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Автор: Markus Kompa
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783864896224
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leider nicht geordnet, um es einmal höflich zu formulieren. Für einen Geheimnisträger Ihrer Stufe ist diese Vermögenssituation untragbar. Sie sind erpressbar oder könnten sich langfristig genötigt sehen, inadäquate Einkommensquellen zu erschließen oder mit dem Saufen anzufangen. Bislang hat man wegen Ihrer überdurchschnittlichen Leistungen beide Augen zugedrückt. Aber nachdem nun auch noch in Ihren Sold gepfändet wird, haben wir leider keine Spielräume mehr. Vor zwei Jahren haben Sie eine Bürgschaft für Ihre Schwester geleistet, weil die sich ein Bauherrenmodell zum Steuersparen hat aufschwatzen lassen – eine einfache Krankenschwester … Leider waren die Neubauten in Dessau nicht vermietbar, klassischer Ostimmobilienfall. Ihre Schwester ist in die Insolvenz gegangen, und Sie werden für dieses schlechte Geschäft zahlen müssen. Von Ihrem Sold, der nach der Steuer nicht einmal mehr zweitausend Euro beträgt, werden Sie in den kommenden zwanzig Jahren nur den pfändungsfreien Teil bekommen.«

      Jörg blieb äußerlich gelassen, doch innerlich kochte er. Ein scheinbar unabhängiger Finanzberater hatte seiner Schwester damals eine Vermögensanlage aufgeschwatzt. Es ging um »Steuersparen« und todsichere Rendite. Die Bürgschaft sei reine Formsache. Der »Berater« hatte in Wirklichkeit gar keine Ahnung, sondern wollte sich nur eine Provision seines Vertriebsunternehmens verdienen. Als sich die getätigte »Investition« dann als ein Fass ohne Boden erwies, blieben die Schulden an Jörg hängen, was die Familie schwer belastete. Aber eine Insolvenz hätte ihn seine Geheimschutzeinstufung gekostet, wie es nun auch so zu passieren drohte. Wann immer Jörg im Schießcenter in Calw trainierte, stellte er sich den »Berater« auf der Personenzielscheibe vor. Seither wies keiner der Pappkameraden, die Jörg vor die Flinte kamen, jemals einen Fehlschuss auf.

      Jörg fiel die Armbanduhr des Fremden auf, ein Modell, das er schon einmal gesehen hatte. Es handelte sich um die limitierte Edition eines deutschen Nobelherstellers, die von Mitgliedern eines Bundeswehr-Veteranenverbands getragen wurde.

      »Eine Aussicht auf eine Erbschaft besteht auch nicht. Seit Ihr Vater ein Pflegefall geworden ist, geht alles dafür drauf. Wie es aussieht, wird vom Geld Ihrer Eltern nichts übrig bleiben. Deren Immobilie gehört ohnehin längst der Bank. Eine Familie werden Sie die nächsten zwanzig Jahre wohl auch nicht ernähren können. Wann genau wollten Sie mit Ihrer Vermögensvorsorge fürs Alter anfangen?«

      »Wer sind Sie, und was geht Sie das überhaupt an?«, fragte Jörg mit dem ihm maximal möglichen höflichen Tonfall, konnte ein leichtes Beben in der Stimme jedoch nicht unterdrücken. Der Fremde sah ihm für einige Sekunden in die Augen.

      »Kamerad, Sie sind ein guter Mann. Einer unserer besten. Wir werden Sie nicht hängen lassen. Sie haben damals in Afghanistan unter Einsatz Ihres Lebens Leute rausgeholt, jetzt ist es an uns, Sie aus Ihrer misslichen Lage zu holen. Männer wie Sie brauchen wir! Sie haben eine zweite Chance mehr als verdient. Deutschland wird sie Ihnen geben. Ihre Personalakte und das Finanzielle bekommen wir geregelt. Ich mache Ihnen jetzt ein Angebot. Hören Sie einfach zu. Ich steige an der nächsten Haltestelle aus. Wenn es nichts für Sie ist, sind wir uns nie begegnet und sehen uns nie wieder. Dann allerdings werden Sie in der Bundeswehr bald nur noch Munitionsdepots bewachen oder in der Grundausbildung eingesetzt. Wie Sie wissen, gibt es einige Dinge, die für Deutschland getan werden müssen. Sie selbst haben in Afghanistan schon Dinge getan, die viele Zivilisten nicht verstehen werden. Und auch nicht müssen, da sie davon nie erfahren werden. Sie aber kennen die Welt, wie sie wirklich ist. Wir möchten, dass Sie das, was Sie für uns in Afghanistan getan haben, auch woanders tun – allerdings weniger formal. Juristen gewinnen keine Kriege, oder?«

