Vorhang zu!. André Storm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: André Storm
Издательство: Bookwire
Серия: Ben Pruss
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954415298
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geht es denn, wenn ich fragen darf?«

      »Ich könnte kurzfristig Ihre Dienste gebrauchen«, gab der Anrufer zurück. Und nach einer kurzen Pause: »Ich hätte da einen Spezialauftrag für Sie.«

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      Nach diesem Telefonat war Bens Magen noch nervöser, und das ohnehin flaue Gefühl legte kräftig zu. Der Anrufer wollte ihm am Telefon keine Details geben, was genau er mit Spezialauftrag meinte, aber im Prinzip konnte es nur eines bedeuten.

      Ben hatte den unüblichen Namen des Anrufers gleich nach dem Telefonat gegoogelt und war direkt fündig geworden. Pedro Möller war Chef des in Dortmund ansässigen Zack-Varietés. Soviel Ben wusste, war die aktuelle Saison voll im Gange, und das neue Programm würde erst im Herbst starten. Vielleicht bedeuteten die Schlüsselbegriffe kurzfristig und Spezialauftrag also, dass er, Ben, als Krankenersatz für einen anderen Künstler einspringen sollte.

      »Ach du Scheiße«, murmelte er. Ein Angstpfeil schoss ihm eiskalt von oben nach unten durch den Körper, und er griff instinktiv nach einem Fläschchen mit Bachblüten-Tinktur, welches auf seinem Schreibtisch stand – inmitten einer Vielzahl weiterer Fläschchen, Gläschen und Töpfchen. Befüllt mit allen möglichen Mittelchen, die ihm gegen sein krankhaftes Lampenfieber helfen sollten. Er ließ sich vier Tröpfchen auf die Zunge fallen und meinte, sich gleich etwas ruhiger zu fühlen. Ob es daran lag, dass seine Bachblüten mit hochprozentigem, französischem Cognac gemischt waren, ob er dem Placebo-Effekt auf den Leim gegangen war, oder ob die Bachblüten tatsächlich ihren Dienst taten, war ihm egal. Er wusste nur, dass es das beste Mittel gegen Auftrittspanik und Mutter-induzierte miese Laune war.

      »Ich glaub, das muss ich absagen«, sagte er beklommen zu sich selbst.

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      Die Zeit bis zu seinem Termin benutzte Ben dazu, die Rückseite seiner Schreibtischunterlage (die Vorderseite bot durch die Stempelschmierereien eindeutig zu wenig Platz) mit den unterschiedlichsten Show- und Nummernkonstellationen zu bekritzeln. Er war sich mittlerweile sicher, dass der Moderator der Show – Frank Pracht, wie Google wusste – ausgefallen war, denn der war Zauberkünstler der aktuellen Spielzeit und außerdem Conférencier der Show. Alles andere ergab keinen Sinn. Ben war sich im Klaren darüber, dass sich seine Zauberei, die eher auf runde Geburtstage und Sommerfeiern von Kegelclubs ausgelegt war, nicht mit der Theaterdarbietung eines Frank Pracht messen konnte. Aber es war ihm gelungen, das Blatt mit einigen Nummern zu füllen, die er eines Varietéabends würdig fand. Solide Handwerkskunst mit Klassikern wie der Flaschenwanderung, dem zerschnittenen und wieder hergestellten Seil und dem Ringspiel nach Dai Vernon. Der Gedanke, zumindest eine Zeitlang über ein geregeltes Einkommen zu verfügen, behagte ihm mittlerweile sogar.

      Seine größte Sorge war, dass Pedro Möller von ihm verlangen könnte, bereits am Abend aufzutreten. Sollte das so sein, müsste er wahrscheinlich die ganze Pulle Bachblüten wegnuckeln und reichlich mit Cognac pur nachspülen.

      Es klingelte. Ben fuhr erschrocken hoch und stieß sein Knie an der Tischplatte an. »Mist, verdammter!«, fluchte er, riss die Schreibtischunterlage vom Tisch und warf sie kurzerhand in den angrenzenden Toilettenraum. Ebenso verfuhr er mit dem Bündel Sonntagszeitungen, welche er sich am vergangenen Wochenende in der Nachbarschaft geklaut hatte, um das Kunststück der zerrissenen und wiederhergestellten Zeitung einzustudieren. Die schwarze Lautsprecherbox samt Stativ rückte er von der Tür weg, damit sein Gast nicht drüber stolpern konnte. Den schwarzen Bühnenhintergrund schob er ein Stück weiter nach links, um die dahinter hängenden, antiken Drucke einer Show des legendären Harry Houdini und einer magischen Soirée des Zauberkünstlers Dante freizulegen.

