Ob nun der Emmerfluß von den Ambronen seinen Namen bekommen hat oder ob die Ambronen von dem Emmerfluß ihren Namen genommen haben, das wollen wir nicht weiter untersuchen; unsere gelehrte Untersuchung würde doch nur verdunkelnden Staub aufrühren, und die günstige Leserin den Husten davon bekommen.
Ob der Prokonsul P. Quinctilius Varus nach seiner Versetzung aus Syrien nach Germanien in dem fons bulliens, dem Brodelbrunn, gebadet und aus dem heiligen Born getrunken habe, wird wohl in Ewigkeit eine Frage bleiben.
Ob die Irmensäule auf dem Arminiusberge gestanden hat, ist auch sehr zweifelhaft.
Weniger anzugreifen ist dagegen die Nachricht, daß der Kaiser Carolus Magnus, welcher bekanntlich die Quellen und lustigen Ströme gar sehr liebte und gern seine Hoflager an einem schönen Wasser hielt, im Jahre nach der Geburt unseres Herrn siebenhundertvierundachtzig in der Gegend der Stadt Lügde das Weihnachtsfest feierte. Da wird der gewaltige Herr trotz der Winterszeit den Wunderbrunn sich jedenfalls von einem gefangenen Sachsen haben zeigen lassen. Jedenfalls hat er dann auch, obgleich er meines Wissens durchaus nicht an den Nerven litt und nur im hohen Alter ein wenig von der Gicht gezwackt wurde, von dem heilsamen Wasser getrunken. Sagt ja auch der gelehrte Jesuit Nikolaus Schatenius in seiner Historia Westphalica:
»Praeter Ambram, qui nunc Emmera dicitur, Carolum oblectarunt Pyrmontanae aquae in conspectu Ludae, acore et medela celebres.«
Im vierzehnten Jahrhundert finden wir den frommen Mönch Henricus von Herford, einen Dominikaner aus dem Kloster des heiligen Apostels Paulus zu Minden, welcher den heilsamen Brunnen im Huetagau zuerst Fons sacer, den »heiligen Born«, nennt. Dieser Mönch ist im Jahre 1370 zu Minden gestorben und in der Dominikanerkirche begraben.
Doch – manum de tabula! Blasen wir jetzt den gelehrten Staub, welcher sich während aller dieser dem Erzähler langweiligen und dem Leser gleichgültigen Auseinandersetzungen auf unserm Manuskripte angesammelt hat, lustig fort, und stürzen wir uns frischen Mutes in das bunteste und zugleich kläglichste Getümmel, welches die tollste Phantasie in ihren ausgelassensten Träumen aufsteigen lassen kann.
Der Schauplatz, mit welchem wir es hier zu tun haben, dehnt sich zwischen der Stadt Lügde, den Dörfern Holzhausen, Oestorf, Löwenhausen und andern, welche wir nicht aufzuzählen brauchen. Ziemlich in der Mitte liegt das Schloß Pyrmont auf dem heiligen Anger, auf welchem vor Jahrhunderten der große fränkische Karl sein Heerlager aufgeschlagen hatte und auf welchem jetzt das Heerlager der Kranken, der Landstreicher, der Besessenen, der Gaukler, der Diebe, der Abenteurer aufgeschlagen war.
Überall rauschten und plätscherten Bäche und Bächlein aus den Waldtälern lustig hervor und trieben mancherlei Mühlen, als die Hambornmühle, die Bruchmühle, die Trinkenaumühle und viele andere mehr, welche alle aber nicht ausreichten für den Bedarf des versammelten Volksspieles.
Die Sonne glitt bereits wieder abwärts am wolkenlosen, tiefblauen Himmel.
Es war ein sehr heißer Tag des heißen Sommers.
In Oestorf wimmelte es durcheinander auf die merkwürdigste Weise.
»Herren und Frauen, Jungkherrn und Reiter, Fuhrleut, Kärrner, Landsknecht, Freybeuter« – Menschen und Vieh drängten sich in den Gassen in Staub und Hitze. Die Häuser, gleich überfüllten Gefäßen, quollen über von Kranken und Gesunden, von reiner und schmutziger Wäsche. Aus allen Fensteröffnungen schauten schwitzende Menschengesichter, Kinder kreischten, Weiber zankten sich; die Bresthaften stöhnten, die Gesunden fluchten, die Esel schrieen, die Pferde wieherten, und immer neuer Zuzug drängte sich, die Dorfgasse entlang, dem heiligen Anger zu.
Das verschüchterte Federvieh hatte sich über das Getümmel so hoch als möglich erhoben und errettet und schrie und gackerte von den Bäumen und Zäunen, ja von den Hausdächern seine Not und Verwunderung in die Welt aus. Es war ein wunderswürdiger Lärm, ein Lärm in der Blüte, ein Lärm, wie ihn nur das lärmende, hallohende, spektakelnde sechzehnte Jahrhundert in solcher Vortrefflichkeit hervorbringen konnte.
