Nichtsdestoweniger aber befahl er seinem Gefolge, sich zur Abreise bereitzuhalten.
Auch in die große Halle des Klosters schlug die unerwartete Nachricht ein gleich einem Blitzstrahl aus heiterem Himmel. Rosse und Reiter schüttelten darob traurig entsagend die Köpfe, und gewaltiges Getöse bewegte die Gewölbe und Höfe der sonst so stillen Abtei. Schon wurden auf Befehl des Abtes die Schiffe des Stiftes gerüstet und die Ruderer aufgeboten; denn der Graf zu Pyrmont wollte seine Heimfahrt wenigstens so lustig als möglich machen und zog die Wasserfahrt dem Ritte quer durch das Land vor.
Gegen fünf Uhr des Nachmittags war alles bereit zur Fahrt die Weser hinunter.
Drei große Kähne lagen unter den hohen, noch kahlen Kastanienbäumen am Ufer des Flusses und nahmen gegen sechs Uhr die Mannen von Pyrmont auf.
Der erste Kahn trug ein Zelt, geziert mit den Farben der Abtei. In dieses stieg gestiefelt und gespornt, äußerlich beruhigt, aber innerlich grollend, Herr Philipp samt seinen Adelbursen, seinem Bannerträger, seinem Stallmeister und zwei Hornbläsern. In den beiden andern, größeren richteten sich die Knechte ein. Neben jedem Reiter stand das aufgezäumte Roß.
Jetzt wurden Fässer mit Getränken, gut gegen die kühle Nachtluft, herbeigetragen und ebenfalls in die Schiffe gebracht. Der Abt samt seinen Mönchen gab den scheidenden Gästen das Geleit bis ans Ufer. Noch einmal entstand ein bedeutendes Händeschütteln zwischen Laien und Pfaffen, Beteuerungen, Freundschafts-und Dienstversicherungen aller Art mischten sich darein; dann stießen die Ruderer ab vom Lande, und unter lautem Zuruf glitten die Schiffe in die Mitte des Flusses.
Die Hörner bliesen der gastlichen Abtei und ihren frommen Bewohnern zu Ehren zum Abschied ein lustiges Stücklein, die Reisigen riefen: Hallo und Vivat – die Rosse wieherten und ließen sich kaum bändigen, die Pagen schrieen: Heil dem Bruder Kellermeister! Heil dem Küchenmeister! Dreimal Heil dem Herrn Abt von Corvey!
Die guten Benediktiner aber, mit ihrem freundlichen Abt an der Spitze, winkten vom Ufer mit den Händen und den Sacktüchlein und lachten fröhlich in geistlicher Dezenz ob dem unverhohlenen Unmut, mit welchem die Gäste schieden. Die Hintersassen der Abtei drängten sich ebenfalls an das Ufer von den Klosterfeldern her und schrieen ebenfalls aus vollem Halse: Vivat! Vivat! Heil! Heil!
Aber schon ward die Dämmerung zur Nacht. Die Sterne und der große Komet mitten unter ihnen traten hervor am Himmelsgewölbe. Auf den drei Kähnen zündete man die mitgenommenen Fackeln an. Lustig spiegelte sich der Feuerschein im Strom, in den Brustharnischen der Reisigen, in den Bechern, in den Augen und allem, was sonst noch glänzen konnte.
Jetzt riefen die Glocken der in Nebel und Dämmerung schwindenden Abtei zur Abendmette, und aus der Ferne drang leise das Geläut der Stadt Höxter herüber, während das protestantische Ufer stumm liegenblieb.
Vorüber glitten die Berge und die Ebenen, die Dörfer und die einzelnen Gehöfte und Häuser,
»Ho, ho, immer donne, immer donne!« erklang der Ruf der Ruderer, wie sie sich kräftig an die Ruder legten. In den beiden letzten Schiffen stimmten die Männer mit rauhen, unharmonischen Kehlen ein Wanderlied an, welches gar keine üble Wirkung machte.
Nun lief der Schein der Fackeln an der Tonenburg herauf. Aus Albaxen strömten die aufgeschreckten und neugierigen Bauern haufenweise an das Ufer – nun war der Augenblick gekommen, wo Klaus Eckenbrecher von der Mauer des Pfarrgartens verwundert nach dem seltsamen Lichterglanz auf dem Flusse ausschaute.
Aber nicht allein die Aufmerksamkeit der Albaxener Bauern und des Klaus wurde erregt, sondern ein jäher Alarm lief blitzschnell durch das ganze Städtlein Holzminden. Boten eilten zum Bürgermeister Herrn Henning Uhlenhut und zum fürstlichen Amtmann.
Das Volk stürzte aus den Häusern in die Gassen und hinunter zum Fluß, und manch eine Abendsuppe wurde kalt darob, und manch ein Krug voll Bier wurde schal und stand ab.
Die wackeren Bürger, nun schon wochenlang durch den greulichen Kometen in großer Aufregung gehalten, witterten in dieser ungewöhnlichen Lichterscheinung das verderbenbringende Geschick, welches der Schweifstern verkündigt hatte. Sie waren der Meinung, nun nahe das Schrecknis, nun komme Krieg, Mord und Brand, nun seien die bösen Zeiten des Glaubenskrieges von neuem vor der Tür.
