»Periocha legum ad sacrum fontem affixarum – das ist die Überschrift …«
Und mit der Hand den Takt zu seinen Distichen schlagend, floß ihm in holdseliger Gebundenheit das Latein von den Lippen:
»Justitiae fines ne Tu peregrine viator
Ignores, Leges has tibi Semper habe! Primum qui sacrum –«
Hier aber wurde der Strom seiner Rezitation leider schon unterbrochen. Der Spiegelberger Graf hatte nämlich Mund und Ohren so weit als möglich aufgesperrt und rückte nun selbst, wie eben noch sein Gast, unruhig auf seinem Sessel hin und her. Dann legte er die Hand auf den skandierenden Arm des Rektors und sprach mit höchst kläglicher Miene:
»O mein allerliebster Herr Rektore, das ist ja Latein! Wie soll das ungelehrte Volk dieses verstehen? Und auch ich –«
»Und auch ich«, kicherte die Spiegelbergerin hinter der hohen Stuhllehne.
»Und auch ich«, fuhr der Graf fort, »auch ich verstehe es nicht und muß bekennen zu meiner großen Schande, daß leider Gottes kein Stab und Prügel hart genug war, mir solche schöne Sprache einzubleuen, als ich noch ein Büblein war.«
Der Rektor, welcher seufzend in der Deklamation seines Virgilianischen Poems innegehalten hatte, neigte bescheiden das Haupt und sprach:
»Dieses ist auch nur für die Leute von Gelahrtheit, so den guten Brunnen für ihre Leibesbeschwerden zu brauchen kommen; hier hab ich die Gesetzlein auch in teutsche Reime gebracht, das mag denn sein für den gemeinen Haufen.«
»Danke, danke Euch, Herr Rektore!« jubelte Walburg, in die Hände klatschend, und ihr Bruder brach nun ebenfalls in ein helles Lachen aus. Die Gelegenheit war allzu günstig!
Der Rektor aber quälte sich vergebens um den Grund dieser urplötzlichen Heiterkeit der Geschwister, und nur ganz dunkel schoß es ihm durch den Sinn, was für eine anmutige, höfliche Bemerkung er zum besten gegeben hatte,
»Bitte, bitte, Herr Rektore«, rief der atemlose Philipp, »bitte, denket einmal, wir gehörten mit zum ungelehrten gemeinen Haufen, und leset der Walburg und mir erst die teutschen Gesetzlein her; das Latein geht uns nachher desto baß ein!«
Herr Hermann Huddäus zuckte unmerklich die Achseln, gedachte unmutig des alten schönen Wortes vom Werfen der Perlen vor die Saue – margaritas ante porcos – , kam aber doch der Bitte des Grafen nach, zog sein anderes, umfangreicheres Blatt hervor und begann von neuem:
»Gesetze des heiligen Borns zu Pyrmont.
Daß sich ein jeder thu halten recht
Bei diesen Brunn, will ich nun schlecht
Des edlen Herrn und Grafen Will’n
An Baum gehängte Artikel erzäll’n.
I
Zum ersten soll’n, so diesen Fontein
Besuchen; reich, arm, groß und klein,
Sich allewege thun befleißen,
Daß sie nicht göttliche Ehr beweisen
Diesem Brunn, und machen ihn nicht
Zu einem Abgott, sondern schlicht
Zu Gottes Ehren sein genießen,
Von Dem kömmt diese Gnad herfließen.
II
Ein sicher Geleit thun wir auch geben
Den, so sich halten recht daneben.
III
Zum dritten soll sich ein jeder warten,
Daß er den Leuten an Zäun und Garten,
An Wiesen, Weid und Korn dazu
Bei schwerer Straf kein Schaden thu.
IV
Niemand soll hier auch richten an
Unlust, es soll sich jedermann
Gebührlich halten gegen sein’n Wirth,
So bleibt der Gast auch unbeschwert.
