Den vereinigten Anstrengungen der Dörfler und der Städter, sowie dem gleich darauf lustig hereinbrechenden Platzregen gelang es denn auch bald, dem Feuer Einhalt zu tun, und nach Löschung des Brandes feierten der Pfarrer Chrysostomus und der Pastor Valentin Fichtner ein eigentümliches Wiederfinden.
In ihrer Jugend waren beide gute Freunde gewesen, wenn auch der katholische Geistliche dem protestantischen bedeutend an Alter vorging. Der Sturm der Reformation hatte sie auseinander gerissen, und sie waren als bittere Feinde voneinander geschieden.
Wohl hatten sie sich dann das letzte Jahrzehent hindurch als Nachbarn gewußt – nur durch den Fluß getrennt –, aber keiner hatte diese Nachbarschaft zu neuem freundschaftlichen Anknüpfen benutzen wollen.
Nun saßen sie, nachdem sie das Schicksal auf solche Art durch einen andern Sturm wiederum zusammengeführt hatte, beide alt und grau zum erstenmal nach so langer Zeit unter demselben Dache zusammen. Und der Katholik und der Lutheraner senkten die Häupter, sprachen von der Jugend, der alten Zeit und schüttelten sich die Hände ob der halberloschenen Erinnerungen.
Die geistlichen Berührungspunkte vermieden sie sorgsam, denn beide Männer kannten das damals aufkommende Wort: daß man mit dem Auge und der Religion vorsichtig umgehen müsse, wenn man in guter Freundschaft zu bleiben wünsche.
Der Vikar Festus lehnte während des Gespräches der beiden Alten an dem Stuhle seines Vorgesetzten und horchte mit allergrößter Gespanntheit.
Es war das erstemal, daß er einen lutherischen Priester, einen aus dem Heerlager des Feindes, in der Nähe sah. So ließ er sich nichts entgehen und hing mit ganzer Aufmerksamkeit an der rüstigen, festen, kernigen Gestalt und dem ernsten, biedern Gesichte des Pastors von Holzminden. Er konnte nicht anders, er mußte sich gestehen, daß wohl auch ein tüchtiger Geist in dieser tüchtigen Körperhülle wohnen müsse.
Nun sprach der Mann gar, ganz unbefangen, von seiner guten, toten Ehefrau, von seinem auf dem Schlachtfelde gefallenen Sohne und von seinem lieben Kindlein, der Monika, als ob das alles etwas ganz Natürliches sei und als ob durchaus nicht eine Verfinsterung des Himmels und ein Beben der Erde bis in die tiefsten Eingeweide die Folge davon sein werde.
In eine ganz andere Welt, eine unbegreifliche Welt sah der Vikarius dabei. Ein Gefühl tiefster Unruhe und Beängstigung überkam ihn, eine Beklemmung, welche er auf keine Weise loszuwerden wußte, welche ihn nachher durch Tag und Nacht verfolgte.
Also das waren die Ketzer, die nun schon nach Millionen zählten, welche Tausende und aber Tausende von Schwertern, Speerspitzen und Büchsenmündungen vorstrecken konnten, wenn man sie angriff; die Ketzer, welche blutige Schlachten geschlagen hatten, besiegt worden waren, gesiegt hatten, die Ketzer, welche so viele Bücher schrieben und druckten, so viele Kirchen bauten, so viele Glocken läuteten durch die ganze Christenheit?! …
Der geheimnisvolle, unheimliche Schleier, welchen die Ferne dem jungen Mönch um die Anhänger des neuen Glaubens gewoben hatte, lichtete sich plötzlich: die Gestalten, welche aus dem Nebel hervortraten, atmeten, sprachen, fühlten in Leidenschaft und Liebe gleich den Kindern der alleinseligmachenden Kirche. Gegen Schluß des Gespräches zwischen dem Pastor Fichtner und dem Pfarrer Chrysostomus wagte der Bruder Festus selbst ein Wort mit in die Unterredung zu werfen. Der Ring, welcher den Vikarius in den Kreis gewisser Meinungen und Anschauungen bannte, war gebrochen! –
Die letzten Wetterwolken hatten sich längst zerstreut. Hier und da wälzten sich freilich noch einige dunkle Massen über den Abendhimmel dem Norden zu; über den westlichen Bergen aber ging die Sonne glühend unter. Die niedergebrannten Hütten sandten nur noch unschädliche schwarze Rauchwolken aus ihren Trümmern hervor.
Die meisten Kähne der Städter hatten bereits den Fluß wieder gekreuzt oder schwammen eben über ihn hin, und zuletzt nahm auch der Pastor von Holzminden seinen Abschied von dem greisen, wiedergefundenen Freund.
