»Ja, schießen kann er und Fische fangen und Vögel stellen!« riefen die Bürgersleute.
»Und die Mädchen küssen!« schrie eine einzelne Stimme hell aus dem Haufen. Ein Genosse des Eckenbrechers gab so seinen Senf dazu.
Einen wütenden Blick warf der Angeschuldigte nach der Seite, von welcher diese letzte schnöde Behauptung kam.
»Nur die Monika! Bei Gott, nur die Monika, du Schuft!« brüllte er. »Komm heraus, wenn du was willst, und verkriech dich nicht hinter den Weiberröcken!«
»Halt da!« rief der Spiegelberger lachend. »Ich will’s schon glauben, daß du nur die Monika küssest! Das ist auch recht! Immer nur eine, die aber dann tüchtig! Wie nennst du dich eigentlich?«
»Klaus Heinrich Eckenbrecher!«
»Ins Schiff mit dir, Klaus! Ich geb dir ein Pferd, Wehr und Waffen und lasse dich aufhängen, wenn du nicht gut tust. Ich nehme dich mit mir; die Schwester schreibt mir ja, daß wir daheim nicht Leute genug haben, Haus und Hof zu schützen. Ade ihr Herren allgesamt! Grüß euch Gott und schütz euch Gott!«
»Behüt Euch Gott und schütze Euch, Herr Graf zu Pyrmont!« rief das Bürgervolk und schwang die Hüte hoch in die Luft. Philipp von Spiegelberg sprang zurück in seinen Kahn, die Hornbläser setzten ihre Instrumente zu einem kräftigen Tusch an die Mäuler, die Ruderer legten sich an die Stangen und stießen ab vom Ufer.
Wie im Traum stand Klaus Eckenbrecher neben dem Sitz des Grafen, seines jetzigen Herrn. Im roten Licht der Fackeln starrten ihn alle die Gesichter der Leute von Holzminden an, – er träumte, er träumte jedenfalls!
Und jetzt glitt das Schifflein, welches ihn forttrug, vorüber an dem Pfarrgarten, und auf der Mauer stand, kaum erkennbar, eine zarte, schlanke Gestalt, und es war dem Klaus, als höre er ein leises Weinen und den klagenden Ruf:
»Lebe wohl, lebe wohl, Klaus, und behüt dich Gott in der weiten Welt!«
Zentnerschwer fiel’s dem Knaben auf sein leichtsinniges Herz, er hob sich hoch und rief in die Höhe zu der wohlbekannten Mauer empor:
»Ade, ade, ade, Monika! Bleibe treu; ich komme wieder! Ade, ade, ade!«
Mit der Mütze winkte er und schaute rückwärts, bis Städtlein und Pfarrgarten und die Gestalt auf der Mauer versanken in der dunklen Nacht und das Schifflein unter den Felsen des Kiekensteins in die Biegung und die Stromschnelle schoß.
»Wann sich zwei Herzen scheiden,
Müssen vier Augen darob weinen!«
In dieser Minute erst wurde dem wilden Klaus die ganze Bedeutung dieses alten, trüben Reimsprüchleins klar. –
Viertes Kapitel
Von dem Bruder Festus, und wie Herzen und Gedanken in dieser Welt so gar kuriosen Lauf nehmen.
Es war ein unbeschreibliches Gefühl, mit welchem der junge Vikar des Pfarrers Chrysostomus auf dem westfälischen Ufer die Waldhörner des Grafen von Pyrmont in der Ferne verhallen hörte und den Fackelschein verleuchten sah an den Bergen. Ein unendlich tiefes, namenloses Sehnen, welches längst sein Herz eingenommen hatte, überkam ihn ob diesen verzitternden Tönen in der dunklen Nacht, während der große Komet am Himmel erglühte, mit doppelter Gewalt.
Es sagt der Spruch:
»Krieg, Aufruhr, Blutvergießen viel
Dir ein Komet besagen will;
Unter den Leuten große Not,
Auch großer Herrn und König Tod.«
Ja, »unter den Leuten große Not« deutete der fremde, furchtbare Stern an, und dräuend leuchtete er auch über dem Haupte des Vikars Festus.
Erst eine kurze Zeit, kaum ein Jahr, war vergangen seit dem Tage, an welchem Festus, der Mönch, aus seinem Kloster in der Pfaffengasse am Rhein in dem armen Dorfe Stahle an der Weser angekommen war, grad wie »der Wind die Schwalben herwehete«.
