»Ja, Herr!« sagte das junge Mädchen und fügte zögernd hinzu: »Der Vater ist in seinem Studierstüblein; wollet Ihr ihn sehen, so will ich Euch den Weg weisen.«
Der Pfarrer von Stahle neigte das Haupt, und Monika schritt den beiden fremden geistlichen Herren voran, die enge Treppe hinauf. Mit leisem Finger klopfte sie an die Tür ihres Vaters – sie wußte, daß er sich nicht gern stören ließ in seiner Arbeit.
Der Bruder Festus hatte nur Augen für das liebliche Kind; er schaute sich nicht um, sonst würde er wohl gesehen haben, daß noch jemand hinter den herbstlichen Büschen des Gartens sich umhertrieb, sehr verdrossen wegen des Besuches, der ihm die Monika von ihrem Asternbeete forttrieb.
Aber der Vikarius Festus kannte unsern lieben Freund Klaus Eckenbrecher nicht. Wie sollte er wissen, daß es einen solchen hoffnungsvollen jungen Menschen im alten Oggegau gab?
»Vater, zwei geistliche Herren wünschen Euch zu sehen!« rief Monika in das Studierzimmer des Magisters Fichtner, welches sich von der Ausstattung des Wohngemaches im Pfarrhaus zu Stahle sehr unterschied.
Der lutherische Pastor besaß sehr viele Bücher, der katholische Pfarrgeistliche eigentlich gar keine. Der katholische Pfarrgeistliche hegte und pflegte Vögel aller Art, Vögel in Bauern und frei umherhüpfende Vögel; der lutherische Pastor konnte – ecclesia militante – solch zwitscherndes, pfeifendes Gesindel durchaus nicht um sich dulden, es störte ihn allzusehr bei der Arbeit.
»Sie sind willkommen«, sagte Ehrn Valentin, ohne sich umzuschauen, und beendete den angefangenen Satz. Dann warf er die Feder fort, erhob sich schnell aus seinem Sessel und trat den Besuchern entgegen. Seine Brauen waren noch düster zusammengezogen; denn er hatte soeben an einer Predigt voll Haß und Grimm gegen das »Babstthumb« geschrieben, und die faltenreiche Stirn, die zusammengepreßten Lippen gaben sattsam Zeugnis von dem Kampfeseifer, mit welchem sich der wackere Mann in dem wogenden Streitgetümmel dieses kämpfenden, ächzenden, keuchenden sechzehnten Jahrhunderts bewegte.
Beim Anblick des milden Greisenhauptes des Chrysostomus glättete sich die Stirn, legten sich die Brauen auseinander, öffneten sich die Lippen zu einem freundlichen Lächeln.
»Ei, das ist wacker von Euch, daß Ihr kommet; seid gegrüßet und herzlich willkommen!« rief der Pastor.
Jedem der Besucher bot er die starke, knochige Rechte.
»Hier setzet Euch, Chrysostomus, die Monika mag Euch ein Kissen holen für den alten Rücken!«
Er schob dem Alten den eigenen Lehnstuhl hin und bat auch den Vikarius, sich niederzulassen.
Dann befahl er der Monika, aus dem Keller einen Krug jenes allberühmten Einbecker Bieres zu holen, welches der fromme, gute Herzog Erich, des Kaisers Maximilianus Freund, und der Mann Gottes, der Doktor Martin Luther, so gern tranken. Mit dem Ritter und dem Reformator war ja das ganze trinkverständige Deutschland einig in dem Lob und Ruhm dieses edeln, herzstärkenden Getränkes.
Auf das Gebot des Vaters schlüpfte das Töchterchen sogleich aus dem Zimmer und kam nach kurzer Zeit zurück, den steinernen Henkelkrug in der einen Hand tragend und drei künstliche silberne Becher in der andern.
Es war ein so niedlich hausfrauliches Wesen in dem Schaffen der Monika, daß die verstohlenen Blicke des Jüngern katholischen Geistlichen immer häufiger wurden und er mehr als einmal eine etwas verkehrte, verworrene Antwort dem alten Fichtner oder seinem Vorgesetzten gab.
Der Bruder Festus war ein halber Künstler und hatte einen feinen Blick für alles Schöne; er nahm sich vor, künftig die heilige Agnes und die Agathe und die andern heiligen Jungfrauen immer nur mit blondem Haargelock darzustellen auf seinen Bildwerken. Innerlich seufzend, gestand er sich, daß er bis jetzt doch noch nicht ein rechter Maler gewesen sei – das große Geheimnis der ewigen Schönheit enthüllte sich ihm urplötzlich; er war gleich einem Blinden, welchem durch ein Wunder das Augenlicht verliehen ward.
