Ganz ehrlich? Ich schritt skeptisch das Angebot ab. Je »naturgetreuer« es sein soll, desto mehr stoßen mich diese Sachen ab. Riesenschwänze aus fleischfarbenem, wabbeligem Gummimaterial, das einen unverkennbaren Geruch nach chemischen Lösungsmitteln ausströmt. Igitt. Und diese Verpackungen mit den Fotos von sich willig räkelnden naturgeilen Weibsbildern mit grotesken Körbchengrößen. Und die Namen dieser Spielzeuge. »Horny Hugo«, »Big Jimbo« oder »Wet Dream Deluxe«. Entweder, das Zeug verseucht einem bei der Erstbenutzung den Blutkreislauf mit Giftstoffen oder aber es fällt einem schon vorher zwischen den Fingern auseinander, noch während man versucht, die Batterie reinzufummeln. Das alles ist so abturnend und unsexy, dass ich … aber Moment mal, was war denn das? In einer verschließbaren Vitrine in der Nähe der Kasse präsentierte man offensichtlich die hochpreisigeren Exemplare. Die, die zu klauen sich lohnen würde. In mehr als einer Hinsicht, wie ich bei näherer Betrachtung vermutete. Einige dieser sehr schicken, sehr schnörkellos durchdesignten Teile sahen aus wie Wohnaccessoires. Man könnte sie zu Hause auf der Anrichte platzieren und jeder besuchenden Schwiegermutter mit unbewegter Miene erklären, es handle sich um ein Designobjekt, das man in der letzten Ausgabe von »Schöner Wohnen« entdeckt hätte und sofort haben musste. Skandinavisches Minimaldesign, ist ja total angesagt momentan. Und dann, wenn die Schwiegermutter fort war, nähme man das Schätzchen mit ins Boudoir und führte es seiner wahren Bestimmung zu …
So eines wollte ich mir mal genauer anschauen. Der Typ hinter dem Kassentresen sah schmierig aus, hatte einen Nasenring und schlecht gemachte Tattoos. Nicht, dass wir uns hier falsch verstehen, ich mag Tattoos und Piercings. Gut gemacht kann beides durchaus dazu beitragen, einen attraktiven Körper noch attraktiver wirken zu lassen. Wenn es das war, was der Kerl an der Kasse beabsichtigt hatte, muss ich leider sagen: schief gelaufen. Ist halt immer alles auch eine Typfrage. Egal. Ich bat ihn jedenfalls, mir eines der skandinavischen Designobjekte aus der Vitrine zu holen. Er kam meiner Bitte nach und hinterließ dabei fettig-feuchte Fingerabdrücke auf dem Glas.
»Gute Wahl, schöne Dame«, nuschelte er, während er einen schlichten, geschwungenen Stab in meine Hände legte. »Wir importieren diese Schätzchen direkt aus den Staaten. So was Feines gibt es bei uns gar nicht. Die sehen nicht nur schick aus, die haben auch mächtig Power. Hier.« Und damit drückte er am Ende des Stabes einen fast unsichtbar angebrachten Knopf. Der Stab begann kaum hörbar zu brummen, dafür aber deutlich merkbar zu vibrieren. Woah! Ich sah den Mann an der Kasse verblüfft an. »Tjaha«, lachte der und ließ dabei eine Reihe gelblicher Zähne sehen, »der geht ab wie Schmidts Katze, das kann ich dir versichern. Hehe.«
Ich war beeindruckt und schielte nach dem Preisschild. Von hinten trat die bereits im Pornodschungel verloren geglaubte Jule an mich heran und spähte mir über die Schulter. »Uuui, sehr nett. Zeig mal.« Der Kassentyp erzählte Jule etwas vom Mercedes unter den G-Punkt-Stimulatoren, während ich schon in meinem Portemonnaie das Geld zusammenkratzte. »Haste gesehen, was der Mercedes kostet!?«, zischte Jule mir zu und ich zischte zurück: »Lass mich, ich will jetzt mal dekadent sein«, und fragte den Kassentypen, ob er das Modell noch einmal originalverpackt da hatte. Ohne dass er bereits mit seinen Patschehänden dran gefummelt hatte, fügte ich im Geiste mit einem Gruseln hinzu. Ja, ich habe eine zuweilen sehr niedrig angesetzte Ekelgrenze.
Fazit meines Besuchs im Sexshop: Ich mag die immer noch nicht. Die allermeisten wirken schmuddelig und billig, ebenso wie 95% der dort angebotenen Ware. Aber für die restlichen 5%, oder genauer für EIN ganz bestimmtes Exemplar dieser 5%, war ich dem schlecht Tätowierten wirklich, wirklich dankbar. Seine Turbovibration setzt bei der kleinsten Berührung alles in mir in Schwingung und es fühlt sich aufregend und intensiv an, wenn ich es über meine Haut führe, über meine Nippel, zwischen meine Schenkel. Es kann und will immer, wenn ich will, es will »danach« nicht kuscheln oder schnarchend einschlafen, es passt mühelos mit mir in meine kleine Badewanne und es hat eine sowas von eingebaute Orgasmusgarantie, dass mir jedes Mal die Ohren klingeln.
