»Er ist es!« rief Klaus Eckenbrecher.
Jetzt vernahm man auch ein Rauschen und Brechen der Zweige, und endlich trat aus dem Dickicht hervor in den bleichen Mondschein, welcher auf der Landstraße lag, einer jener fahrenden Leute damaliger Zeit – Kaspar Wicht, der Spielmann, mit Wanderstab, Fiedel und Bettelsack, am grauen Filzhut eine hohe, schwankende Hahnenfeder über einem Strauß von Waldblumen.
Gar nicht übel klang seine Weise durch die stille Nacht, und Klaus Eckenbrecher, herzlich erfreut über das Zusammentreffen, fiel hell mit ein in das Lied des Wichtelkaspars:
»Am Tage Sankt Johannis
Wie lag die Welt in Sonne!
Am Tage Sankt Johannis
Wie schlug mein Herz in Wonne!
Es zog ein fröhlich Klingen
Wohl über die grüne Heide:
Schön Lieb mit hellem Singen
Schritt her im Festtagskleide.
Sie hielt ein schwarzes Büchel
Voll goldner, frommer Lieder,
Dazu ein weißes Tüchel
Gefaltet vor dem Mieder.
Ringsum die Blumenglocken
Aus Näh und Ferne grüßten
Rot Röslein in den Locken,
Weiß Röslein vor den Brüsten.
O selig Sommerleben!
Rot Röslein raubt ich lose;
Drauf hat sie mir gegeben
Auch noch die weiße Rose!«
»Juhu!« jubelte der Sänger und schritt jetzt dicht an das Roß des Spiegelbergischen Reiters heran, und Reiter und Fiedelmann wiederholten jauchzend den ersten Vers:
»Am Tage Sankt Johannis
Wie lag die Welt in Sonne!
Am Tage Sankt Johannis
Wie schlug mein Herz in Wonne!«
Damit brachten sie das Lied glücklich zu Ende und boten sich darauf die Zeit.
»Nun, Alter, wie geht’s? Wie fährt die Welt mit Euch?«
»Nicht allzu säuberlich«, lachte der Sänger. »Von mir mag’s auch heißen, was von dem schwarzen Galgenvogel gesagt wird:
‘s ist noch kein Rabe Hungers storben,
Obgleich sein Sang nicht viel erworben!«
»Woher treibt Euch denn wieder einmal der Wind, Kaspar?«
»Immer aus dem Guten ins Bessere – vom Knüppelwege auf die Landstraße und von der Landstraße auf den Pferderücken. Willst du stehen, Mähre? Fürchtest auch wohl, daß dir meine alten Knochen und mein leerer Magen und Zwerchsack zu schwer sein könnten? Brr, brr, steh, Schecke! Keine Bange!«
Damit schwang sich der Fiedler trotz seinem ziemlich hohen Alter rüstig hinter dem lachenden Klaus auf den Gaul und rückte seine lange, klapperdürre Gestalt behaglich auf dem gewonnenen Sitze zurecht.
»Nun kann’s mit Gottes Hülfe losgehen, Reiterlein. Trab, faules Vieh, sie brauchen den Wichtelkaspar heut nacht noch zu Oestorf in der Schenke zum letzten Heller. Ein hübsch Mädel hättet Ihr wohl lieber als mich hinter Euch sitzen, Klaus? Na, will’s Euch nicht alsosehr verdenken; aber für dieses Mal müsset Ihr doch mit mir vorlieb nehmen.«
Klaus Eckenbrecher ließ einen dicken Seufzer vernehmen; wirklich war ihm der Gedanke gekommen: wie viel hübscher es sein würde, wenn er statt mit dem Geiger mit der holden Monika Fichtner aus Holzminden so durch die Mondscheinnacht traben könne, gleich dem Ritter Peter mit dem goldenen Schlüssel und der schönen Magelone.
»Ach, Monika!« seufzte der Reiter, hütete sich jedoch wohl, nach seiner Meinung, daß der Geiger den Namen verstand. Dieser verstand ihn aber doch, wiederholte ihn spottend und schlang zärtlich die Arme um den Reisigen, um nicht zu fallen. Dann stimmte er ein neues Lied an von Scheiden, Meiden und Sehnsucht, welches dem Erzähler verlorengegangen, jedenfalls aber in des Knaben Wunderhorn zu finden ist. –
So trabten Reiter und Sänger durch den Wald und später durch das Dorf Löwenhausen. Vor der Schenke zum letzten Heller in Oestorf setzte der Reiter den Geiger ab. Mit gewaltigem Hussa und Jubel wurde der Wichtelkaspar von den anwesenden Reisigen und Knechten des Grafen Philipp, sowie dem andern nachtschwärmenden Volke begrüßt, und von allen Seiten wurde dem Eckenbrecher aufs Pferd zugetrunken.
