Vorhang zu!. André Storm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: André Storm
Издательство: Bookwire
Серия: Ben Pruss
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954415298
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Die kurze Ablenkung durch das Detektiv-Thema schien mit einem Schlag vorbei zu sein.

      »Oh Mann, wie scheiße. Warum denn?«

      »Na, es war ja schon ’ne ganze Zeit nicht mehr so toll zwischen uns. Hab das nur keinem erzählt. Wahrscheinlich, weil ich das selbst nicht so richtig geglaubt hab.« Er trank den letzten Schluck aus der Flasche und stellte sie zur ersten auf den Boden. Es gab ein leises Klimpern, als die Flaschen aneinanderstießen. Ansonsten herrschte Stille. »Sie hat sich nur noch beklagt, dass ich angeblich nichts auf die Reihe kriege. Ist ja auch irgendwie so. Die kapiert nicht, dass ich keinen Bock habe, in irgend so einer Firma vor mich hinzuvegetieren und Arbeit zu erledigen, die mir vorgesetzt wird.« Er faltete die Hände vor dem Bauch, strich sich dann durchs Haar, um sie danach erneut zu falten. So als wüsste er nicht, weil keine Bierflasche mehr zum Festhalten da war, wohin mit seinen Händen. Er blickte auf den Boden.

      Wow, dachte Ben. Das waren Töne von seinem Freund, die man so gar nicht von ihm kannte. Gewöhnlich hielt er sich nämlich, wie er gerne und oft betonte, für den »geilsten Typen unter der Sonne«. Heute offensichtlich nicht. Ben sagte: »Du machst doch viel selbstständig, oder läuft das nicht?«

      »Mal so, mal so. Kennst das ja. Hier und da als freier Mitarbeiter in der Programmierung und ab und zu direkt für ’nen Kunden. Das Problem ist, dass manche Monate ganz gut aussehen, und in anderen gar nichts reinkommt.«

      »Ja, das kenn ich.«

      »Und sie will ja unbedingt ein Kind haben, oder noch besser – Kinder! Und das ist momentan einfach nicht möglich. Die Kohle kann ich dafür nicht ranbringen. Jedenfalls gab es deswegen ständig Ärger, und dann hab ich heute Morgen noch ein Jobangebot von ihrem Vater ausgeschlagen. Da ist sie ausgerastet. Aber bin ich bescheuert? Ich arbeite doch nicht bei ihrem Alten in der Firma. Papas Schoßhündchen oder was? … Nee!« Kai wurde immer lauter, doch das »Nee!« hauchte er mehr, als dass er es sprach. Er stand auf und ging in Richtung Küche. Im Vorbeigehen klopfte er Ben auf die Schulter. »Danke, Alter, dass ich bei dir wohnen kann!«

      Wohnen? Ben fand, dass es einen gewissen Unterschied zwischen »Kann ich bei dir pennen?« und »Danke, dass ich bei dir wohnen kann« gab, doch das Thema wollte er erst mal nicht anschneiden. »Ist doch klar, Kollege«, sagte er stattdessen und versuchte, aufmunternd zu lächeln.

      An der Küchentür drehte Kai sich noch einmal um. »Wirklich kein Bier?«

      »Nein, danke. Ich muss heute Abend einen klaren Kopf haben … Ach ja, und du solltest auch nichts mehr trinken, ich wollte dich mitnehmen.«

      »Mich?« Ein Klappern aus der Küche, ein Zischen, dann trat er zurück ins Wohnzimmer. In der Hand eine geöffnete Flasche Bier, in seiner anderen ein Glas Bockwürstchen.

      »Ja. Der Typ, dieser Pedro Möller, hat gesagt, ich kann gerne eine Begleitung mitbringen«, sagte Ben mit einem motivierenden Lächeln.

      »Der meint bestimmt ein Mädel, Alter.« Kai wirkte weder überzeugt noch sonderlich begeistert.

      »Ach, ist doch vollkommen egal. Und wen sollte ich mitnehmen? Der hat dich außerdem schon mal gesehen. Der wird denken, dass ich gleich meinen Assistenten mitbringe und wir gemeinsam die Lage checken. Kann doch nicht schaden. Und ’ne gute Show und was Leckeres zu Essen gibt’s noch dazu. Na?« Ben lächelte noch fetter und hielt einen Daumen hoch.

      Es knackte, und ein penetranter Wurstwasserduft machte sich im Raum breit.

      »Ja, äh, dann komm ich mit. Klar doch! Nur behandle mich bloß nicht wie deinen Assi!« Kai schien Bens Begeisterung nicht zu teilen.

      »Top«, sagte Ben. »Zieh dir was anderes an, dann können wir los!«

       KAPITEL 2

      Das Kapitel, in dem die Show beginnt und endet, und danach erst die richtige Show abgeht.

