddelig. Wir sind in den großen, steril wirkenden mit dem Neonlicht. Man, sieht man da im Spiegel immer scheiße aus. Kreidebleich, übernächtigt. Ob einen so ein frustrierender Anblick im Spiegel dazu bringt, sich Sexspielzeug zu kaufen? Keine Ahnung. Man weiß es nicht. Ich wäre ja wieder gegangen, aber Jule wollte noch eine Weile herumkichern. Wir also in die Ecke mit den Porno-DVDs. Da, wo die Grenze zwischen Faszination und Ekel am dünnsten ist. Jedenfalls, wenn man sich mal eingehender die Bilder auf den Covern anschaut. Ich weiß eigentlich auch so, dass es in einer Sexshop-Pornoecke keinen Geschmack gibt, der nicht bedient wird. Sowas weiß man ja. Aber sich davon mit eigenen Augen zu überzeugen, das ist nochmal was anderes. Nichts für schwache Mägen. Kein Exkrement, keine Körperausscheidung, die nicht der Befriedigung des sexuellen Spieltriebs dienen kann. Und ich meine keine. Jule kicherte immer noch, aber mir wurde langsam elend und ich sah mich lieber anderweitig um. Im hinteren Teil des Raumes führte eine Treppe ins Untergeschoss. Ah, das Verlies, ging es mir durch den Kopf. Da ist bestimmt die »Schlag mich«-Abteilung untergebracht. Ich stieg hinunter und … richtig. Schwarze Kleidung auf Stangen vor schwarz bemalten Wänden. Lack, Latex und Leder, den ganzen Körper bedecken wollend oder aber nur das Notdürftigste verbergend. Mein Blick fiel auf eine Puppe mit einer Gasmaske, daneben eine weitere mit Ballknebel im Mund. Nicht meine Baustelle. Ich bin klaustrophobisch und habe einen sehr empfindlichen Würgreflex. Und wieso muss das eigentlich immer in den Keller? Hat die Branche ein Imageproblem? Ist das so schmutzig, dass es weggesperrt gehört? Ich weiß es nicht. Aber es interessiert mich auch nicht besonders. Ich habe de Sade auch gelesen – ich lese ja viel – und ja, es ist nicht so, als hätte mich das alles gar nicht angesprochen. Ich finde vor allem die Psychologie dahinter spannend. Irgendwie könnte ich mir schon vorstellen, solche Dinge zu probieren … Aber kein noch so dominanter Dominanter würde mich dazu kriegen, mich in so einen Latexfummel mit Strippen- und Schnallengedöns zu zwängen und mich zu kostümieren wie auf einem Science-Fiction-Fantreffen. Oder diese Nummer mit dem Hundehalsband und der Leine. Bah. Inakzeptabel. Aber da waren doch auch … ich ging noch ein paar Stufen hinab. Da hinten, an der Wand. Ich trat noch näher heran. Dort hingen und lagen diverse kleine und größere Werkzeuge, die ich doch irgendwie spannend fand. Hand- und Fußfesseln aus gepolstertem Leder, versehen mit Ösen und Karabinerhaken aus Metall. Ich fuhr mit den Fingern über das Material - weich und doch fest - und atmete den Geruch ein. Ich stellte mir vor, wie jemand mit energisch zusammengepressten Lippen und Feuer in den Augen meine Hände packte und hinter meinem Rücken fixierte. Ich ging weiter an den Regalen entlang. Dann würde dieser Jemand mir vielleicht die Augen verbinden und ich könnte nichts weiter tun als mit klopfendem Herzen darauf warten, was als nächstes geschah. Und dann … ich blieb stehen und betrachtete einige … ja, was genau war das eigentlich? Ich nahm eines in die Hand. Ein Griff aus dunklem Holz schmiegte sich angenehm in meine Handfläche. Daran befestigt eine Art Paddel. Auf der einen Seite mit Leder bezogen, auf der anderen mit einem samtenen Stoff. »Knie dich hin«, sagt der Jemand zu mir in meiner Vorstellung. Dann schiebt er mir das Höschen vom Po, sodass ich ihm mein nacktes Hinterteil präsentiere. Im einen Moment hocke ich dort, nackt und bloß und ausgeliefert und im nächsten Moment spüre ich dann dieses Paddel auf mir. Erst die samtene Seite, die meine Haut liebkost. Dann ein Zischen, das die Luft durchschneidet und im nächsten Moment die lederne Seite, die mit einem lauten Klatschen meine Pobacke zum Glühen bringt. Mein kurzer Aufschrei. Dann wieder das Streicheln des Samtes. Dann ein erneuter Schlag. So lange, bis mein Hinterteil in Flammen zu stehen scheint … Ich blickte auf und blinzelte meinen Tagtraum fort. Warum nochmal war ich hergekommen? Ach ja. Spielzeug.

      Ich legte das Lederpaddel zurück an seinen Platz und stieg die Stufen wieder hinauf. An der Wand direkt gegenüber der Treppe, da hingen sie. Reihe um Reihe von