Das Netzwerk. Markus Kompa. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Markus Kompa
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783864896224
Скачать книгу
absetzen konnte, checkte sie vorher noch den Rechner, auf dem sie sensibelste Informationen lagerte. Dazu tippte sie ein paranoid langes, fünfundzwanzigstelliges Passwort ein. Access denied. Wahrscheinlich hatte sie sich nur vertippt. Doch auch ihre nächsten beiden Versuche scheiterten. Sie schrieb das Passwort auf Papier und strich nach jedem quittierten Tastendruck ein Zeichen durch. Doch der Rechner wollte nicht aufgehen. Sie trank das Glas auf ex. Mehr aus Trotz versuchte sie es mit einem Neustart und schenkte sich ein weiteres Glas ein. Noch war ein Softwareproblem nicht gänzlich auszuschließen. In Connys Rechner einzudringen, war eigentlich unmöglich. Während des Neustarts vergewisserte sie sich, dass sie ihren Schlüsselanhänger in Form eines Miniatur Darth Vader noch bei sich trug und nahm ihn beinahe ängstlich in ihre Faust. Er war ihr wertvollster Schatz.

      Auch nach dem Neustart blieb der Rechner versiegelt. Conny schwante Übles: Im besten Fall waren ihre Daten künftig weg. Im schlechtesten war die Hackerin selbst gehackt worden.

      Dienstag, 25.06.2013, 11:43 Uhr

      »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll!« Der Chef des Bundeskanzleramts (ChefBK) und Minister für besondere Aufgaben Jan-Gerd Bogk hatte sich in der »Präsidentenrunde« Lehrs Vortrag schweigend angehört. Jeden Dienstag tagten im siebten Stock des Bundeskanzleramts die Präsidenten der drei Geheimdienste sowie des Bundeskriminalamts im Beisein des ChefBK Bogk und seines Geheimdienstkoordinators Konstantin Irion. »Wir brauchen wohl kaum darüber zu diskutieren, dass der deutsche Geheimdienst keine Leute umbringt. Und wenn es beim Militär irgendwelche Kooperationen mit den Amerikanern gäbe, dann wüsste ich das doch wohl als Erster, oder?«

      Den Anwesenden war durchaus bekannt, dass es im Verteidigungsministerium die sogenannte »Afghanistan Connection« gab, eine Clique aus zirka dreißig hochrangigen Kommandeuren, die der Krieg in der Ferne zusammengeschweißt hatte.

      »Ja, das Ganze ist völlig absurd«, pflichtete MAD-Chef Lehr bei. »In Afghanistan wirken wir gerade einmal bei der Auswahl von Zielpersonen mit. Außerhalb des militärischen Operationsgebietes hat die Bundeswehr mit Liquidierungen der Amerikaner nichts zu tun, jedenfalls nicht operativ. Wir geben der NSA zwar Informationen, die sie für die Auswahl von Zielpersonen nutzt. Wir dulden auch die Stützpunkte der CIA in Deutschland und drücken bei der Steuerung von Drohneneinsätzen von Ramstein Airbase aus alle Augen zu. Aber wenn die CIA am Boden jemanden mit einer nassen Sache vom Spielfeld nehmen will, dann macht sie das schon selbst. Die Amerikaner würden uns da schon deshalb nicht mit reinziehen, weil sie ohne Not keine Geheimnisse mit uns teilen wollen. Schon gar keine, die sie in Verlegenheit bringen könnten. Auch eigenmächtiges Vorgehen seitens einiger Kommandeure kann ich mir nicht vorstellen.«

      »Plemplem scheint mir Ihr Soldat aber auch nicht zu sein …«, warf Bogk ein.

      »Nein, ist er nicht. Bis letzte Woche hatte er ausgezeichnete psychologische Beurteilungen. Hat sogar den Tod seines Kameraden und besten Freundes gut verkraftet. Unsere Psychologen sind sich sicher, dass er glaubt, was er sagt.«

      Ellen und Fricke sahen Lehr irritiert an. Das konnten Lehrs Leute nur durch Analyse des abgehörten Gesprächs bei Reinecke herausgefunden haben, von dem Bogk nichts erfahren sollte. Doch die Frage, worauf der MAD-Chef seine Einschätzung gründete, interessierte Bogk offenbar nicht. Er war Profi und Pragmatiker, ihn interessierten nur Ergebnisse, nicht aber Details, die zu kennen in einem Untersuchungsausschuss peinlich für ihn werden könnte.

      »Es wäre vorstellbar, dass KSK 656 unter falscher Flagge angeworben wurde«, fuhr Lehr fort. »Vielleicht hat ein ausländischer Dienst dem Mann vorgespielt, er würde für uns arbeiten.«

      »Möglicherweise eine Provokation, um uns zu diskreditieren?«, vermutete Fricke.

      »Das ergäbe am ehesten Sinn«, pflichtete Lehr bei. »Immerhin hat ihm de facto jemand Geld gegeben und ihn professionell unterstützt. Allerdings war die Ansprache bei Reinecke etwas ungeschickt, wenn man Desinformation platzieren will. Ergibt einfach alles keinen Sinn.«

      »Sehen Sie das Risiko, dass der Mann durchdreht und eine polizeiliche Gefahr darstellen könnte?«, fragte BKA-Präsident Vetter.

