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Автор: Markus Kompa
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783864896224
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hatte er sich vorab darüber informieren wollen, ob er aus seiner Situation mit juristischen Mitteln wieder herauskäme. Rechtsanwalt Buske war schließlich bereit gewesen, ihn gegen Vorkasse kurzfristig zu empfangen.

      »Bevor ich mit Ihnen spreche, muss ich ganz sicher sein, dass ich Ihnen vertrauen kann«, begann Jörg. »Es handelt sich um eine streng vertrauliche Angelegenheit.«

      »Keine Sorge, ich bin Berufsgeheimnisträger. Ich würde meine Zulassung verlieren und mich strafbar machen, wenn ich meine Schweigepflichten verletze.«

      »Ich bin auch Geheimnisträger. Bundeswehr. Eigentlich dürfte ich mit Ihnen gar nicht über mein Problem sprechen.«

      »Doch, Sie dürfen gegenüber einem Anwalt jedes Geheimnis offenbaren, auch Staatsgeheimnisse. Ich bin zu umfassendem Schweigen verpflichtet. Gehen Sie davon aus, dass ich meine Anwaltszulassung noch eine Weile behalten und nicht ins Gefängnis gehen will!«

      »Und wenn ich Ihnen jetzt sagen würde, dass ich einen Mord vorhabe?«

      »Selbst dann dürfte ich Sie nicht an die Behörden verraten. Aber ich würde wahrscheinlich versuchen, Ihnen dieses Vorhaben auszureden.«

      »Kennen Sie sich mit Bundeswehrstrafrecht aus?«, wollte Jörg wissen.

      »Disziplinarrecht? Ist nicht ganz mein Tagesgeschäft. Ich hatte allerdings beim Bund selbst mal Stress mit dem Spieß gehabt!«

      »Nein, ich meine, wenn man für den Staat jemanden umbringt. Was da passieren kann.«

      »Nun, wenn Sie grundsätzlich auf Befehl handeln und Kombattanten oder Personen mit ständigem Kampfauftrag töten, sind vorsätzliche Tötungen durch das Völkerstrafrecht gedeckt. Auch Zivilisten dürfen getötet werden, wenn eine Tötung aus der Vorabbeurteilung des Soldaten in einem nachvollziehbaren Verhältnis zu einem unmittelbaren und konkreten militärischen Vorteil steht. Dafür sind aber immer die Umstände des konkreten Einzelfalls maßgeblich. Wurde vielleicht eine akute Gefahrenquelle angegriffen? Wurde etwa die Zivilbevölkerung zuvor gewarnt?«

      »Jaja, das weiß ich. Ich bin Feldwebel. Was ist, wenn ich jemanden auf Befehl töte, aber nicht in einem Kriegsgebiet?«

      »Das wäre eine konventionelle Tötung, die nicht vom Völkerstrafrecht gedeckt ist. Sofern nicht eine Nothilfesituation vorliegt, mit der Sie etwa andere Menschen vor einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr retten, haben Sie ein Problem. Da hilft auch nicht, dass Sie auf Befehl handeln.«

      »Gibt es nicht so etwas wie einen übergesetzlichen Notstand?«

      »Jedenfalls nicht in der Weise, als dass es eine Lizenz zum Töten gäbe. In Zeiten der RAF wurde diskutiert, die Terroristen in ihren Zellen in Stammheim zu erschießen, damit die Mitglieder der Gruppe, die sich noch in Freiheit befinden, kein weiteres Flugzeug entführen, um sie freizupressen. Die haben sich dann ja praktischerweise selbst getötet, wobei die Strafverteidiger der RAF-Leute und eine überlebende RAF-Terroristin starke Zweifel an der Selbstmordversion geäußert haben. Aber nach dem 11. September hat der damalige Innenminister Otto Schily Targeted Killing wieder angeregt. Westerwelle sprach damals entrüstet von einer Guantánamoisierung der deutschen Innenpolitik. Was Schilys Nachfolger Schäuble 2007 nicht daran gehindert hat, erneut die Legalisierung eines gezielten Todesschusses gegen Terrorverdächtige zu diskutieren, die wie im Wilden Westen abgeknallt werden sollten. Schäuble bekannte sich später auch zu einer gezielten Tötung von Osama Bin Laden, und als diese dann passiert ist, hat die Kanzlerin den Amerikanern ja ausdrücklich zum Abschuss gratuliert. Beides ist aus Sicht des Rechtsstaats eine Katastrophe! Übrigens hat der gleiche Herr Westerwelle später als Außenminister Targeted Killing für die Bundeswehr als zulässig erklärt, aber angeblich beteiligt sich die Bundeswehr ja nicht daran, oder?«