»Haltet mir einen Platz frei, ich komme wieder, wenn es angeht«, rief der junge Reiter, welcher nach den beiden Goldstücken des italienischen Arztes, die in seiner Gürteltasche klingelten, griff. Zu schnellerm Lauf trieb er sein schnaufendes Pferd an.
Auf dem heiligen Anger war noch großes Getümmel und Gelärm, und die nächtlichen Schatten verhüllten manche Szenen, welche im Schein des Tageslichts Entsetzen und Widerwillen erregt hätten. Um die Feuer tanzten trunkene Haufen – es war, als ob die Fieberphantasien sämtlicher Kranken unter den Zelten und Laubhütten, zu einem tollen Ganzen zusammenfließend, sich verkörperten – ein Anblick, der einem Höllen-Breughel die Tragweite seines Talentes klarmachen konnte!
Ohne sich aufzuhalten, ritt Klaus Eckenbrecher quer durch den Hexensabbat über die Zugbrücke in das Schloß Pyrmont ein. Er wurde sogleich zum Grafen beschieden.
In seinem Gemache schritt dieser auf und ab, die Hände auf dem Rücken, das Haupt zur Brust hinabgesenkt. Sein großer Wolfshund folgte ihm aus einem Winkel des Zimmers fortwährend mit den klugen Augen und schien im geheimen seine Glossen über die seltene Nachdenklichkeit seines Herrn zu machen.
Seltsam erregt und unruhig war Philipp von Spiegelberg von dem Zuge zur Brunnenlinde heimgekommen. Das Bild der Fremden, welche jetzt mit ihm unter einem Dache sich befand, kam ihm nicht aus dem Sinne. Anfangs strebte er, es zu verscheuchen, aber bald gab er solche vergeblichen Versuche auf. Mit Leib und Seele gab er sich dem Zauber hin, welcher immer fester und unlösbarer seine magischen Bande um ihn schlang. Dazwischen tönten fort und fort die erschütternden Warnungen des Arztes Simone in sein Ohr. Unheimlich war dem Grafen von Pyrmont zumute, und unwillkürlich schreckte er jedesmal zusammen, wenn im dumpfen Getöse des Volkes auf dem heiligen Anger ein durchdringender, gellender Schrei wilder Lust aufklang.
Mit Eifer und mit Grauen nahm er das Schreiben des Arztes aus den Händen des Reiters und trat damit an die trübe Lampe, welche auf der Eichentafel in der Mitte des Gemaches brannte.
So lautete der Brief, den der Doktor Spada aus Bologna an Herrn Philipp von Spiegelberg schrieb:
»Wohlgeborener und edler Herr Graf!
Noch einmal warne ich Euch! Es ist vor alten Zeiten in meiner Vaterstadt Bononia eine Jungfrau gewesen, anzuschauen gleich einem Engel Gottes. Sie hat viel Unheil angerichtet und Verderben gebracht über alle, welche ihr naheten. Alle, die ihr naheten, bezauberte sie mit dem Blick ihrer Augen, mit dem Klang ihrer Stimme; sie mußten ihr folgen, und ihre Pfade gingen hinab in den Tod. Es ist eine alte Sage, daß diese Jungfrau starb, aber nach ihrem Tode noch jahrelang umging in der Welt und wanderte von Ort zu Ort, von Land zu Land, nicht anders, als ob sie noch lebte. Sie war eine Lautenschlägerin, und auf vielen Reihen hat man sie des Spielwerks pflegen sehen, und alt und jung hat sich ihrer Schöne gefreut, obgleich sie eigentlich tot war. Endlich aber hat einmal während eines wilden Gelags, als jede Stirn mit Rosen bekränzet war und jedes Herz in toller Lust höher schlug, jemand im höchsten Schrecken auf die gegenwärtige Jungfrau gewiesen und ausgerufen: die bleiche Jungfrau sei tot! … Und wie er das gerufen, da ist ein jähes Entsetzen durch die wilde Freude gefahren, und die bleiche Jungfrau ist niedergefallen und Staub und Asche geworden! …
Herr Graf zu Pyrmont, hütet Euch vor der toten, bleichen Jungfrau, welche Ihr unter das Dach Eures Hauses genommen habt. Ihr wisset, wen ich meine! Noch wandert das Gespenst, und feurig ist der Glanz seiner Augen, und weiß ist’s und holdselig, und sanft ist seine Stimme, welche die Menschen betört.