      »Nein, er gilt als umsichtig und verantwortungsvoll. Ich denke nicht, dass wir mit einem Amoklauf oder Ähnlichem rechnen müssen. Privat besitzt er keine Schusswaffen oder Sprengmittel.«

      Fricke holte Luft: »Erfolgte der Zugriff nicht etwas früh? Hätte man ihn unter langfristige Beobachtung genommen, hätte man seine Kontakte vielleicht aufklären können.«

      »Unsere Erwägungen zur Gefahr in Verzug habe ich dargelegt«, antwortete Lehr in sachlichem Tonfall. »Das Risiko weiterer Journalistenkontakte und eines Untertauchens haben den Zugriff aus unserer Sicht notwendig gemacht. Ich stehe hinter der Entscheidung meiner Leute.«

      »Wie konnte die Festnahme eigentlich schiefgehen?«, wollte Fricke wissen. »Es waren doch sechs Männer im Einsatz, von denen vier eine Schusswaffe mitführten.«

      »Wir wollten kein Aufsehen erregen und hatten ihn zu einem informellen Gespräch ins Ministerium komplimentiert«, erklärte Lehr. »Hätten die Feldjäger ihn offiziell in Berlin-Mitte verhaftet, könnten Sie das heute zumindest in der Lokalpresse lesen. Hätten wir etwa ausgerechnet im Berliner Botschaftsviertel rumballern sollen?«

      »Meine Herren, das bringt uns nicht weiter!«, fuhr Bogk dazwischen. »Wenn ich es richtig sehe, dann können wir im Augenblick nur abwarten, bis er wieder auftaucht. Also sparen wir unsere Energie. Halten Sie mich bitte in dieser Sache auf dem Laufenden und arbeiten Sie eine Medienstrategie aus, falls der Mann tatsächlich noch an die Presse geht.«

      »Gut. Nächster Tagesordnungspunkt: Inoffizielles präventives Auslieferungsgesuch gegen den US-Staatsbürger Edward Snowden«, verkündete Geheimdienstkoordinator Konstantin Irion und verlas ein geheimes Schreiben.

      Wir fordern die Regierung der Bundesrepublik Deutschland auf, sollte der US-Bürger Edward J. Snowden versuchen, aus irgendwelchen Gründen nach Deutschland einzureisen, umgehend die Botschaft zu benachrichtigen und die Rückkehr Herrn Snowdens in die Vereinigten Staaten zu bewirken – durch Verweigerung der Einreise, Deportation, Ausweisung oder andere rechtmäßige Mittel.

      »Für den Fall einer konspirativen Einreise Snowdens müssen wir davon ausgehen, dass die Amerikaner sich den Mann auch eigenmächtig greifen und ihn ausfliegen. Die CIA hat zu diesem Zweck bereits eine Gulfstream-Maschine nach Dänemark geschickt.«

      »Ist Ihre Vermutung nicht ein bisschen übertrieben?«, erkundigte sich BKA-Präsident Vetter. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass die CIA auf dem Boden eines NATO-Partners Wild West spielen würde.«

      »Da haben wir andere Erfahrungen gemacht«, antwortete Irion. »Die CIA hat bereits einen 1991 untergetauchten Ex-Mitarbeiter der NSA von deutschem Boden entführt, obwohl dieser die deutsche Staatsbürgerschaft besaß. Und in Italien hat sich die CIA 2003 einen Terrorverdächtigen gegriffen und ihn heimlich über Ramstein ausgeflogen. Bei Snowden wird sie erst recht nicht zimperlich sein.«

      »Sollte sich abzeichnen, dass die CIA Snowden bei einer Einreise entführen will, erwartet die Bundesregierung, dass die deutschen Behörden im Interesse des Staatswohls wegsehen und nur formal ein wenig gegen die USA gepoltert wird!«, instruierte Bogk. »Dass die CIA, was Snowden betrifft, scheinbar eigenmächtig und gegen unseren Willen handelt, würde der Regierung auch im Wahlkampf eine komfortablere Position verschaffen, als wenn wir ihn auf Geheiß der Amerikaner ausliefern würden. War es das für heute?«,

      »Da wäre noch die Sache mit den Hackern!«, meldete sich Geheimdienstkoordinator Konstantin Irion. Während Bogk politisch für die Geheimdienste zuständig war, leitete Irion die ausschließlich für die Nachrichtendienste zuständige Abteilung Sechs des Bundeskanzleramts und war für die administrativen Angelegenheiten zuständig. »Die Amerikaner haben uns gebeten, auf eine Hacker-Gruppe namens DEANON ein Auge zu haben. Die Gruppe ist so eine Art deutsches WikiLeaks. In Washington beobachtet man mit Sorge, dass sich Berlin derzeit zur Welthauptstadt der Hackerszene entwickelt. Einige bekannte US-Internetaktivisten sind nach Berlin ausgewandert, und die CIA glaubt, dass Snowden ebenfalls vorhat, nach Berlin zu kommen,