Der Bruder Festus kam zu Fuß, den Wanderstab in der Hand, ohne irgendein anderes Hab und Gut als ein kleines Meßbuch, welches er selbst mit hübschen Bildern und bunten, goldenen Initialen ausgeziert hatte; denn er war ein guter Maler und wußte den Griffel und den Pinsel gleich wohl mit künstlicher Hand zu führen.
Es war ein Abend gegen das Ende des April, als er in das Dorf an der Weser müde einwanderte und das Pfarrhaus erfragte von den grüßenden Bauern, welche seiner Ankunft schon lange entgegengesehen hatten. Sämtliche Kinder des Dorfes geleiteten ihn nach der niedern, mit Stroh gedeckten Hütte, und aus der Pforte derselben trat der alte Chrysostomus und streckte dem scheuen, errötenden Ankömmling beide zitternde Hände entgegen und sprach:
»Gesegnet sei dein Eingang, mein liebes Kind! Sehnlichst haben wir dich erwartet, geliebter Sohn; nun gehe ein unter das Dach deiner Heimat und ruhe deine müden Füße!«
Und Festus hatte dem Greise die Hand geküßt und dieselbe Hand segnend auf seinem Scheitel gefühlt. Dann hatte er sein Hülfsamt damit begonnen, daß er den alten Mann, sorgsam ihn unterstützend, zurückführte in das Haus. Mit heiligem Eifer widmete er sich dem ihm auferlegten Amte, in träumischer Gottinnigkeit die stille Weise des Klosters in das Leben übertragend.
Bis in den fruchtreichen, segenvollen Herbst des Jahres 1555 saß er ruhig und still, hörte die Weser unter seinem Fenster vorüberrauschen, tröstete die Irrenden und die Betrübten, pflegte die Kranken und die Blumen des alten Chrysostomus und malte auf zierlich ausgeschnittenes Papier für die Kinder des Dorfes, die jungen Dirnen und Bursche den heiligen Georg und die heilige Agathe, die Mutter Maria und Sankt Peter mit den Schlüsseln oder der Geiß, auch viele andere heilige Männer und Frauen mit allerhand Marterwerkzeugen in den Händen. Am liebsten gab er freilich allen seinen Märtyrern statt der blutigen, grausamen Werkzeuge den stillen grünen Palmenzweig in die Hand. Und um jedes Bildnis malte er fein und zierlich einen Blütenkranz von Rosen oder Lilien oder von beiden zugleich. Der Bruder Festus liebte sehr die Rosen und die Lilien.
Aber nicht allein die katholischen jungen Herzen beschenkte er mit solchen bunten Bildern; auch die lutherischen Kinder drüben am rechten Ufer des Flusses hatten solche zierliche Blättlein gern, und manch ein farbenreiches Blatt von der Hand des Bruders Festus flatterte über den Strom und nistete sich ein in einem ketzerischen Gesangbuch.
Lag ja auch, zum Exempel, ein solches Bild der gottseligen Jungfrau in dem Liederbuch Martin Luthers, welches Eigentum der holden Monika Fichtner war. Klaus Eckenbrecher hatte es natürlich eingefangen, wer weiß wo, und es seinem Schatz zugesteckt in der Nachmittagskirche. –
So flossen, wie gesagt, in müdem Frieden die Tage dem Bruder Festus dahin bis in den Herbst hinein, wo ein seltsames Ereignis auf das Dorf Stahle und den jungen Vikarius fiel und den letztern aus allem, was bisher einzig und allein seine Welt gebildet hatte, herausriß, ihn verstörte, verwirrte, erschütterte bis in das tiefste Herz.
Eine Woche nach dem ewig denkwürdigen Tage, an welchem der König Ferdinand zu Augsburg den Religionsfrieden abschloß, zog gegen Abend ein grausames Ungewitter nach einem schwülen Tage über den Heinser Wald heran und fing sich in den Bergen, welche das Tal bilden, worin das Dorf Stahle und die Stadt Holzminden liegen, wie in einem Sacke.
Tiefdunkel ward’s, und alle Leute reckten mit Grausen die Hälse empor und harrten in Furcht des Unwetters, welches da kommen sollte. Bald brach es auch los mit aller Gewalt. Blitz folgte auf Blitz, Donner auf Donner. Ringsumher in der Gegend läutete man auf allen Kirchtürmen – katholischen und protestantischen – die Wetterglocke. In jedem Haus weit und breit streute man Salz auf die Tischecken, betete man den Wettersegen.
Aber was geschehen sollte, geschah!
Es fuhr ein Strahl herab aus den schwarzen Wolken, zündete in Stahle ein Strohdach an