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Автор: Markus Kompa
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783864896224
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Verlust kritisch eingestellter Kunden, falls sich das herumspräche. Insbesondere, wenn eine Partei so unappetitlich daherkam wie diese. Außerdem bezahlte sie die Industrie für ihre Dienste das ganze Jahr über, während ein Bundestagswahlkampf nur alle vier Jahre stattfand.

      Unter ihrem Pseudonym »Der_Baron« hatte Conny für die AEP nur Verachtung übrig. Connys Mitbewerberin Tiffany war sich dagegen für kaum einen Job zu schade. Auch Tiffany organisierte Fake-Content aller Art. Ihre Leute sorgten für individuelle Kommunikation in Flirt-Foren, wo sie einsamen Männern meist sexuell aufgeschlossene Frauen simulierten. Fast alle Mittarbeiter von Tiffany waren in Wirklichkeit männlich – so wie Tiffany selbst, auch wenn er gerne Frauenkleidung trug.

      »Ich finde den Job nicht unprofessionell«, widersprach Felix. »Ist doch scheißegal, ob irgendwelche Klugscheißer was merken. Die Kampagne läuft wie die Sau! Unsere Konditionen sind kein Problem. Die Partei zahlt den vollen Tarif. Wir haben fast drei Monate Vollauslastung. Also ich finde das total professionell.«

      »Na gut. Tiffany soll aber den Mund halten und das als ihre eigene Arbeit ausgeben.«

      »Wir könnten zwanzig unserer Leute sofort abstellen, und ich würde zusehen, wen ich sonst noch auftreiben kann.

      »Von mir aus. Ich selbst möchte aber nichts damit zu tun haben. Die muss Tiffany allesamt allein coachen.«

      »Danke!«

      »Noch was. Ich möchte, dass du morgen in der gesamten Firma alle Passwörter wechselst. Alle sollen neue Passwörter benutzen. Und du gibst jedem noch einmal einen Einlauf, was im Vertrag über Datenschutz steht.«

      »Warum?«

      »Ach, nur allgemein. Tu es einfach, ja?«

      »Klaro.«

      »Und erklär den Leuten, wie man sichere Passwörter baut – und wie nicht. Wer ein Sicherheitsrisiko ist, fliegt! Da gibt es keine zweite Chance.«

      Conny verwandelte sich wieder in den Baron und verfolgte die weitere Diskussion in einem der exklusivsten Chats mit nur sieben teilnahmeberechtigten Personen, den die deutsche Hackerszene zu bieten hatte. Obwohl sie untereinander ihre jeweilige wahre Identität nicht kannten und im Netz sowieso alles erfunden sein konnte, hatten sie trotz der Anonymität über die Jahre hinweg gegenseitiges Vertrauen aufgebaut und Freundschaften geschlossen. Denn der Charakter und der ungefähre Grad an Allgemeinbildung der Mitglieder ließen sich sehr wohl einschätzen.

      Conny alias »Der_Baron« etwa legte Wert auf ihre Wahrnehmung als maskuliner und meinungsstarker Hacker, während sie bei Accounts mit Frauennamen keine Sekunde lang an deren weibliches Geschlecht glaubte. Im Internet gibt es gar keine Frauen, lautete denn auch ein Insidergag in der Anonymous-Community, in der sich die sieben Hacker kennengelernt hatten. Die Mitglieder der DEANON-Gang wollten so etwas wie die Rockstars des Internets werden. Dazu aber bedurfte es eines spektakulären Hacks, der nicht nur die Nerds, sondern auch die konventionellen Medien begeistern würde. Und ein solcher war ihnen mit der Story des korrupten FDP-Politikers vor kurzem gelungen. Nun musste er nur noch in der geeigneten Weise platziert werden. Für politische Aktivisten gab es dazu kaum einen besseren Zeitpunkt als die kommenden zweieinhalb Monate: den Bundestagswahlkampf.

