»Und jetzt möchten Sie wissen, ob bei uns im Verfassungsschutz Gefahr droht? Keine Sorge, unsere Akten sind noch überwiegend aus Papier. Das gilt jedenfalls für die Schulungsunterlagen, wie sie Snowden bei der NSA rausgetragen hat. Der letzte Whistleblower-Vorfall, den wir hatten, war 1995. Der Verfassungsschutz wird der Branche keine Schande machen – jedenfalls nicht auf diesem Gebiet …«
»Ja, die Geheimhaltung funktioniert in Ihrem Hause ja in letzter Zeit geradezu unheimlich gut. Womit wir beim unangenehmen Teil unseres netten Gesprächs wären. Von der NSA zum NSU.«
»Sie verstehen, dass ich das Thema nicht mit Ihnen erörtern kann. Außerdem kennen Sie die Absprache, die ich mit meinem Stellvertreter habe, dass ich mich nicht über die Details alter Geschichten informieren lasse, um diese gegebenenfalls plausibel abstreiten zu können. Ich will nur verantwortlich für das sein, was während meiner Amtszeit in meinem Haus geschieht.«
»Selbstverständlich. Es gibt da aber eine Sache, bei der meine Mitarbeiter gerne Klarheit für die Aktenlage hätten, aber schlecht direkt in Ihrem Haus nachfragen können. Stichwort NPD. Es gibt da in der Region Franken zwei NPD-Funktionäre, die wir auf dem Schirm haben, weil sie auch im Ausland entsprechend vernetzt sind. Die haben sich über die Jahre hinweg gegenseitig darin überboten, wer der größere Hetzer war. Sie wissen, welche zwei Vögel ich meine.«
»Natürlich …«
»Bei diesen beiden übereifrigen Neonazis sprechen gewisse Anhaltspunkte dafür, dass sie nicht ganz authentisch sind. Dafür sind sie bisweilen eine Spur zu missionarisch und auch sonst zu auffällig.«
»Ist uns auch schon aufgefallen. Glauben Sie, dass die beiden fremdgesteuert sind?«
»Zumindest bei einem der beiden sind wir ganz sicher, dass er von interessierter Seite gezielt zur Provokation eingesetzt wurde. Wir hatten lange einen ausländischen Geheimdienst im Verdacht, was wir gerne ausschließen würden. Der Mann ist allerdings seit letztem Jahr auf einmal sehr ruhig geworden. Wir fragen uns jetzt natürlich, ob das vielleicht etwas mit der Weisung der Bundesregierung von letztem Jahr zu tun haben könnte, alle V-Leute in der NPD abzuschalten.«
»Die sind wohl beide sehr ruhig geworden, seither …«
»Würden Sie mal zwinkern, ob wir mit der Vermutung richtig liegen, dass der eine von beiden ein V-Mann aus Ihrem Laden war?«
»Wenn Sie nur nach dem einen fragen, dann haben Sie offenbar Erkenntnisse über den anderen?«
»Vielleicht.«
»Vielleicht deshalb, weil der andere Ihr eigener V-Mann war?«
Fricke grinste. »Ich kann es nicht ausschließen …«
Ellen grinste zurück, sah kurz verschämt zu Boden und dann Fricke verschmitzt in die Augen. Dann lachte sie kopfschüttelnd. »Was für ein Irrsinn! Wir haben auf Kosten der Steuerzahler Nazis inszeniert, die sich gegenseitig für echt halten! Wenn das rauskommt, wird es wirklich peinlich.«
»Wird es nicht. Wir haben unseren Mann abgeschaltet, und ich habe meine Leute im Griff. Unser Ex-V-Mann wird mit Sicherheit nicht an die Öffentlichkeit gehen. Und zwar deshalb, weil er Angst vor Ihrem Schützling hat. Ist Ihrer berechenbar?«
»Davon gehen wir aus. Der wurde von einem Landesamt für Verfassungsschutz geführt, nicht direkt von uns. Er scheint aber auch kooperativ zu sein, denn er hat Angst vor Ihrem V-Mann …« Beide mussten lachen, Fricke erhob das Glas, Ellen stieß an.
»Wenn noch ein dritter Nazi da wäre, müssten wir wohl den MAD fragen, ob das dessen V-Mann ist«, scherzte Fricke.
