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Автор: Markus Kompa
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783864896224
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um 15:00 Uhr in mein Büro!«

      »Dann bis morgen!«

      Doch statt den Termin am nächsten Tag wahrzunehmen, verließ Jörg die Stadt. Vertrauen war gut, Paranoia war besser.

      Login: Der_Baron

      Password: *********************

      Login successful!

      Attending members: Chlorhuehnchen, UFO23, Seniorensauna, Hae­kelhirsch, Loreley, Arno.Nym, Der_Baron

      <Der_Baron>: hi leute!

      <Haekelhirsch>: hi!

      <Seniorensauna>: wo warst du denn die ganze zeit? wir haben uns schon sorgen gemacht …

      <Der_Baron>: hatte stress mit meinem rechner :( ist jetzt gefixt.

      <Seniorensauna>: wir haben das posting mit dem fdp-arsch rund gemacht! wir warten nur noch auf dein OK!

      Seniorensauna postete einen Link, der auf ein Etherpad verwies. Diese Software ermöglichte es den Chat-Teilnehmern, im Internet Texte zeitgleich gemeinsam zu bearbeiten. Aktuell bereiteten die sieben Hacker einen Leak über Minister Mierau vor, den sich ein Rüstungskonzern mittels eines Vertrags über einen Posten im Aufsichtsrat geschmeidig gemacht hatte. Der Minister verwandte sich nur wenig später zufällig für eine umstrittene Ausfuhrgenehmigung zugunsten dieser Firma.

      <Der_Baron>: der text zu mierau ist spitze! gebe ihn hiermit frei.

      <UFO23>: dann erscheint er morgen.

      <Haekelhirsch>: kann es kaum erwarten! leute, das war echt gute arbeit!

      <Der_Baron>: das wird einschlagen :)

      <UFO23>: und wie das einschlagen wird!

      <Chlorhuehnchen>: danke, lieber baron!

      Der Baron war einer der in der Internetszene bekanntesten Aktivisten. Neben seinen Künsten als Hacker hatte er sich vor allem als Blogger mit seiner frechen Schnauze Respekt erworben. Von seiner Anonymität geschützt, bekannt war eigentlich nur sein Account, schimpfte der Baron regelmäßig über unfähige Politiker, die das Internet nicht verstanden, über schlechte Software, die von den Nutzern nicht verstanden wurde, und über Leute, die ihn nicht verstanden. Zu seinen Hauptfeinden gehörten die Urheberrechtsindustrie, reaktionäre Politiker, unfähige Journalisten – und die Berliner Verkehrsbetriebe. Sein lässiger Stil, mit dem er das Tagesgeschehen kommentierte, hatte sein Blog längst zum Kult werden lassen – er gehörte sogar schon für professionelle Journalisten zur täglichen Lektüre. Wenn der Baron einmal den Hammer kreisen ließ, nahm er keine Gefangenen. Bei den Demos gegen die 2009 beschlossenen Internetsperren gegen unerwünschte Inhalte und das geplante europäisch-amerikanische Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen ACTA, das den Konzernen unverhältnismäßig große Macht zulasten kleiner Betriebe und den Entwicklungsländern eingeräumt hätte, hatte der Baron im Netz die Ansagen gemacht und flammende Texte für Motivationsvideos beigesteuert. Damals war es gelungen, über das Internet Proteste zu bündeln und bei Demonstrationen Tausende von Menschen auf die Straße zu bringen. Die Entrüstung der sich von der Regierung übergangen fühlenden Bevölkerung hatte die Politiker mehr beeindruckt als die Lobby-Millionen der Industrie, so dass die Bundesregierung beide Vorhaben 2012 schließlich aufgab.

      Aufgrund seiner Anonymität und Reichweite konnte der Baron dicker auftragen und härter austeilen als andere. Wer sich den Baron einmal zum Feind gemacht hatte, musste sich im Netz einen neuen Namen zulegen, wollte er weiterhin noch aktiv sein.