Mo. 03.09.12
Ich weiß nicht, ob ich das wirklich für die Nachwelt festhalten sollte, aber ich habe jetzt auch ein Online-Profil. Ein Alter Ego aus Bits und Bytes. Eine virtuelle Identität. Ich zögere deswegen, das hier so offen niederzuschreiben, weil ich eigentlich immer der Meinung war, Online-Partnersuche ist was für karohemdentragende Nerds, Typen, die mit 40 noch bei Mutti wohnen und sonstwelche übriggebliebenen Bedauernswerten. Für alle, die es eben nicht gebacken kriegen, im realen Leben jemanden kennenzulernen.
Schon gut, mir ist bewusst, dass das ein blödes Vorurteil ist, dem ich keine selbst gemachten Erfahrungen entgegensetzen kann. Bis jetzt nicht. Denn gestern habe ich mir auf einer großen deutschen Erotikplattform ein Profil zurechtgebastelt. Ich hätte auch »Partnersuche Online« oder »Akademiker unter sich« wählen können, aber nachdem ich mich da umgesehen hatte, stellte ich fest, dass ich mich so im Moment nicht sehe. Ich suche ja gar nicht. Keine feste Beziehung zumindest. Zu dem Entschluss bin ich wenigstens gekommen. Ich will einfach für den Moment gern Single sein, ein paar Möglichkeiten kennenlernen und mich umsehen, bevor ich wieder in so eine ernste Sache mit Erwartungen und Kompromissen schliddere. Ich bin also nicht auf Partnersuche und auf pseudo-elitäre Vereine, wo man Menschen nach dem Bildungsstand aussortiert, steh ich sowieso schon mal gar nicht. Also keine golfspielenden, kulturinteressierten Rechtsanwälte mit blendend weißen Jacketkronen für mich. Stattdessen habe ich mich auf einer Seite angemeldet, wo es primär um Sexkontakte geht.«Sinnliche Suche«. Ha. ICH. Ich meine, mit 34 bin ich ganz sicher kein unbeschriebenes Blatt mehr. Ich weiß, wie es geht. Denke ich. Dachte ich. Bevor ich angefangen habe, mich auf dieser Seite mal genauer umzuschauen. Seitdem hatte ich das eine oder andere Aha-Erlebnis. Gut, ok, von einigen Dingen hätte ich besser nie erfahren. Es ist schwer, gewisse Bilder wieder aus dem Kopf zu bekommen. Aber andere Dinge … fand ich zumindest interessant genug, um sie meinem Profil als Möglichkeit hinzuzufügen. Ich bin jetzt also die »Waldfee79« und ich möchte meinen Horizont erweitern und suche dafür nette Begegnungen auf freundschaftlicher Basis, vielleicht auch mehr. Blablabla. Wie man das eben so schreibt. Viele Worte und erst mal nichts ausgesagt. Reichte aber vollkommen aus, um mein virtuelles Postfach innerhalb kürzester Zeit überquellen zu lassen. »Sie haben 45 neue Benachrichtigungen.« Hoppla. Ok, die ersten vier waren vom Administrator und hießen mich erst willkommen und wiesen mich dann – mehrfach - darauf hin, dass ich mit einem Premium-Profil ja noch viel mehr Möglichkeiten hätte, mit anderen Usern in Kontakt zu treten. Jaja, vielleicht später. Für den Moment lief es auch so ganz gut. Einundvierzig geöffnete Mails später war ich mir da schon nicht mehr ganz so sicher. Siebenunddreißig dieser Kontaktaufnahmen waren schlicht und einfach unbrauchbar. Geistlose Ein- oder Zweizeiler, zehn Rechtschreibfehler in dem Satz »Hi, wie geht es Dir?«, standardisierte Anfragen ohne Anrede oder Gruß, ungefragt zugeschickte Bilder männlicher Geschlechtsteile, Kontaktwünsche von »Honigbärchen43« mit Bauchansatz und Halbglatze und von »HengstsuchtStute«, der sich in Shorts, Tennissocken und Klettverschlusssandalen irgendwo am Strand von Mallorca ablichten ließ und das Bild mit der Unterschrift »meinereiner« versah.
Ja, vielleicht bin ich ein Snob. Vielleicht fühle ich mich gewissen Menschen intellektuell auf eine Weise überlegen, die ein näheres Kennenlernen von vornherein ausschließt. Ich könnte sagen, das täte mir leid. Tut es aber nicht. Was soll ich mit einer Mail, die aus den beiden Worten »echt nice« besteht? Was soll das sein? Ein deutscher Satz? Ein englischer Satz? Überhaupt ein Satz? Subjekt, Prädikat, Objekt? Fehlanzeige. Erwarten Leute, die so etwas schreiben, darauf eine Antwort? Und wenn ja, was für eine?? You are aber auch nicht schlecht? Fragen über Fragen … Aber hey, immerhin habe ich vier Mails übrig behalten. Das sind vier Männer, deren Profil zumindest nicht ganz und gar abschreckend auf mich wirkte und denen ich sogar zurückschrieb. Einige Mails später stellte sich heraus, dass die Bilder von Thorsten aus Würzburg zehn Jahre alt waren und dass das Alter es nicht unbedingt gut gemeint hatte mit ihm, dass Michael aus Remscheid nur dann Single war, wenn man seine Ehefrau außer Acht ließ (was er regelmäßig tat) und dass Jürgen aus Mühlhausen eigentlich lieber Susanne genannt werden wollte.
Und dann war da noch