»Ich habe nie so recht verstanden, warum der BND und der MAD V-Leute in die NPD schicken. Politische Parteien sind doch eigentlich die Sache des Verfassungsschutzes. Und überhaupt: Die Entscheidung der Bundesregierung, die V-Leute in der NPD abzuschalten, hat sich aus meiner Sicht bewährt. Wir sind heute nicht schlechter informiert als vorher, aber zuverlässiger. Dieser ganze V-Mann-Mummenschanz war unterm Strich kontraproduktiv. Die haben uns häufig Märchen erzählt und kaum Erkenntniswert gebracht. Beim NSU waren einundzwanzig V-Leute im inneren Kreis, und keiner will gemerkt haben, dass wir es mit Terroristen zu tun hatten. Stattdessen haben wir die NPD auch noch finanziert und damit Staatstheater produziert.«
Fricke lächelte milde. »Diese Tragikomödie wurde ja nun endlich vom Spielplan genommen. Wir werden dann unsere Akten in dieser Sache endgültig schließen und in dreißig Jahren haben die Historiker ihren Spaß mit unserem Fall. Wir haben ja zurzeit eine Historikerkommission im Haus, die alle Akten bis 1975 sichten darf.«
»Bei uns nimmt inzwischen auch eine solche Historikerkommission ihre Arbeit auf, was von einigen Mitarbeitern sehr kritisch gesehen wird. Vermutlich wird es zu Aktenschwund kommen.« Ellen machte ein ernstes Gesicht und fuhr dann fort. »Die V-Mann-Führer haben diesen Nazis ihr Wort gegeben, dass niemals etwas rauskommt, und sie bestehen darauf, dass ihre V-Leute nicht in die Pfanne gehauen werden, auch nicht in dreißig Jahren. Die V-Mann-Führer haben im Amt einen starken Rückhalt, und wir könnten einpacken, wenn wir unsere Quellen ans Messer liefern. Von mir wird natürlich erwartet, dass ich mich vor meine Leute stelle.«
»Ich beneide Sie nicht um diese Aufgabe. Aber Sie sind ja anscheinend geübt darin, zwischen allen Stühlen zu sitzen!«
Ellen lächelte. »Hatten Sie nicht versprochen, nicht über Bogk zu sprechen?«
»Touché!«
»Aber warum eigentlich nicht? Was halten Sie von Bogk?«
»Nun ich habe im Bundeskanzleramt Leute kommen und gehen sehen. Politiker sind nun einmal Politiker. Bogk ist einer von denen, die ihre Aufgabe verstanden haben und pragmatisch entscheiden. Die Historiker werden das eine oder andere wahrscheinlich etwas kritischer beurteilen, aber wir können jedenfalls mit ihm arbeiten.«
»Sind Sie denn nicht irritiert über seine zahlreichen Aufsichtsratsämter? Als Chef des Bundeskanzleramts sollte er doch ausschließlich den Interessen der Wähler und nicht bestimmten Unternehmen verpflichtet sein.«
»Bogk lässt doch seine Aufsichtsratsämter ruhen, solange er den ChefBK gibt. Oder haben Sie da etwa andere Erkenntnisse?«
Ellen sah ihm eine Weile schweigsam in die Augen und schielte dann nach dem Kellner, der den Raum aber inzwischen verlassen hatte.
»Bogk ist nicht nur formal, sondern auch faktisch noch immer Aufsichtsrat von Schröder-Lehmeyer. Die haben morgen Aufsichtsratssitzung, zu der auch Bogk eingeladen ist. Die Sitzung halten sie aber nicht im Büro ab, sondern in einem gecharterten Flieger. Und da werden achtzehn zusätzliche ›Stewardessen‹ mit an Bord gehen.«
Fricke legte den Kopf zur Seite. »Und die Stewardessen sind in Wirklichkeit keine?«
»Nein, die sind von einer Escort-Agentur. Hoffentlich kriegen die den Flieger hinterher wieder sauber.«
»Schröder-Lehmeyer wäre sehr verärgert, wenn der neue Schützenpanzer nicht an der Ruhr gebaut werden würde, oder?«
»Er wird an der Ruhr gebaut werden. Das werden die tüchtigen Stewardessen schon hinbekommen!«, antwortete Ellen süffisant.
»Vermutlich. Frau Dr. Strachwitz, ich …«
»Ellen!«
»Ellen! Ich wäre nicht überrascht, wenn es in den nächsten Wochen noch gewisse Veränderungen gibt. Halten Sie die Augen offen.