Prolog
Die junge Frau bemühte sich nach Kräften. Sie kniete nackt zwischen den Beinen ihres Partners, der lang ausgestreckt auf dem Bett lag und nicht sehr glücklich aussah. Er starrte mit zusammengepressten Zähnen an die Decke und sein ganzer Körper schien seltsam verkrampft.
»Jetzt, ja, so, ja, weiter … gut so, Mel!«, stieß er ruckartig hervor und Mel war einmal mehr froh darum, dass ihr langes, dunkles Haar ihr wie ein Schleier vor das Gesicht fiel, während sie blies. So sah er wenigstens nicht, dass sie mit den Augen rollte. Ihr Nacken tat ihr weh, die Muskeln in ihren Wangen waren bereits verkrampft und wenn sie ganz ehrlich war, dann hatte sie schon vor einigen Minuten die Lust an diesem Blowjob komplett verloren. Sie kam sich unzulänglich vor, denn an der Art, wie die Erektion ihres Freundes in ihrem Mund immer wieder in sich zusammenfiel, war unschwer zu erkennen, dass sie irgendetwas wohl nicht richtig machte.
Noch schlimmer war, dass sie dieses Gefühl ständig hatte. Denn der Sex mit Tilo war … mies. Man konnte es einfach nicht anders sagen und auch nicht netter umschreiben. Während sie sich weiter abmühte, saugte, lutschte, umspielte, massierte und knetete und mit allem ihr gegebenen Ehrgeiz zum Abschluss kommen wollte, wanderten ihre Gedanken. Es war doch am Anfang nicht so gewesen. Nun ja, in der ersten Phase der Verliebtheit wachsen einem immer Flügel, auch im Bett … aber jetzt? Jetzt, nach sechs Jahren, war sie an dem Punkt angekommen, den sie nur zu gut kannte. Die Lust verließ sie. Und diese Erkenntnis frustrierte sie nicht nur, sie machte ihr regelrecht Angst. Was lief da falsch bei ihr? Was für ein Problem hatte sie, um Himmels Willen? Tilo war ein netter Mann. Ein treuer Mann. Ein Mann, mit dem sie lachen konnte, dem sie vertraute und der sie liebte. Er war nie anders als freundlich und liebevoll zu ihr gewesen. Was also war los mit ihr? Am Anfang hatte ihr der Sex doch gefallen. Naja … soweit ihr Sex eben gefiel. War sie frisch verliebt, ließ sie sich einfach vom hormonellen Überschwang leiten und hatte so schon sehr viele sehr schöne Momente erlebt. Mit Tilo, und auch in vorangegangenen Beziehungen. Melanie war 34 und hatte genug Erfahrungen gesammelt, um nunmehr der Meinung zu sein, dass Sex als solcher vollkommen überbewertet wurde. Jawohl. Klar, Sex war … nett. Aber nachdem der erste Gefühlsüberschwang vorüber war, war er für sie in jeder ihrer Beziehungen und auch jetzt mit Tilo zu einer Art Pflichtübung geworden. Etwas, zu dem sie sich immer öfter überwinden musste. Ein schrecklicher Gedanke, aber genauso fühlte es sich an. Von selbst hatte sie kaum noch Lust und wenn, dann endete es meistens … so.
»Ja. Hm. Gut so. Weiter. Oh. Mel«, murmelte Tilo über ihr noch immer. Ihr Nacken schmerzte inzwischen so sehr, dass sie beschloss, dem ganzen Schauspiel endlich ein Ende zu bereiten. Sie nahm die Hand zu Hilfe und packte zu. Während ihre Lippen noch die Eichel und den Eichelkranz umspielten und daran saugten, fuhr sie mit der Hand in festen Bewegungen den Schaft auf und ab. Auf und ab. Sie wich mit dem Mund bis an die Spitze zurück und schob die Hand bis fast ganz nach oben, immer über die empfindlichste Stelle. Das war geschummelt. Hand ist nicht gleich Mund. Aber dies war nicht der Moment für übertriebene Blowjobethik. Ihr tat der Rücken weh und so entschied sie sich kurzfristig für die ergebnisorientierte Variante. Was soll’s. Wahrscheinlich hatte sie es einfach nicht drauf. Vielleicht hätte sie es eher drauf, wenn sie es selbst auch nur ansatzweise aufregend gefunden hätte, was sie da tat. Noch zweimal, dreimal bewegte sie die Hand über Tilos Schaft, dann ergoss er sich endlich mit einem Seufzer über ihre Finger. Sie richtete sich vorsichtig auf, verzog vor Schmerz das Gesicht ein wenig, schob sich die Haare aus dem Gesicht und versuchte ein vorsichtiges Lächeln, als sie sagte:
»Tilo … wir müssen reden.«
Mo. 27.08.12
Also gut. Es muss sich etwas ändern.
