»Lasset den Mann frei; gebet ihm sein Schwert zurück!« rief er. »Er soll freien Raum haben zu gehen – öffnet ihm den Weg, und du, Klaus Eckenbrecher, folge ihm und führe ihn zur Grenze unserer Herrschaft. Hierher, ihr Knechte, geleitet die Maid zum Schloß, sie soll unter meinem Schutz stehen, bis wir nähere Erkundigungen über sie eingezogen haben.«
»Dank, Dank, gnädiger Herr!« rief Fausta La Tedesca.
Der Arzt aber richtete sich hoch auf.
»Herr Graf zu Pyrmont, das Verderben faßt Euch; in ihrer schönsten Gestalt nehmet Ihr die Sünde in Euer Haus auf. Vergeblich ist’s, Euch zu warnen. – Ihr seid dem Verhängnis verfallen! Ich gehe nach Euerem Gebot – Paul, führe die Pferde herzu – Fluch, dreimal Fluch dir, Fausta La Tedesca!«
Der Arzt Simone Spada stieß sein Schwert, welches man ihm zurückgab, in die schwarze Sammetscheide zurück. Noch einmal wandte er sich gegen das Volk:
»Viel heilsame Kräfte hat der gütige Gott in diesem heiligen Quell verborgen; ich sage euch, wenn jene da aus diesem Born getrunken hat, so betet, betet – Männer, Frauen und Kinder betet, daß Gott ihm seine Kraft lasse. Wahrlich, sehr zweifle ich, ob es geschehen werde.«
Der zitternde Knabe Paul hatte das schwarze Roß herzugeführt und hielt nun seinem Herrn den Steigbügel. Sicher schwang dieser sich in den Sattel – die Menge teilte sich, und langsam ritt der Arzt von dannen, ohne sich weiter umzuschauen.
»Folge ihm, Klaus Eckenbrecher«, sprach der Graf, und der junge Reisige, ebenfalls zu Pferde, folgte dem Fremdlinge und wehrte das neugierige Volk mit Wort und Gewalt von ihm ab. Andere Knechte nahmen, ein wenig scheu, das junge Weib, über welches der Arzt so grausame Worte aussprach, nach ihres Herrn Befehl in ihre Mitte und geleiteten sie durch die Abenddämmerung über den heiligen Anger dem Schlosse zu.
Philipp von Spiegelberg starrte ihr wie versunken in tiefem Traum nach, so daß Frau Hedwig von Brandenburg fast Gewalt anwenden mußte, um ihren jungen Wirt wieder zurückzuziehen in das Leben und die Gegenwart. Die gute Dame, sowie auch die Schwestern Ursula und Walburg waren freilich durch den abenteuerlichen Vorfall ebenso verstört und verwirrt wie der Graf; aber die Nacht brach bereits langsam herein, das Gras wurde taufeucht, kalte Füße bekam die Kurfürstin – alles drängte die Bewohner des Schlosses, des eigentlichen Zweckes ihres Zuges zu gedenken.
Man tat also.
Mit großer Feierlichkeit wurde die Anschlagung der Brunnengesetze an die große Linde vorgenommen und dem Rektor Huddäus das Kränzlein der Ehren aufgesetzt. Die ganze vornehme Gesellschaft trank einen Becher von dem heilsamen Quell, die Trompeter bliesen ein lustiges Stücklein, und alles Volk schaute zu und rief Vivat. Aber es lag schwer auf jedem Gemüte außer auf dem des Rektors Hermann Huddäus, welcher jeglichen Tropfen aus dem Becher des Ruhmes, der ihm floß, mit Wollust einschlürfte und innerlich ein Io triumpho über das andere rief. Das allein bedauerte der Gute, daß seine Kollegen Studtius und Bone, daß die ganze Lateinschule zu Minden, samt Herrn Philippus Schwarzerd, der Universität Wittenberg und dem übrigen Universum nicht Zeugen waren – Augen-und Ohrenzeugen – der Ehren, so ihm widerfuhren, und der Lobreden, so ihm mit spitziger Zunge und Lippen zulispelte Frau Hedwig, die Kurfürstin von Brandenburg, geborene Prinzessin in Polackien.
