Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilhelm Raabe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027207619
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      Auch der letzte des gelehrten Dreigestirns erfuhr von neuem auf die eindringlichste Weise, daß er sein Bein nicht allein innehabe, sondern den Besitz desselben mit einem sehr ungern gesehenen und bewirteten Gaste teilen müsse. Aber noch etwas anderes verhinderte den deutschen Vortrag des Wackern.

      Ein mächtiges Klopfen erschütterte die baufällige Tür auf solche Weise, daß die drei Herren erschrocken in die Höhe fuhren.

      »Introite! Tretet ein; aber lasset die Türe ganz und heil!« rief der Rektor Huddäus, und ein junger Mann in der Reitertracht jener Zeit erschien auf der Schwelle und blies die Backen weit auf vor innerlichem Lachen ob dem Anblick der drei geplagten, schwarzen Gelehrten. Wir haben Mühe, in dem jungen Gesellen unsern guten Freund Eckenbrecher, den Galgenstrick von Holzminden, zu erkennen. Die fremde Luft und das fremde Brod haben ihm sehr wohl getan; Prügel hat er von seinen Kameraden dreimal tüchtig bekommen; man hat ihn zu einem stattlichen Reitersburschen mit Lederkoller, hohen Stiefeln, Schwert und breitkrämpigem Spitzhut herausstaffiert. Trotz seines heitern Temperamentes umschwebt in vergessenen Augenblicken ein Schatten innerlicher Rührung seine nichtsnutzige, windbeutelige Nase. Er hat erkannt, daß die Ferne sich zu einer Nähe verwandelt, welche keineswegs bloß Geld, Freiheit und Wonne ist. Klaus Eckenbrecher hat Zustände kennengelernt, in welchen sich der Mensch sogar nach dem Bakel eines Ehrn Valentin Fichtner und nach der lateinischen Grammatik zurücksehnen kann. –

      Der Rektor Huddäus und die beiden andern Herren schienen den Reiter recht gut zu kennen. Sie nickten ihm auf seine Verbeugung holdselig zu, und der Rektor von Minden fragte:

      »Nun, was bringet Ihr mir Gutes, mein junger Meister?«

      »Verzeihet, daß ich Euch störe, günstige Herren, bei der großen Hitz; aber Herrendienst ist ein schlimmer Dienst und gehet vor allem. Ich bringe Euch, Herr Rektor, einen schönen Gruß von meinem gnädigen Herrn, dem Herrn Grafen, an Eure Wohlgelahrtheit, und so Ihr die Gesetzlein für den Born fertig hättet, wär’s seine Bitt, daß Ihr kämet, sie ihm vorzulesen. Mein Herr Graf möchte sie wohl heute noch hören und sie anschlagen am Lindenbaum, von wegen des Volkes, so nicht mehr zu bändigen ist, wenn ihm nicht alsogleich die zehn Gebote schwarz auf weiß vor die Rotznasen genagelt werden!«

      Man sieht aus dieser langen Rede, daß der Klaus bereits Höflichkeit im Hofdienst gelernt hatte und es verstand, sich recht zierlich und anmutig auszudrücken.

      Der Rektor Huddäus nahm seine Ansprache auch mit Wohlwollen auf und entgegnete:

      »Soeben ist mit Gottes Hülfe das geringe Werk gelungen. Gern wäre ich dienstwilligst bereit, Euch zu dem Herrn zu Pyrmont zu folgen; aber –« Hier brach der Rektor ab und blickte trübselig nieder auf sein umwickeltes krankes Bein, welches auf einem niederen Schemel ruhte.

      »O, daran hat mein gnädiges Fräulein Ursula fürsorglich gedacht!« rief lächelnd Klaus Eckenbrecher. »Sie hat ihre Sänfte mit mir gehen lassen und mir befohlen, Eure Würden anzufassen gleich einem rohen Ei. Vor der Tür wartet die Sänfte auf Eure Hochgelahrtheit, und wenn Ihr Euch mir anvertrauen wollt –«

      »Gratias ago dominae meae, ich danke dem gnädigen Fräulein!« sagte seufzend der Rektor, welcher viel lieber ruhig sitzen geblieben wäre bei den Kollegen.

      »Ich werde kommen«, sprach er, nahm seine Papiere zusammen, faltete sie und steckte sie zärtlich in die Brusttasche seines weiten Obergewandes. Mühsam und ächzend erhob er sich, wobei er sich auf den Arm Eckenbrechers stützte.

      »So bin ich bereit! Uf – mein Fuß! Vorsichtig – ach, Gnade! Vor – vorsichtig – oh!«

      Die beiden Kollegen beneideten den Rektor in diesem Augenblick nicht um die Ehre der Aufstellung der Bronnengesetze; es überlief sie sogar ein gewisses kitzelndes Behagen, als sie zuschauten, wie ihr gelehrter Freund Arm in Arm mit dem jungen Reisigen zur Tür hinaushumpelte hinein in die Sonnenglut und die turba magna, den Spektakel des großen Haufens.