      Daneben war der Baron einer der bekanntesten Wortführer der deutschsprachigen Anonymous-Bewegung, ein Netzwerk von mehreren Tausend Internetaktivisten, die untereinander bewusst anonym blieben, jedoch politische Solidarität im Internet erzeugten und politisch spürbaren Druck aufbauten. Ursprünglicher Gegner war die Scientology-Sekte gewesen, die mit dem Versuch, mit juristischen Mitteln Informationen im Internet zu unterdrücken, die Hacker-Szene gegen sich aufgebracht hatte. Bald darauf solidarisierte sich der Schwarm gegen Rassisten und dann gegen die Urheberrechtsindustrie, die Kontrolle über das Netz begehrte und damit den anarchistischen Lebensraum einer neuen Generation bedrohte. Zu den umstrittenen Waffen von Anonymous gehörte neben Leaks vor allem das Sabotieren von Websites durch DDOS-Attacken, bei denen Tausende Blogger zeitgleich gegnerische Websites aufriefen und damit durch eine provozierte Überlastung die Server zum Erliegen brachten. Die Aktivisten sahen ihre Protestform als digitales Sit-In an, das als ziviler Ungehorsam moralisch gerechtfertigt sei. Was der Öffentlichkeit als massenhafte politische Bewegung erschien, war allerdings manipuliert, da die »Hacktivisten« für ihre Angriffe eine Spezialsoftware benutzten, mit der einzelne Nutzer ihren Beitrag zu einer Art Dauerfeuer vervielfachten. Zu den bekanntesten Angriffen von Anonymous gehörte 2011 der konzertierte Abschuss von industriellen Websites, weil diese auf Geheiß der US-Regierung die Finanzierung von WikiLeaks behinderten. US-Provider hatten die kontroverse Website aus ihren Rechenzentren verbannt, Banken und Zahlungsdienste verweigerten die Weiterleitung von Spenden an WikiLeaks. Bei Anonymous hatte man kein Verständnis dafür, dass sich diese Firmen an der Sabotage ausgerechnet derjenigen beteiligten, die nachweisliche Kriegsverbrechen aufdeckten, während Nazi-Organisationen und der Ku-Klux-Klan unter dem Schutz der Meinungsfreiheit unbehelligt blieben.

      Als 2011 während des Arabischen Frühlings Diktaturen das Internet zensierten, hackten Anonymus-Aktivisten nicht nur staatliche Websites und führten die Regierungen damit vor, sondern übernahmen, wie etwa in Tunesien, sogar den Hauptknotenpunkt des nationalen Internets. Zudem versorgten die Hacker Protestierer mit Sicherheitssoftware, damit diese anonym und abhörsicher ihren Widerstand organisieren konnten. Die Hacker mischten sich auf diese Weise effizienter in fremde Staatsangelegenheiten ein, als es der CIA durch den jahrzehntelangen Einsatz professioneller Agenten gelungen war.

      Die deutsche Anonymous-Community hatte damals die Attacken gegen WikiLeaks gleichfalls nicht hinnehmen wollen und deshalb alternativ eine eigene Enthüllungsplattform aufgezogen: DEANON.org. So stellten die deutschen Anons möglichen Whistleblowern ein elektronisches Postfach zur Verfügung, das sie nach Meinung von Experten vor Überwachung und Rückverfolgung bewahrte. Die DEANON-Website war unerreichbar im Ausland geparkt, wobei keiner sagen konnte, wo genau sie sich befand.

      Der Baron gehörte zu den »Glorreichen Sieben« bei DEANON, die sich ständig in einem besonders gesicherten Chat trafen und die Ansagen machten. Nach ein paar unbedeutenden Leaks war es lange still um die Enthüllungsplattform gewesen, doch jetzt vor der Bundestagswahl stieg die Anzahl der Einreichungen von Kolportagen dramatisch. Und nun stand der peinliche Leak über einen FDP-Minister bevor, der sich offenbar von der Rüstungsindustrie schmieren ließ. Der Baron hatte in seinem unnachahmlichen Ton ein paar spöttische Zeilen über den käuflichen Politiker verfasst, die von den anderen DEANONs sachkundig redigiert worden waren.

      Conny alias Der_Baron sah von ihrem Tablet auf und griff nach ihrem Drink. In der Kneipe in Friedrichshain durfte man um diese Uhrzeit nicht mehr draußen sitzen, drinnen wummerte die Musik viel zu laut, um sich vernünftig zu unterhalten. Also genau die richtigen Bedingungen für Conny, um einen ihr lästigen Termin möglichst kurz und einsilbig halten zu können. Der Baron war der einzige Account, der ihr geblieben war. Wegen der Paranoia der DEANON-Hacker reichte zum Einloggen kein simples Passwort, vielmehr musste bei jeder Sitzung ein USB-Stick mit einem Programm eingesteckt werden, das permanent die Identität des Anons bestätigte. Connys geöffneter USB-Stick besaß die Helmform von Darth Vader, so dass er, wenn sie ihn nach Gebrauch wieder in den Rumpf ihrer Schlüsselanhängerfigur steckte, den kompletten Miniatur Darth Vader ergab.

      Felix, der alte Langweiler, war wie stets pünktlich erschienen. »Tiffany hat heute angefragt, ob wir sie bei diesem Partei-Auftrag unterstützen können. Ihre Agentur hat sich damit wohl etwas übernommen«, berichtete er.

      »Ich weiß nicht … Ich bin eigentlich ganz froh, dass wir damit nichts zu tun haben. Die Arbeit ist nicht professionell. Jedem, der nicht völlig bescheuert ist, muss doch klar sein, dass das gekaufte PR-Scheiße ist. Auf Twitter lästern sie schon, weil es so offensichtlich ist.«

      Die neue Anti Euro Partei (AEP) hatte kürzlich nach einer PR-Agentur gesucht, die in den Medien einen Rückhalt in