      Die Bersonstraße in der nördlichen Dortmunder Innenstadt konnte nicht als Aushängeschild bezeichnet werden. Fünf- und sechsstöckige Häuser säumten die Seiten der Straße und wirkten, bis auf wenige Ausnahmen, grau und schäbig. In den Erdgeschossen reihten sich die verschiedensten Geschäfte aneinander. Ein gewissenhafter Beobachter konnte auf den 380 Metern drei Dönerbuden, zwei Italiener, zwei Chinaimbisse und eine Pommesbude ausmachen. Des Weiteren residierten hier noch ein Friseur, ein Elektrofachmarkt, mehrere Billigmodeläden und ein Geschäft für Druckerpatronen. Menschen, die in der Schubertstraße wohnten, brauchten praktisch nie die Straße zu verlassen. Selbst Kultur war hier vertreten. Neben einem Programmkino gab es ein Striplokal und das Zack-Varieté. Dieser Bau war deutlich flacher als die anderen und dehnte sich über die doppelte Grundstücksbreite nach hinten aus. Er hatte den Eingang für die Künstler in der parallel gelegenen Jakobistraße. Dort lag auch der unbewachte Parkplatz, den Ben verbotenerweise benutzte, wenn er die Innenstadt besuchte. Es gab zwar ein Schild Parkplatz nur für Mitarbeiter des Zack-Varietés – unberechtigt parkende Fahrzeuge werden kostenpflichtig abgeschleppt, aber diese Warnung wurde niemals wahrgemacht. Es gab einfach mehr Parkplätze als benötigt für die Mitarbeiter, und das Geheimnis um die widerrechtliche Parkmöglichkeit wurde von den Eingeweihten als Geheimtipp behandelt. Ben wusste es von seinem Kumpel Dennis und hatte es noch keinem anderen verraten. Heute wollte er eine Ausnahme machen. Er hatte das Gefühl, sein Freund Kai könne eine Aufmunterung gebrauchen.

      Langsam fuhr er seinen klapprigen, rostroten 1995er Ford Fiesta Magic die Auffahrt zum Parkplatz hoch und sagte mit unverkennbarer Freude in der Stimme: »Das hier ist ein Parkplatz, auf dem du immer parken kannst! Den überwacht keiner. Ich parke hier jedes Mal, wenn ich einkaufen gehe.« Er streckte in einer präsentierenden Geste die Hand aus und blickte seinen Freund verschwörerisch an.

      »Weiß ich. Weiß jeder!«, sagte Kai, der seit seinem vierten Bier recht kurz angebunden war und grimmig aus der Frontscheibe schaute. Er hatte seine fünfte Flasche Bier einsatzbereit zwischen die Beine geklemmt.

      Ben wollte protestieren und holte tief Luft für einen verbalen Gegenschlag, besann sich aber eines Besseren und hielt den Mund. Er stellte sein Auto neben die C-Klasse von Pedro Möller. Ben wusste, dass es dessen Auto war, denn er hatte den Varietéchef durch die Vorhänge hindurch beobachtet, als dieser sein Büro/Probenraum verlassen hatte. Sorgen bereitete Ben, dass Kai immer besoffener wurde. Im Moment war er damit beschäftigt, aus dem Fußraum des Fiesta sein sechstes Bier zu fischen und es mit den Worten »Für später. Blöde Weiber!« in seine hintere Hosentasche zu stopfen.

      Sie umrundeten das Gebäude über einen schmalen Kiespfad, vorbei an einer verrosteten Tür, die mit Künstlereingang beschriftet war, und einer fensterlosen, langen Wand, hinter der der Vorführsaal lag.

      Bei Tage war das Zack keine Augenweide und reihte sich ebenso trostlos wie die übrigen Gebäude in die Straße ein. Es wirkte, als wäre es schon vor langer Zeit »in die Jahre« gekommen. Die Schrift auf dem roten Vordach verkündete in goldenen Lettern Zack Varieté-Theater. Hinter einer Glasfront, in der sich mittig der Eingang befand, prangten Bilder und Plakate der aktuellen Produktion mit dem Namen Back to the Roots neben Schwarz-Weiß-Fotografien von Künstlern aus Produktionen vergangener Tage. Auf einem Flachbildschirm in Augenhöhe lief in Endlosschleife ein Film mit den Highlights der Show. Seinen Glanz versprühte das Gebäude erst in der Dunkelheit, sobald die indirekte Beleuchtung die roten Wände in ein zauberhaftes Licht tauchte. Dann leuchteten die anthrazitfarbenen Steinstufen, die unter das Vordach führten, zart golden. Aus versteckten Lautsprechern ertönte gedämpfte Musik, und zwei Mitarbeiter in roter Uniform erwarteten die Gäste an beiden Seiten der geöffneten Eingangstür.

      Ben sah auf die Uhr. Zehn vor sieben. Sie hatten noch über eine Stunde Zeit, bis die Show begann, und Ben hoffte, sich vorher ein wenig umsehen zu können. Vielleicht ergab sich auch die Möglichkeit, noch einmal mit Pedro Möller zu sprechen und seine Schlüssel zu erhalten. Kai parkte er am besten so lange an der Bar.

      Bis jetzt hatten sich nur wenige Leute im Foyer eingefunden, doch in einer halben Stunde würde es hier nur so von Menschen wimmeln. Ben marschierte auf direktem Weg zum Ticketschalter, Kai schlurfte