Armer Festus! Unseliger Bruder Festus! –
Das Gespräch der beiden Alten drehte sich, nachdem die Danksagungen für die gestrige Hülfe beim Brande nochmals vorgebracht und abgewehrt waren, natürlich nur um das große Ereignis der Zeit, welches die ganze christliche Welt bewegte, um den Abschluß des Religionsfriedens zu Augsburg und seine möglichen Folgen.
»So ist denn der erste Schritt getan, und der Fuß unseres Glaubens ruht auf festem Grund!« sprach der Protestant.
»Und die Welt hat Frieden – endlich, endlich Frieden!« sagte der alte Katholik.
»So lange, als er dauert«, sprach der Protestant. »Gott tut kein Werk halb – was er anfängt, das führt er herrlich hinaus.«
Chrysostomus neigte das Haupt: »Nicht mehr erwürgen sich die Brüder untereinander gleich den wilden Tieren des Waldes; nicht mehr werden die allerverborgensten Täler mit Mord und Brand gefüllt sein jenes wegen, der da sagte: Wie schön ist’s, wenn Brüder einträchtiglich beieinander wohnen!«
»Welcher aber auch sagte: Ich bin nicht gekommen, den Frieden, sondern das Schwert in diese Welt zu bringen!« sprach der Pastor Fichtner, und seine Brauen zogen sich wieder zusammen, und die geballte Hand legte er auf die auf dem Tische aufgeschlagene Bibel.
Er ward aber unterbrochen durch sein Kind, die Monika, welche wieder in das Gemach trat und ein zierlich Sträußlein von Herbstblumen in der Hand trug. Dieses Sträußlein bot sie dem greisen Pfarrer von Stahle und erglühte dabei nicht wenig ob ihrer Kühnheit. Es war auch sehr hübsch anzusehen, wie sie sich niederbeugte und ein heller Sonnenstrahl durch ihre blonden Locken strahlte, daß sie ganz goldig schimmerten.
Ihr Vater lächelte ihr freundlich zu und nickte sehr befriedigt über ihr Tun.
Der alte Chrysostomus aber rief:
»Dank, Dank, mein liebes Kindelein! Schau, ich bin eines andern Glaubens als du; aber der Segen eines Greisen hat seine Kraft durch die ganze weite Welt: so nimm ihn an, den Segen eines alten Mannes und Freundes, du schöne Jungfrau!«
Die Monika neigte das feine Köpfchen unter die zitternde Hand des katholischen Geistlichen, und der Pastor Valentin Fichtner nickte abermals zustimmend und sagte weiter nichts als:
»Jaja, es ist also! Ich danke dir, Chrysostomus!«
Also fanden sich die Pfarrhäuser des rechten und des linken Ufers der Weser wieder zusammen; seit dem großen Jahre der Scheidung eintausendfünfhundertundsiebenundzehn, in welchem Jahre es auf dem Kirchturm der Menschheit einmal wieder zwölf schlug und alles Volk vom Tische in ein neues Weltenjahr hineinsprang.
»Die neue Zeit ist über mich gekommen wie ein Traum; wie oft habe ich geglaubt, nun sei das Jüngste Gericht vor der Tür, nun werde die Posaune des erweckenden Engels alsogleich erschallen; aber es wechselt Tag und Nacht, und alles geht seinen Gang: der Herr führt es nach seinem Willen!«
So sprach Chrysostomus zu seinem sinnenden jungen Begleiter, als der Ruderschlag des Knechtes den Kahn zurück über die gelben Fluten trieb.
Es war aber dem Bruder Festus, als raune ihm unaufhörlich eine Stimme ins Ohr:
»Wachet und betet, auf daß ihr nicht in Anfechtung fallet!«
Er schaute nicht zurück nach dem lutherischen Ufer, obgleich er sich darin große Gewalt antun mußte. Und als er zu Hause angekommen war, schritt er über den kleinen Gottesacker des Dorfes in die stille Kirche, kniete nieder an dem Altar, über welchem die gnadenreiche Mutter der Schmerzen mit dem heiligen Kinde gemalt war, und betete eifrigst, inbrünstig.
Den alten, müden Chrysostomus überkam wieder ein tiefer Schlummer in seinem Kämmerlein.
Der Pastor Valentin Fichtner schritt zurück zu seiner Predigt; aber er konnte an diesem Tage nicht weiter daran schreiben.
Die holde Monika stand am Herde und sah sinnend in die knisternden Flammen, bis draußen ein wohlbekanntes, lustiges Pfeifen erklang. Das war der Lockruf Klaus Eckenbrechers, welcher seine Angelrute als Vorwand benutzte, sich unter der Mauer des Pastorengartens