Chrysostomus und sein Vikarius begleiteten ihn bis zu seinem Schifflein und blieben am Ufer stehen, ihm nachzuschauen, bis der Kahn den dunkelgewordenen Augen des Greises verschwand. Darauf ging der Alte zurück, die abgebrannten Pfarrkinder zu trösten und für ihr Unterkommen Sorge zu tragen; sein junger Amtsgehülfe dagegen zögerte noch ferner am Ufer und verfolgte das heimkehrende lutherische Schifflein mit den Blicken, bis zum gegenüberliegenden Landungsplatz.
Er hatte sehr scharfe Augen und sah deutlich, wie der Pastor Fichtner von einer Frauengestalt empfangen wurde. Lächelnd ertappte er sich über allerlei Vermutungen, ob das wohl die Monika sei, von welcher der geistliche Herr vorhin geredet hatte.
Dann kam aber auch über ihn die Not und das Gewimmel des erschreckten Dorfes und riß ihn aus seinen Träumereien empor. Die Klagen der Abgebrannten, das Weinen der Weiber um ihre verlorenen armen Habseligkeiten drängten seine Gedanken gewaltig in eine andere Richtung, und er ging, für eine obdachlos gewordene Ziege einen Unterschlupf ausfindig zu machen.
Der uralte Chrysostomus saß nach Sonnenuntergang noch lange in die Nacht hinein – ganz gegen seine sonstige Gewohnheit; denn er ging mit den Vögeln zu Bette und stand mit ihrem Morgenlied auf vom Lager. Er grübelte und sann und gedachte; wie doch alles so ganz anders geworden sei in der Welt und welch ein mächtiger Wille seine lenkende Hand ausstrecken müsse über all das in sich kochende und brodelnde Gewimmel des wunderlichen Menschenvolkes. Ihm war die Zeit des Hassens längst vergangen, mit der Hülfsbedürftigkeit war die Milde in sein Herz eingezogen.
Lächelnd schlief er über dem Gedanken: wie vergeblich doch aller Streit sei – ein; er war jedoch viel zu alt, um auch noch darüber zu träumen!
Mit einem andern Gedanken erwachte er am andern Morgen mit den Vögeln, wie gesagt. Frisch standen die Ereignisse und Erlebnisse des vergangenen Tages vor seiner Seele, und als um Mittag die Herbstsonne am wärmsten strahlte, fuhr er in Begleitung seines Vikars über den Fluß, um dem lutherischen Pastor seinen Gegenbesuch abzustatten, um demselben in dessen eigener Behausung nochmals für die gestern geleistete wackere Hülfe in der Not zu danken.
Da war’s, daß der Bruder Festus zum erstenmal den Fuß auf das rechte Ufer der Weser setzte, und sollte ihm das zu irdischem Verderb und unsäglichem Leide werden. So wollte es das Geschick!
Langsam führte er, nachdem der Kahn gelandet war, seinen alten Freund und Amtsherrn den abschüssigen Uferhang hinauf und trat mit ihm in die offene Tür des Pastorengartens, zu welchem mehrere ausgehöhlte Steinstufen in die Höhe führten.
Der Tag war warm und still, Wandervögel zogen hoch in der blauen, hellen Luft; der süße, heimliche Duft, welchen der Herbst so künstlich zu weben versteht, lag über der ganzen Gegend. Silberne Marienfäden hielten die Felder übersponnen oder schwebten langsam getragen einher und verhingen Weg und Steg.
Schon hatten Büsche und Bäume ihr vielfarbig Herbstgewand angelegt, und erstere prangten anstatt mit Blüten im zierlichen Schmuck ihrer roten, schwarzen, blauen und weißen Beeren. Obgleich allgemach manches gelbe Blatt sich loslöste von den Zweigen der abgeleerten Obstbäume, so waren doch die engen Wege des Gartens, durch welche die beiden katholischen Herren schritten, schmuck und rein gehalten. Man ahnte, daß eine sorgliche Hand hier waltete und alles in Ordnung hielt.
Niemand war zu erblicken, doch summte ganz leise hinter einem Gebüsch eine Mädchenstimme den Schlußreim eines Liedes.
Und als die beiden Männer um dieses Gebüsch herumschritten, richtete sich die Sängerin, eine junge liebliche Maid, erschrocken und errötend auf von einem Beet voll blühender Astern.
Der alte Chrysostomus trat aber lächelnd sogleich auf sie zu und streckte ihr die Hand entgegen mit den