Mit unbegreiflicher Schnelligkeit hatte sich die Panik durch die Stadt verbreitet. Es wurde ein Leben in den Gassen, wie wenn der Ruf durchs Dorf erschallt: Der Weih kommt, der Weih kommt!, ein schwarzer Punkt, kaum bemerkbar dem unbewaffneten Auge, in der blauen Luft schwebt und Weiber und Hühner vor Angst und Not nicht wissen, wohin.
Die Mutigsten der Bürger langten die verrosteten Hakenbüchsen von den Wänden und sahen sich nach Pulver, Kugeln und Lunten um; Spieße und Hellebarden wurden aus den Winkeln gerissen, die alten Schwerter umgeschnallt oder auf die Schulter gelegt, wenn die Mäuse das Lederwerk zerfressen hatten. Pickelhauben wurden auf gekämmte und ungekämmte Köpfe gestülpt, Brustharnische wurden umgeschnallt. –
Die Hasenherzen dagegen und die Weiber warfen trostlose Blicke auf die Tapfern und auf ihre Habseligkeiten, ließen das Wertvolle unbeachtet und suchten mit zitternden Händen allerlei Rumpelei zusammen, um sich im Notfall damit zu retten aus der hereinbrechenden Verwüstung und dem Weltuntergang.
Der Bürgermeister Uhlenhut, der Amtmann, die Ratsleute und alles Federvieh samt Ferkeln, Hunden, Katzen und Kindern war befehlend, rufend, gackernd, schnatternd, quietschend, bellend, miauzend, kreischend urplötzlich auf den Beinen.
Wer konnte wissen, was da feurig die Weser herabschwimme, ob der Kaiser, der Teufel, der Papst oder der Türke? Alle vier gleich gefürchtet zu jener Zeit von den Anhängern Martin Luthers.
Auf dem von der alten Burg der Grafen von Eberstein allein noch übriggebliebenen festen, runden Turme brachten die strategischen Genies des Gemeinwesens die einzige, verrostete Kartaune, welche die Stadt besaß, in solche Lage gegen den Spiegel des Flusses, daß wenigstens sein Schuß – wenn es Gottes Wille sein sollte und das alte Ding losging – ein Boot voll Übeltäter und Raubgesindel treffen und in den Grund bohren könne.
Reisig häuften andere Kriegskundige an der Fähre zusammen, um es beim Näherkommen des Abenteuers in Brand zu setzen, damit man doch sehen könne, mit wem man es eigentlich zu tun habe.
Hinter den Holzhaufen, welche zum Verflößen am Ufer bereit lagen, postierten sich die besten Schützen der Stadt, die Männer, welche gewöhnlich den Vogel auf dem Schützenhofe abschossen, und eifrig bliesen sie ihre Lunten an.
Der Pfarrer Fichtner, welcher den Chorrock übergeworfen, die Bibel in die Tasche gesteckt und das Schwert seines Johannes unter den Arm genommen hatte, schritt hin und wider durch die Menge, ermutigend, tröstend, beruhigend, wie es einem mutigen, echten Seelenhirten zukam; denn überall herrschte Verwirrung und Not, und der einzige Gleichmütige und Sorglose in diesem wimmelnden und aufgestörten Ameisenhaufen war Klaus Eckenbrecher. Er sah sogar den kommenden Schrecknissen mit einem gewissen kitzelnden Behagen entgegen. Zu verlieren hatte er nichts, und vielleicht konnte er alles gewinnen, wenn ihm das Schicksal wohlwollte und ihm eine Gelegenheit gab, die holde Monika aus hundert Fährlichkeiten zu retten.
Wie vortrefflich würde es dann sein, wenn der »Alte« nun einsähe und eingestände, der Klaus sei doch ein ganz ausgezeichneter Bursche! Wie hübsch würde es sein, wenn er – der Alte – aus Dankbarkeit ihn – den Klaus – auf der Stelle mit der holden Monika kopuliere und alles Volk von Holzminden dabeistünde mit abgezogenen Hüten und jämmerlich dem Klaus das angetane Unrecht abbitte!
Mochte der Feuerschein bringen, was er wollte, dem Klaus Eckenbrecher sollte es nicht zum Schlechten ausschlagen!
Der Bube hatte längst seinen Lugaus auf der Mauer des Pastorengebäudes aufgegeben und trieb sich nun, die Hände in den Taschen, das kohlblattähnliche Barett mit der Falkenfeder verwegen zur Seite gerückt, am Ufer der Weser umher, um das nahende Abenteuer aus der ersten Hand zu haben. Den Bürgermeister Uhlenhut, welcher in zitternder Hast, obgleich er vollkommen nüchtern war, einherwackelte gleich einem alten Bacchanten oder einem Leinweber – trat er auf den Fuß, ohne sich nur zu entschuldigen, ja, der abscheuliche Bösewicht