Aber wie aller Jubel und jedes Hallo auf Erden, so kam auch diese Freudenstunde zu ihrem Ende. In langer Reihe zogen durch die dunkelnde Nacht durch Feuerglanz und Fackelschein und Mondenlicht die hochgeborenen und niedriggeborenen Bewohner des Schlosses Pyrmont zu Fuß und zu Roß heim zum Nachtmahl. Der Rektor Huddäus wurde von der Brunnenlinde, in dem Lehnstuhl sitzend, auf dem kürzesten Wege in sein Losament zu Oestorf zurückgetragen. Müde und zerschlagen an allen Gliedern kam er daselbst vor seinem Bauernhause an, und tat ihm dieser Abend an seiner Kur einen großen Schaden, welcher nur durch die innere geistige Befriedigung aufgewogen werden konnte. –
Unterdessen geleitete unser Freund Klaus Eckenbrecher den Arzt Simone Spada nach seines Herrn, des Grafen, Befehl bis an den östlichen Grenzstein der Grafschaft, indem er neben dem Knaben Paul, welchen er, jedoch vergeblich, in ein Gespräch zu verwickeln strebte, einhertrabte. Bald hatten sie den heiligen Bronnen, die Feuer, Zelte, Hütten und das Dorf Oestorf hinter sich gelassen, und die stille abendliche Einsamkeit des Waldes am Königsberge nahm sie auf. Nur dumpf und verworren klang aus der Ferne der Tumult des menschenvollen Tales an ihr Ohr, und in der Stille der Sommernacht fand der italische Arzt allgemach das Gleichgewicht seiner Seele wieder, obgleich es noch oft genug wild in ihm aufkochte und unwillkürliche Ausrufe des Schmerzes und des Zornes sich seiner Brust entrangen.
Solange es noch hell genug dazu war, hatte er im Reiten mit einem Stift ein Blättlein Papier aus seiner Brieftafel beschrieben. Dann hatte er es mit der Brieftafel wieder in seine Brusttasche versenkt.
Rund und voll stieg der Mond über den Bergen hervor; auf den wolkenlosen Tag folgte eine ebenso wolkenlose Nacht. Kein Blatt am Baum, kein Grashalm regte sich, und lange Zeit wurde es kaum kühler auf den heißen Tag.
Die Emmer rauschte aber munter zur rechten Seite der drei Reiter, und endlich, endlich strich ein erfrischender Luftzug durch den vom Hohen Stoll und Pinberg sich herabsenkenden Wald.
Der Arzt Simone riß die Brustknöpfe seines Gewandes auf und atmete schwer und tief;
»Fausta La Tedesca!« flüsterte er. »Fausta wieder unter den Lebendigen?! Fausta wieder auferstanden aus dem Grabe! O das Verhängnis, das Verhängnis!« –
Unter dem Büsseberg, wo die schauerigen Felsen dicht am Wege und dem Emmerfluß emporragen, stand der alte, bemooste Grenzstein, bis zu welchem der Spiegelbergsche Reisige den welschen Arzt und seinen Diener zu geleiten hatte. An dieser Stelle hielt Klaus sein Roß an und nahm ganz höflich Abschied von den Fremden, um sie ihren Weg allein ziehen zu lassen.
»Fahret wohl«, rief er, »und was ich bitten wollt, jaget uns doch, wenn Euch Euer Weg hier wieder durchführen sollte, nicht wieder solch einen grausamen Schrecken ein. Übrigens, im Vertrauen gesagt, ich traue Euerm ehrlichen Gesicht doch mehr als dem wunderschönen Weibsbild, deren richtige Geschichte Euer Knab mir nicht anvertrauen wollt.«
»Möge ich nimmer hier wieder durchkommen!« sprach der Arzt, finster lächelnd. Er nahm seine Brieftasche heraus, zog das beschriebene Blatt hervor, faltete es zusammen und schrieb in einem Mondenstrahl die Adresse darauf. Darauf reichte er es dem Klaus und fuhr fort:
»Hier nehmet diesen Brief und bringet ihn Eurem Herrn, dem Grafen zu Pyrmont. Und zum Dank für Euer gutes Geleit haltet Eure Hand auf.«
Klaus Eckenbrecher nahm sowohl den Brief des Fremden als auch die beiden Goldstücke, welche dieser ihm mit in die Hand fallen ließ.
»Ich danke Euch und will Euch noch eine gute Meinung mit auf den Weg geben: Lockert Euer Schwert in der Scheide und lasset Euern Knaben nach seinem Feuerrohr sehen; es streicht jetzo viel böses Gesindel auf den Wegen umher und geht des Nachts auf Raub aus. Gute Nacht und glückliche Fahrt!«
Für den Italiener schien der Klaus mit seinem Dank und guten Rat gar nicht mehr in der Welt zu sein; seinem jungen Diener rief er zu:
»Via, Via, Paul! Fort, mein Sohn! Schüttle den Staub von deinen Füßen und vorwärts – vorwärts! Diese Luft erstickt mich!«
Im Galopp jagten beide weiter.
Kopfschüttelnd blickte Klaus Eckenbrecher den Davoneilenden nach, bis sie in dem Gewirr von Licht und Schatten, welches der Wald über die Straße legte, verschwunden waren. Dann wandte er sein Roß, ließ einen hellen Pfiff vernehmen, ließ die beiden empfangenen Goldstücke in der hohlen Hand aneinanderklingen und setzte mit einem lauten Jubelruf seinem Schecken die Sporen in die Weichen. Heimwärts galoppierte auch er durch die wunderschöne Mondscheinnacht. – Als er sich dem Dorfe Löwenhausen näherte, ließ er sein Pferd allgemach langsamer gehen und zog die Zügel zuletzt ganz an. Seitwärts beugte er sich und horchte; denn zu seiner