Wenn man sich nun dazu die bunten Trachten von Mann und Weib vorstellt, die Federbarette, die Bettlermäntel, die absonderlichen Waffen und Fuhrwerke, die Rosse, Maulesel und Hunde der Fremden, die ausländische Dienerschaft derselben in ihren landesüblichen, fremdartigen Kostümen und über dieses alles einen Schleier von Sonnenglut und Staubwolken legt, so hat man ein schwaches Bild von dem Dorfe Oestorf am 15. Juni 1556.
Mit wahrem Schauder und Widerstreben drängt man sich in eins der überfüllten Häuser; aber davon hilft uns jetzt kein Gott. Eins wimmelt wie das andere, und in der Arche Noah konnte kein wüsteres Durcheinander, nicht mehr Dreck, Stank und Übelstand herrschen.
Wir treten in eins der niedrigen, mit Stroh gedeckten, hüttenartigen Gebäude, welches sich ziemlich am Ausgange des Dorfes, dem Schloß Pyrmont zu, befindet.
Hier sitzen in einem dumpfigen, schwarz geräucherten Stübchen, welches der Bauer für schweres Geld und viele, viele gute Worte geräumt hat, welches aber die Fliegen nicht räumen wollen, da man nur Gewalt gegen sie anwendet, drei hochgelehrte und hoch beschwerte ältliche Herren an einem wackligen Tische auf wackligen Sesseln.
Alle drei Herren sind mit dem Podagra behaftet und wollen den bösen Gast durch die Heilkraft des heiligen Borns vertreiben. Zwei der Herren haben das linke Bein, einer hat das rechte Bein dicht umwickelt. Alle drei sind in schwarze Gewänder gekleidet, deren Schnitt uns erkennen läßt, daß sie sämtlich dem Lehrstande angehören; alle drei haben ihre Krückstöcke neben sich, alle drei schwitzen und ächzen mehr, als sich eigentlich mit ihrer Würde verträgt – fett, fetter, am fettesten ist ihre Leibesbeschaffenheit, in aufsteigender Proportion, zu definieren. Ihr wackelnder Tisch ist mit Büchern, Papieren und Schreibgerätschaften bedeckt – der Gedanke, bei solcher Hitze, bei solchem Lärm vor dem Fenster zu schreiben, ist fürchterlich und würde jedes regelrecht organisierte Menschenkind auf der Stelle töten!
Die drei schwarzgekleideten Herren müssen wohl nicht regelrecht organisiert sein, sie – haben geschrieben, und die Dinte ist noch nicht eingetrocknet in den niedergelegten Federn! Sie schwitzen entsetzlich und – sind benamset: Herr Helmerikus Bone – Herr Christopherus Studtius und – Herr Hermanus Huddäus, Rektor und nachher Pastor supremus zu Minden, einer der gelehrtesten Männer seiner Zeit, welcher mit Philipp Melanchthon korrespondierte, »als welcher sein Präzeptor gewesen war«.
Als Schüler eines solchen Mannes und eifrigster Lutheraner würde der Rektor Huddäus mit seinem Zipperlein lieber in einen lutherischen Hühnerstall oder Taubenschlag zu Oestorf gekrochen sein als das gute, aber katholische Quartier, welches man ihm in Lügde anbot, angenommen haben.
In diesem Augenblick hielt der gute Mann ein mit lateinischen Versen beschriebenes Blatt Papier in der Hand. Er hatte die Lektüre des Poems soeben beendet und wischte atemschöpfend mit dem Sacktüchlein die glänzende Dichterstirn. Seine beiden gichtbrüchigen Freunde wischten sich ebenfalls die Stirnen mit den Sacktüchlein und gaben ihren Beifall und ihre vollkommene Übereinstimmung mit dem Vorgelesenen durch ein gravitätisches Kopfnicken und Gebrumm zu erkennen.
»Sehr wacker, hochgelahrtester Herr Rektore!« sagte der Doktor Bone und schnitt dabei unwillkürlich eine erschreckliche Grimasse, weil ihm sein Übel in demselben Augenblicke auf die boshafteste Weise durch die Zehe fuhr.
»Ei ei, o, o!« seufzte er. »Ach, meine Großmutter war ein künstliches Weib und der beste Doktor, so weit und breit zu finden war – uh, uh, was gäb ich drum, wenn sie mir ein richtig Mittel nachgelassen hätte gegen diese Teufelsplage! Wacker, sehr wacker, hochgelahrtester Herr Collega!«
»Mirabile dictum, collega!« rief Herr Christophorus Studtius. »Virgilius Maro hätt’s nicht besser gemacht und zu Wege gebracht! Uf – welche Hitze! Horazischer Schwung – ciceronianische Latinität, geehrter Herr Collega – ohe – eheu! eheu! heu! heu!«
Auch er griff nach seinem schmerzenden Bein.
Der Rektor Huddäus lächelte im befriedigten Autorgefühle sieghaft, aber bescheiden. Er setzte ein vergessenes Pünktlein über ein I und hob dann wieder den Blick: »Nun werd ich mit