      Behutsam hob man den Rektor Huddäus in die harrende Sänfte des Fräuleins Ursula; aber es ging trotz aller angewandten Sorgfalt nicht ohne verschiedene leisere oder lautere Wehrufe ab. Nachdem der wackere Mann sicher eingepackt war, setzten sich die schwitzenden Träger in Bewegung und bahnten sich mit großer Mühe einen Weg durch die Menschenhaufen, welche die Dorfgasse anfüllten. Unser Freund Klaus Eckenbrecher schritt dicht neben der Tür der Sänfte her, um den ihm anvertrauten Schatz von Gelehrsamkeit und Zipperlein, welcher in dem schwankenden Kasten in ein sehr trübseliges Selbstgespräch sich versenkte, so sicher als möglich durch das Getümmel zu geleiten.

      Es tat wahrlich not, daß der handfeste junge Reitersmann zugegen war; denn je mehr man sich dem heiligen Born näherte, desto toller wurde das Getümmel und Gedränge.

      Hier kam ein kreischender Karren, mühsam nachgeschleppt von einem spatlahmen Pferde, welches von einem alten, verdorrten Weibe gelenkt wurde. Unter der Leinwanddecke, welche über dieses Gefährt gespannt war, kauerten andere alte, verdorrte und verhutzelte Weiberlein, welche viele Spottreden und Sticheleien in der Menge zu ertragen hatten, sich aber weidlich dagegen nach Weiberart wehrten.

      Der heilige Born zu Pyrmont war ja auch als ein Jungbrunnen im Land ausgeschrieen, und was alt war und Vertrauen hatte, konnte durch das Wunderwasser wieder jung und frisch werden gleich dem jüngsten und frischesten Mägdelein. Das war ein Segen! Das verrunzelteste Greuel und Scheuel hatte die beste Aussicht auf rosige Wangen, helle Augen und Gliederfülle – jedes Urgroßmütterchen konnte das lustige Jugendleben mit Liebäugeln, Männer-Quälen und -Betrügen von vorn anfangen, ohne Gefahr zu laufen, deswegen von einem Hexengericht befragt zu werden.

      Hier wackelte ein Landsknecht mit verbundenem Arm oder Kopf einher und fluchte sich eine freie Bahn. Gegen jede Wunde und Brausche, mochte sie noch so alt und bösartig, mochte sie auf dem Schlachtfelde oder in der Schenke geholt sein, half das gute Wasser des heiligen Borns zu Pyrmont.

      Hier verlegte ein Haufe fetter Barfüßermönche aus einem allzu nahrhaften Kloster zu Paderborn den Weg; – gegen jede Verdauungsstörung war der heilige Born ein untrüglich Heilmittel!

      Weiter hin schlichteten Spiegelbergische Knechte einen ausgebrochenen Kampf, in welchem die blanken Waffen bereits mitgespielt hatten; mit eigener Lebensgefahr mußten die Schloßleute den hitzigen, ineinander verbissenen Streitern die Wehren aus den Hände reißen. Dort lagerte eine Schar Spielleute aus einer Bergstadt im Harz um ein Feuer; dort zerhackte man einen eben geschlachteten Ochsen. Hier schlief, quer über den Weg liegend, ein Trunkener seinen Rausch aus, an welchem das Wasser des heiligen Borns nicht schuld hatte; dort errettete eine Mutter mit hellem Geschrei ihr Kind vor den Fußtritten einer andringenden Bande, welche einem Bänkelsänger nachfolgte.

      In tausenderlei Gestalten umdrängte die Gefahr des Umwerfens die Sänfte, und Klaus hatte genug zu tun, seinen Gelehrten aus allen diesen Gefahren zu erretten.

      Im Kulminationspunkt der »großen Vergadderung« kam natürlich am meisten Not an’n Mann; und es war ein Glück für die Träger der Sänfte, für die Sänfte selbst, für den Rektor und Freund Eckenbrecher, daß in dem Augenblick, wo der Zug sich hier durchwand, von der andern Seite her zwei Reiter erschienen, welchen das Volk, ohne durch Bitten und Drohungen gezwungen zu werden, Platz machte, wodurch auch Klaus für sich und seinen Schutzbefohlenen Raum bekam.

      Der vorderste der Reiter war ein sehr vornehm in schwarzen Sammet gekleideter Mann von ungefähr dreißig und einigen Jahren. Ein Schwert, ebenfalls in schwarzer Sammetscheide, hing ihm an der Seite; er ritt auf einem schwarzen Rappen und ließ sein kühnes, dunkles Auge ruhig über die wogende Menge hingleiten. Sein schwarzes Haar hing in wohlgeordneten Locken bis auf die Schultern herab; die Farbe seines Gesichtes war gelblich-bleich, doch hatte sie durchaus nichts Kränkliches.

      Ihm nach folgte auf falbem Roß ein Diener, fast noch ein Knabe, welcher einen Mantelsack hinter sich über den Sattel geschnallt hatte und mit einem kurzen Feuerrohr und einem kurzen Schwert bewaffnet war.

      Man sah auf den ersten Blick, daß weder der Herr noch der Diener dem germanischen Stamme angehörten, daß ein südlicheres Blut in ihren Adern pulsiere.

      Es würde sich schwer angeben lassen,