      »Nun, da habe ich anderes gehört. An der Erstellung der Todeslisten für Drohnenabschüsse in Afghanistan beteiligen sich die Offiziere durchaus. Bekannte von mir waren im Kontrollzentrum dabei, als das ausgeführt wurde. Einer von ihnen hat mir mal erzählt, dass alle Anwesenden dazu aufgefordert wurden, die Hand zu heben, wenn sie auf den Monitoren Frauen oder Kinder sehen, um Zivilisten zu verschonen.«

      »Nach meiner Logik wäre das mindestens Beihilfe oder Anstiftung zum Mord, vielleicht sogar Mittäterschaft. Im gegenwärtigen deutschen Recht allerdings muss bei einer Tötung immer eine konkrete Nothilfesituation vorliegen, nur wenn es nicht anders geht, wäre ein finaler Todesschuss zulässig. Eine wie auch immer geartete Mitwirkung an einer Tötung durch Drohnen ist ohne konkrete Notsituation nicht mit deutschem Recht zu vereinbaren. Das folgt aus dem vierten Prinzip der Nürnberger Prozesse. Wenn es eine Alternative zum Mitmachen gibt, muss man völkerrechtswidrige Befehle verweigern. Jörg nickte. Er verstand auch, dass er mit seinen theoretischen Fragen nicht weiterkam, und erzählte Buske nun von dem Unbekannten, der ihn angeworben hatte.

      Tatsächlich war Jörg am Tag nach der Begegnung im Bus zum Kriegerdenkmal gejoggt, um sich anzuhören, was der Fremde zu sagen hatte. Auf dem Monument, einer Säule, prangte das große schwarze Kreuz des Deutschen Ordens, das in abgewandelter Form auch die Bundeswehr als Hoheitszeichen verwendete. Eine Inschrift erinnerte an die Gefallenen des 8. Westfälischen Infanterie-Regiments II-57, die im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 ihr Leben ließen. Wenn einst die Fahne weht, die Trommel ruft zum Streit, dann seid wie Eure Brüder, zu Kampf und Tod bereit, stand da in Stein gemeißelt samt zwei gekreuzten Fackeln. Der Unbekannte, der offensichtlich zur Truppe gehörte, hatte dort bereits auf einer Bank auf ihn gewartet. »Herr Feldwebel, ich freue mich, Sie zu sehen. Ich freue mich wirklich. Männer mit Ihrem Zuschnitt gibt es viel zu wenige. Setzen Sie sich!«

      »Ich stehe lieber.«

      »Auch gut. Bevor wir uns über Ihre Zukunft unterhalten, muss ich wissen, was in Kandahar passiert ist.«

      »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«

      »Ach nein? Weberling, ich habe den Bericht gelesen.«

      »Dann wissen Sie ja, was passiert ist.«

      »Ich will wissen, was NICHT in dem Bericht steht.«

      »Wenn Sie dem Bericht nicht glauben, dann fragen Sie doch die Kameraden.«

      »Ich frage Sie.«

      »Ich habe dem Bericht nichts hinzuzufügen. Sie werden auch von meinen Kameraden nichts anderes hören. Aber fragen Sie ruhig.«

      »Was halten Sie von den Operationen der Amerikaner?«

      »Ich weiß nicht, welche Operationen Sie meinen. Reden Sie mit den Amerikanern!«

      »Was ist in Lashkar Gah passiert?«

      »Weiß nicht. Erzählen Sie es mir!«

      »Sie haben keinen Bericht zu Lashkar Gah eingereicht.«

      »Dann bin ich wohl auch nie dort gewesen. Hören Sie, ich glaube, wir sollten dieses Gespräch jetzt beenden.«

      »Würden Sie sich für zehntausend Euro vielleicht doch erinnern?« Der Fremde griff in die Innentasche seiner Jacke und hielt Jörg keine drei Sekunden später die Öffnung eines prall mit Geldscheinen gefüllten Briefumschlags entgegen.

      »Auch nicht für hunderttausend Euro. Weil es nichts zu erinnern gibt. Wenn Sie nichts dagegen haben, gehe ich jetzt.«

      Der Fremde lächelte. »Gratuliere, Sie haben den Test bestanden! Bleiben Sie bitte! Mir ist scheißegal, was in Lashkar Gah passiert ist. Nicht egal wäre es mir gewesen, wenn Sie sich an Dinge erinnert hätten, die offiziell nicht passiert sind. Möchten Sie sich nicht vielleicht doch setzen?«

      »Was wollen Sie von mir?«

      »Es gibt ein paar Missionen, die noch vertraulicher sind als Ihre Einsätze für das KSK. Deutschland kann es sich nicht leisten, mit solchen Geschichten in Verbindung gebracht zu werden. Trotzdem müssen sie erledigt werden. Haben Sie sich manchmal gefragt, warum es in den letzten zehn Jahren hier keinen größeren Terroranschlag gab? Und das, obwohl der Westen die arabische Welt provoziert hat, wo es nur ging? Obwohl wir unzählige Islamisten in Deutschland haben?

      Nun, das ist das Verdienst unserer Arbeit.