      Es klingelte erneut. Diesmal länger und drängender. Er hastete hinüber zum Bücherregal, dessen halbseitige Schiebetür er kurzerhand von links nach rechts schob. Auf diese Weise verdeckte sie das Chaos an bunt zusammengewürfelten und angestaubten Requisiten und gab den Blick auf halbwegs ordentlich sortierte Zeitschriften und Bücher aus dem Reich der Zauberkunst frei. Er widerstand dem Drang, noch einmal zu den Bachblüten zu greifen, atmete zwei Mal tief ein und aus, lief durch den kurzen Flur zur Wohnungstür und öffnete, während er gleichzeitig den Türöffner für die Haustür betätigte. Er schrak zusammen, als er unerwartet in das Gesicht seines Besuchers blickte. Offenbar war die Haustür drei Treppen tiefer nicht, wie sonst üblich, verschlossen gewesen. Schnell hatte er sich wieder gefangen. Vor ihm stand ein etwa fünfzigjähriger, gepflegter Herr mit blauem Designeranzug, locker sitzender Krawatte und goldenen Manschettenknöpfen. Eine Sonnenbrille steckte lässig in seinem grauen Haar.

      »Moin! Pedro Möller mein Name, wir haben einen Termin.« Der Mann streckte Ben eine braungebrannte Hand mit einem goldenen Gliederarmband entgegen.

      »Ach ja … Richtig, richtig«, antwortete Ben. »Kommen Sie rein.« Er tat einen Schritt zur Seite und wies mit der ausgestreckten Hand in den Flur.

      »Vielen Dank«, sagte Pedro Möller und schob sich an Ben vorbei.

      Dieser bemerkte einen markanten Tabakgeruch, gepaart mit der durchdringenden Note eines herben Aftershaves. Pedro Möller hatte seine Zigarette wohl erst unten vor der Tür weggeworfen. Im Gehen fragte Ben: »Was kann ich für Sie tun?« Ihm fiel auf, dass er die linke Hand immer noch in der »Herzlich willkommen«-Geste hochgestreckt hielt.

      Pedro Möller deutete das als ein Zeichen, ins Büro zu gehen und an der Gästeseite des Schreibtischs Platz zu nehmen. Ben setzte sich an seine Seite der Tischplatte und sah sein Gegenüber mit einer etwas größeren Spur Neugierde an, als beabsichtigt.

      Pedro Möller antwortete nicht, sondern sah sich interessiert im Raum um. Sein Blick blieb einige Sekunden auf dem Schriftzug Harry Houdini’s Death defying Mystery hängen, dann fragte er: »Interessieren Sie sich für Zauberei?«

      Ben zögerte mit seiner Antwort einen Moment zu lange, und als er endlich mit einem verhaltenen »Äh, ja« antwortete, blickten sich beide mit einem Funken Irritation in den Augen an.

      »Hab ich was Falsches gesagt?«, fragte Pedro Möller, der als Erster die Sprache wiederfand.

      »Nein«, begann Ben. »Natürlich nicht. Aber sind Sie nicht der Pedro Möller vom Zack-Varieté?«

      »Doch, der bin ich. Sollte mir deshalb klar sein, dass Sie sich für Zauberei interessieren?«

      »Ehrlich gesagt, hatte ich angenommen, dass Sie genau deswegen hier sind. Ich dachte, Sie wollen mich engagieren«, antwortete Ben, der sich dafür am liebsten geohrfeigt oder die Lippen zugetackert hätte. Am besten beides.

      »Ähm, ehrlich gesagt, nicht«, stellte Pedro Möller klar, der jetzt ein wenig konsternierter dreinblickte. »Sie sind mir empfohlen worden.« Er räusperte sich und richtete sich in seinem Stuhl auf. »Von Urs Schneider. Er hat mir gesagt, dass Sie ein erstklassiger Privatdetektiv seien und seinen Fall in kürzester Zeit gelöst hätten. Dass Sie auch Zauberer sind, hat er mir nicht verraten. Tut mir leid.«

      »Macht doch nichts, macht doch gar nichts«, sagte Ben mit einer abwinkenden Geste und einem aufgesetzten Lächeln. Er hatte das Gefühl, dass das Gespräch plötzlich an ihm vorbeilief und er nicht mehr als ein Zuschauer war. Jemand sagte absurde Dinge, und ein anderer antwortete nicht minder absurd. Und wer um Himmels willen sollte dieser Urs Schneider sein?

      Mit einem Blick, der Hochachtung ausdrückte, redete Pedro Möller weiter: »Urs wollte mir nicht sagen, worum es genau ging, aber da er eine dicke Firma hat, nehme ich an, Wirtschaftsspionage oder so was, richtig?«

      Und in dem Moment fiel es Ben wieder ein. Im März hatte er einen Auftritt für irgendeine Beraterfirma im Hotel l’Arrivée in Dortmund-Höchsten gegeben. Der Geschäftsführer – eben der genannte Urs Schneider – hatte im Nachgespräch in der Lobby ganz mitgenommen ausgesehen. Ben dachte schon, seine Show sei der Grund dafür gewesen. Er fand eigentlich, dass er anständig abgeliefert hatte, auch wenn die knapp fünfzig Mitarbeiter sich nicht gerade zu exzessiven Begeisterungsstürmen hatten hinreißen lassen. Fahrig hatte Urs Schneider sich immer wieder ins Haar gegriffen,