V
Wer hieher Proviant bringt feil
Und ander Waar, sei was es will,
Geb redlich Kauff’s und handle recht
Bei Straf, so da ist aufgelegt;
Drei Groschen Stetgeld soll er geben
Alle Woch’n, davon die Armen leben.«
So ging es weiter bis zum Ende:
»Der Wolgeborne Graf und Herr
Hat diese Artikel löblich sehr
An eine Linden bei dem Bronn
Gehenckt, als man so findet ston,
Danach ein jeder bei Straf und Pein
Sich halten soll bei Straf und Pein!«
bis der Rektor von Minden Hermann Huddäus sein Blatt aufrollte und emporblickte zum Grafen, welcher aufgesprungen war.
»So ist’s recht! So ist’s wacker! So hab ich’s auch gemeint! Dank’ Euch, dank’ Euch! Und an die Linde wollen wir das heute noch – jetzt gleich hängen! Das ist schön!«
»Wird dem Volk grad so viel leuchten, wie Dreck in der Latern!« brummte Klaus Eckenbrecher an der Tür, doch nicht so laut, daß jemand seine unmaßgebliche Meinung bestreiten konnte.
»Aber nun auch das Latein – das Wahre –«
»Ein andermal, liebes, altes, schwarzes Rektorlein!« jubelte Fräulein Walburg von Spiegelberg und sprang und tanzte im Gemach umher. »Das Latein auf ein anderes Mal! Jetzt das Deutsch! Wir wollen alle mitziehen, es an den Baum zu schlagen; wir wollen einen großen Zug machen Euch zu Ehren, mein Rektorlein, und Ihre keifenden kurfürstlichen Gnaden von Brandenburg sollen auch mitgehen, und Ihr sollt Hofprediger werden zu Berlin im Sande – das will ich Euch versprechen.«
»Ja, so wollen wir tun!« rief Graf Philipp. »Und einmal zur guten Stunde kommt da eben mit der Ursel über den Hof die alte« – er schlug sich auf den Mund – »wollt ich sagen, die Frau Kurfürstin Hedwig. Heda, Klaus Eckenbrecher, sprich zu den Knechten, sie sollen ihre Spieße nehmen, und die Drommeter sollen sich bereithalten, uns vorzublasen. Wir gehen zum Bronn –«
»Ach, aber gräfliche Gnaden –« seufzte der geschmeichelte Rektor und blickte auf sein krankes Bein.
»O, das soll Euch nicht halten! Wir wollen Euch auf einen Sessel setzen – Ihr möget gleich auf diesem sitzen bleiben – und zwei Knechte sollen Euch tragen wie einen römischen Bürgermeister oder Feldmareschalk, so einen Triumphzug feierte. Das soll so sanfte gehen, als säßet Ihr auf einem geflügelten Esel oder Eurem Katheder.« –
Gesagt, getan! Einige Minuten später finden wir fast die ganze Hofhaltung von Pyrmont auf dem Schloßhofe versammelt, in der Mitte auf seinem Lehnstuhl den Rektor Huddäus samt seinem Zipperlein.
Die Knechte und Pagen stellten sich auf zum feierlichen Zuge, und die schrille Stimme der Frau Kurfürstin von Brandenburg erfragte, was dieser neue Lärman bedeute und ob es denn niemalen Ruhe geben werde auf dem Schlosse zu Pyrmont.
Den Grafen Philipp, welcher jedesmal, wenn sein fürstlicher Gast seine Stimme vernehmen ließ, eine Faust in der Tasche machte, stieß das Schwesterlein schalkhaft mit dem Ellenbogen in die Seite, als sie beide auf die ärgerliche hohe Dame und die arme, gequälte Ursula zuschritten.
»Geh«, flüsterte Walburg, »sei ein artiger Knab und recht höflich.«
»Der Teufel hole das Weib!« murmelte der Graf von Pyrmont, ehe er der Frau Hedwig unter tiefen Verbeugungen die Bedeutung und den Zweck des Aufzuges auseinandersetzte. Die Kurfürstin erklärte darauf) sie sei bereit