Ach ja, ich vergaß: es hat sich ja schon etwas geändert. Mit Tilo ist Schluss. Nach sechs Jahren. Ich fühle mich … keine Ahnung. Ich glaube, unfähig trifft es am ehesten. Es gab kein großes Drama, er hat mich nicht betrogen (soviel ich weiß), ich habe keine Szene gemacht. Wir haben uns einfach angesehen und wussten, dass es das jetzt war. Ok, vielleicht hat er doch ein ganz klein wenig trauriger ausgesehen als ich. Aber als ich mein Köfferchen gepackt habe und gegangen bin, hat er mich nicht aufgehalten und ich denke, das spricht doch irgendwie für sich. Unfähig, ja. Ich bin jetzt 34 Jahre alt und irgendwie dachte ich, Tilo wäre der Mann für die »große Nummer«. Naja, Haus bauen und Familie gründen halt. Wenn ich mit 34 nicht mal langsam zu Potte komme damit, wann bitteschön dann?? Andererseits kann das aber nicht der einzige Grund sein, um mit einem Mann zusammen zu bleiben, oder? Und da war eben immer diese kleine fiese Stimme, die mir ins Ohr raunte: »Er ist es nicht, Mel … du merkst es doch auch. Er ist toll, schon gut. Er ist lieb und nett und treu und er liebt Dich … aber er ist es einfach nicht.«
Nein, er war es nicht. Und darum ist es jetzt auch vorbei. Und ich bin die Unfähige. Ich habe überhöhte Ansprüche. Ich will, dass mein Partner auch der Stimme in meinem Ohr gefällt. Ich will, dass sie Ruhe gibt. Dass sie sich in ihren Ohrensessel verzieht und Socken strickt und zufrieden ihren Tee schlürft. Oder so etwas in der Art. Jedenfalls soll sie mich nicht mehr nerven. Aber bisher habe ich es nicht geschafft, sie dauerhaft zum Schweigen zu bringen. Immer hatte sie etwas zu meckern. Immer hat sie mich daran erinnert, dass irgendetwas … fehlt. Ich lernte einen Mann kennen, war begeistert, hatte leuchtende Augen … und sie verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. Ich kann es ihr einfach nicht recht machen, der Stimme in meinem Ohr. Ich frage mich übrigens, woher die ihr Männerbild hat. Kann es sein, dass sie eines der hundert Bücher, die ich gelesen habe oder einen der hundert Filme, die ich gesehen habe, irgendwie zu ernst genommen hat? Seitdem glaubt sie nämlich, dass Liebe einen umhauen, einen innerlich zum Brennen bringen muss, einen Dinge versprechen und schwören lässt, für die man sich zuvor für verrückt erklärt hätte. Ich selbst glaube ja, dass es da einen traurigen, aber wahren Unterschied gibt zwischen Literatur und Realität. Aber die Stimme in meinem Ohr hört nicht auf, Jane Austen zu zitieren und die Brontë-Schwestern und in unpassenden Momenten ganze Passagen aus Julia-Roberts-Filmen aufzusagen und sie besteht darauf, dass es so etwas auch für mich geben muss. Für weniger ist sie nicht bereit, ihr OK zu geben.
Und darum bin ich jetzt nicht mehr mit Tilo zusammen. Darum habe ich mein Köfferchen genommen und wieder von vorn angefangen. Neue Wohnung, neue Möbel, neues Leben. Das Gute ist: Ich kann es mir leisten. Wenigstens im Job läuft es gut. Die Agentur mag mich, die Auftragslage stimmt. Ich schreibe Werbetexte und kann damit Leute von allem möglichen Unsinn überzeugen. Aber mich selbst und vor allem die Stimme in meinem Ohr nicht. Der kann ich keinen Kerl anpreisen, als sei er ein Hauptgewinn. Sie merkt sofort, wenn es in Wirklichkeit wieder nur ein Trostpreis ist. Nun ja. Im Job jedenfalls ist alles ok. Das ist nicht alles, aber es ist viel wert. Ich bin unabhängig. Ich brauche keinen Mann. Jedenfalls nicht so. Nicht, um mich zu ernähren oder um mein Leben zu finanzieren oder mich auszuhalten oder dergleichen. Das kann ich alles selbst und das fühlt sich ziemlich gut an. Wenn ich überhaupt einen Mann brauche, dann aus anderen Gründen.
Was denn? Eine Frau hat eben Bedürfnisse! Und die lassen sich nun einmal nicht alle im Alleingang stillen. Zehn gesunde Finger? Ja, sicher. Einen Nachttischschrank voller netter kleiner Spielsachen? Ja, auch das. Aber