      »Nein …«

      Der Fremde raunte nun noch leiser. »Die Bundesregierung hat sich inzwischen im Krieg gegen den Terror der amerikanischen Sichtweise angeschlossen. Wir können nicht abwarten, bis ein Anschlag passiert, sondern ziehen die Terroristen rechtzeitig aus dem Verkehr. Um Leben zu retten, müssen wir manche Personen manchmal auch etwas härter verhören, als es die Vorschriften zulassen. Das geht aber aus politischen Gründen nicht offiziell. Können Sie sich vorstellen, Spezialaufträge zu erledigen, über die nicht Buch geführt wird? Die sozusagen außerhalb des Protokolls sind? Wir brauchen eine Handvoll qualifizierter Leute, die zupacken können, die verlässlich sind und schweigen können. Leute wie Sie. Wenn Sie interessiert sind, treffen wir uns gleich morgen. Das Treffen verpflichtet Sie zu nichts. Oder haben Sie morgen schon etwas Besseres vor?« Offenbar wusste der Fremde, dass Jörg derzeit nur bei Muttern abhing. »Sie joggen doch so gerne! Warum joggen Sie morgen nicht einfach zum Kriegerdenkmal in Wuppertal gleich bei Ihnen um die Ecke? Ich werde morgen dort sein und ab 11:00 Uhr auf Sie warten. Ihr Handy lassen Sie bitte zu Hause.«

      Der Bus verlangsamte sein Tempo, der Unbekannte lächelte und erhob sich. »Das Treffen ist ein einmaliges Angebot. Eine zweite Chance wird es nicht geben. Ob Sie kommen oder nicht, wir erwarten absolutes Stillschweigen über unseren Kontakt. Haben wir uns verstanden?«

      Jörg nickte stumm. Der Fremde stieg an der Haltestelle aus, wo bereits ein dunkler Audi Q7 mit getönten Scheiben auf ihn wartete.

      Der Regen im Spreewald hatte inzwischen aufgehört. Nach einem ereignisreichen Tag war Jörg endlich eingeschlafen.

      Zur gleichen Zeit hielt im Prenzlauer Berg ein Taxi, dem eine Frau Ende zwanzig mit dunkelrot gefärbtem langem Haar entstieg. Der Fahrstuhl hievte Conny und ihren Trolley ins letzte Stockwerk unterhalb ihres Penthauses. Die Reise war anstrengend gewesen – vor allem das Feiern. Auf dem Anrufbeantworter blinkte eine zweistellige Anzahl von Nachrichten. Bevor Conny diese abhören konnte, klingelte ihr häufigster Anrufer durch.

      »Felix, es ist nach 23:00 Uhr. Was ist so dringend?«

      »Dein Handy war mehrere Tage aus. Der neue Kunde besteht darauf, mit dir persönlich zu sprechen.«

      »Läuft nicht. Ich treffe mich nicht mehr mit Politikern.«

      »Es geht um einen wirklich fetten Job und Folgeaufträge. Wenn wir jetzt nicht …«

      »Du kennst meine Antwort. Warum erzählst du denen überhaupt von mir, du alte Quasseltante?«

      »Habe ich nur indirekt. Habe keinen Namen genannt. Du weißt schon, ich …«

      »Sag den Leuten: Take it or leave it! Letztes Wort. Ende Gelände! Wir haben es nicht nötig. Und jetzt gute Nacht.«

      »Conny, ich …«

      Aber Conny hatte bereits aufgelegt und das Telefon stumm geschaltet. Die Social-Media-Agentur Hegemann & Friends, die offiziell auf den Namen von Felix Hegemann lief, hatte im Hintergrund Conny aufgezogen. Zwanzig Leute vom Kernteam und in Stoßzeiten sogar bis zu achtzig Personen saßen an ihrem Heimarbeitsplatz vor der Tastatur, um im Web 2.0 den von Connys Kunden gewünschten Spin zu liefern. In den Diskussionsforen, deren Kommentare unter jeder Meldung in den Online-Medien erschienen, gaben die digitalen Söldner von Hegemann & Friends häufig den Ton an und ließen nichts anbrennen. Manchmal waren die Hofmänner bereits einen Tag vor Erscheinen wichtiger Artikel informiert, meistens mussten sie spontan reagieren. Seitdem Twitter die Reaktionsgeschwindigkeit von Trends auf Echtzeit beschleunigt hatte, ging im PR-Business ohne Social-Media-Profis nichts mehr. Keine Online-Umfrage, in der nicht die »Friends« von Hegemann den Ausschlag gaben. Da die Beteiligung in Medienforen häufig lächerlich gering war, konnte die Firma fast immer die gewünschte Dominanz liefern. Conny hatte anfangs das für sie tippende Personal noch in der Rolle des scheinbar auf Stundenbasis angeheuerten Coachs »Sabine« ausgesucht und angeleitet, inzwischen überwachte sie online die festangestellten Controller und traf für Felix, den sie vor anderen unterwürfig siezte, die strategischen Entscheidungen. Jeder der »Friends« sollte fünf qualifizierte Social-Media-Kontakte die Stunde vorweisen. An einem Arbeitstag von sechs Stunden injizierte die Agentur mindestens fünfhundert Kommentare und Tweets in die Pipeline, die Journalisten für die öffentliche Meinung im Internet hielten. In Zeiten, in denen das Publikum den etablierten Medien immer weniger traute und sich zunehmend im Internet und in Büchern von Verschwörungstheoretikern informierte, war die Kontrolle über die Lufthoheit in den Social Media immer wichtiger geworden.

      Längst hatten auch andere PR-Agenturen dieses Geschäftsfeld für sich entdeckt. Felix hatte sich scherzhaft den Titel »geschäftsführender Troll« gegeben, tatsächlich aber bestand seine Hauptaufgabe