      Vom Flughafen Köln-Bonn brachte der Fahrdienst Ellen direkt zu ihrer Wohnung am Beethovenpark in der Kölner Südstadt. Die Sicherheitsleute waren damals von der Wahl ihres Quartiers wenig begeistert gewesen, da die moderne Wohnanlage nur schwer zu schützen war. Bei Ihrem Gehalt hätte sie sich ein Einfamilienhaus leisten können, doch der Job war langfristig unsicher. Chefsessel in Geheimdiensten waren Schleudersitze; die größte Bedrohung stellten nicht Terroristen, sondern die Politik und die eigenen Leute dar, für die man den Kopf hinzuhalten hatte. Attentäter hingegen hätten sie erst einmal finden müssen. Die Adresse von Ellens Wohnung war geheim, für ihre politisch desinteressierten Flurnachbarn, mit denen sie kaum Kontakt hatte, war sie Frau Ellen Wizorek, die in einer Finanzbuchhaltung arbeitete. Das Angebot, Personenschützer vor dem Haus zu postieren, hatte Ellen abgelehnt. Die Zeiten, in denen die RAF Vertreter des Staates ermordete, waren schon lange vorbei. Die Rechtsradikalen schätzte Ellen schlichtweg als zu dumm ein, um ihre Wohnung ausfindig zu machen. Religiöse Fanatiker wiederum wussten heutzutage nicht einmal mehr, dass das harmlos klingende Bundesamt für Verfassungsschutz der Geheimdienst war. Und gegnerische Geheimdienste ließen ihre Amtskollegen traditionell in Frieden, gegenseitig mordende Spione gab es nur im Kino. Ihre Wohnanlage verließ Ellen nie durch die Tür, sondern stets durch die große Tiefgarage, welche ihre konkrete Wohnung nach außen hin anonymisierte. Die gesamte Anlage, die als Privatgelände ausgeschildert war, wurde videoüberwacht.

      Fricke hatte recht – die Entfernung des Amts von Berlin war definitiv ein Vorteil. Zwar war Köln für seine Klüngelei verschrien, doch in Berlin verwendete man für das gleiche Phänomen nur andere Wörter. Das weltmännische Köln und die rheinische Mentalität behagten Ellen mehr als das preußische Berlin, von dem aus totalitäre Regime ihre jeweilige Interpretation von Deutschland gesteuert hatten. Im Gegensatz zu den großen europäischen Metropolen blickte Berlin auf eine vergleichsweise kurze Hauptstadtgeschichte zurück. Einigen war der neue Glanz der bisweilen auf Ellen sehr provinziell wirkenden Bundeshauptstadt Berlin gehörig zu Kopf gestiegen. Hier am Rhein waren die Leute auf eine lässige Weise geerdet. Die erst von Frankreich und dann von Preußen besetzten Kölner hatten über Generationen hinweg Misstrauen gegen den Staat aufgebaut. Preußische Obrigkeitshörigkeit parodierten die eigenwilligen Kölner mit ihren Karnevalsgarden. Noch heute stammten die meisten Kölner Polizisten von außerhalb. Kölsch war nicht nur ein Getränk, sondern auch eine Muttersprache und eine Lebensart. Das Motto der Kölner war es stets, anders zu sein. Und selbstbewusst. Mochte sich Berlin noch so sehr für den Nabel der Welt halten, nach Meinung der Kölner drehte sich diese allein um ihren Dom, und nach ein paar Kölsch drehte sich auch der.

      In ihrer Wohnung stellte Ellen Musik an und ließ sich ein Bad ein. Während sich die Wanne zu Hits aus den Achtzigerjahren mit Wasser füllte, öffnete sie im stets abgedunkelten Schlafzimmer den Safe und entnahm ihm ein wasserdichtes Tablet, von dessen Existenz im Amt niemand wusste. Es stammte noch aus ihrer Zeit als Datenschutzreferentin im Innenministerium. Die Hardware war von Experten unter dem Mikroskop durchgecheckt und mit einer Ummantelung gegen elektronische Abstrahlung versehen worden, die Software war überprüft. Deutschlands oberste Überwacherin wollte selbst nicht ausspioniert werden. Alles, was aus Ellens Wohnung ins Internet ging, war verschlüsselt, ihre IP-Adresse wurde von wurde drei hintereinander geschalteten VPN-Tunneln verschleiert, die eine Nachverfolgung erschwerten. Die Achtzigerjahre-CD war inzwischen bei dem Lied Kleine Taschenlampe, brenn! angekommen, in dem ein kleines Mädchen und der Prinz vom Stern gegenseitig ihre einsame Liebe besangen und den Nichtbesitz eines Telefons bedauerten. In der Wanne hörte Ellen zunächst das Lied mit Genuss zu Ende, dann tippte sie ein Passwort ein, machte einen Iris-Scan und verifizierte die sicher Verbindung mit einem digitalen Fingerabdruck.

      <Prinzessin>: Hallo Prinz!

      <Prinz>: Hallo Prinzessin!

      <Prinzessin>: Na, was macht denn deine kleine Volkspartei?

      <Prinz>: In erster Linie Arbeit! Wie war es in Berlin?

      <Prinzessin>: Schrecklich. Die Amis behandeln uns, als wären wir deren Kolonie. Bogk und Co. machen natürlich alles mit.

      <Prinz>: Nach der Bundestagswahl wird das bald Geschichte sein.

      Was immer Ellen im fensterlosen Badezimmer die nächste halbe Stunde täte, würde geheim bleiben. Das musste es auch.

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