Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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gewonnen. Kamen aber die Russen nach Deutschland, so war Friedrich mit gutem Grunde eines Angriffs von ihnen gewärtig, und er hatte dann wieder die englisch-österreichisch-russische Koalition gegen sich. Unter diesen Umständen schloß er die Westminsterkonvention, worin sich England und Preußen gegenseitig verpflichteten, jede bewaffnete nichtdeutsche Macht, die deutschen Boden betrete, mit Gewalt zu vertreiben. Es ist klar, daß Friedrich sie im Interesse des europäischen Friedens geschlossen hat, wodurch im Grunde schon die Hypothese Lehmanns widerlegt ist, insofern als es dem König in dieser europäischen Verwicklung in der Tat nur auf Frieden angekommen ist. Aber auch die andere Ansicht ist falsch, daß Friedrich bei Abschluß dieser Konvention seine diplomatische Unfähigkeit bewiesen haben soll. Freilich hat die Konvention das Gegenteil des Zweckes erreicht, den sie erreichen sollte, und Friedrich hat sich auch in ihr nicht, sowenig wie sonst irgendwo, als ein übermenschlicher Genius bewährt. Allein als er sie schloß, zeigte er sich als das, was er wirklich gewesen ist: als ein Despot des achtzehnten Jahrhunderts, in seiner Gescheitheit ebenso wie in seiner Beschränktheit.

      Er war vollkommen berechtigt anzunehmen, daß Frankreich ihm die Konvention nicht übelnehmen würde. Sie versperrte den Franzosen allerdings Hannover, aber sie hielt ihnen auch die Russen fern. In der Tat fühlten sich die Franzosen zunächst mehr dadurch verletzt, daß der preußische König, den sie als ihren Vasallen zu betrachten gewohnt waren, die Konvention abgeschlossen hatte, ohne sich mit ihnen vorher zu verständigen, als durch die Konvention selbst. Ihr Kampf mit England ging um die Herrschaft über die Meere, und sie selbst hatten Friedrichs Aufmunterung, Hannover zu besetzen, solange es Zeit war, unbeachtet gelassen. Am allerwenigsten aber konnte Friedrich voraussehen, daß sich Frankreich durch den Ärger über die Westminsterkonvention in ein Bündnis mit seinem alten Feinde Österreich drängen lassen würde. Dies Bündnis widersprach allen Überlieferungen der französischen Politik, und wirklich ist es nur mühsam gegen den zähen Widerstand einer starken Partei am Pariser Hofe abgeschlossen worden. Österreichs Angebot, das damals in seinem Besitz befindliche Belgien an Frankreich abzutreten, hat schließlich entschieden.

      Gleichwohl wäre das Bündnis unmöglich gewesen, wenn sich das französische Königtum nicht schon auf einer Stufe des Niederganges befunden hätte, worauf es seine wirklichen Interessen nicht mehr zu erkennen vermochte. Das österreichische Bündnis hat ihm seine völlige Niederlage im Kriege mit England eingetragen; es hat ihm seine amerikanischen Besitzungen gekostet und seine Flotten vernichtet; es hat seine Finanzen völlig zerrüttet und ebenso sein europäisches Ansehen durch die schmählich verlorenen Feldzüge in Deutschland zerstört; es ist ein wesentliches Ferment der Französischen Revolution gewesen, deren Vertreter es als ein nationales Verbrechen gebrandmarkt haben. Wenn sich also Frankreich durch die Westminsterkonvention in das österreichische Bündnis drängen ließ, so ist Ludwig XV. der »komplette Narr« gewesen, nicht aber Friedrich, der die französischen Interessen viel richtiger würdigte als der Pariser Hof, wenn er diese Folge der Westminsterkonvention nicht voraussah.

      Friedrichs wirkliche Beschränktheit lag darin, daß er annahm, den russischen Bären durch England fesseln zu können. Das hätte England freilich vermocht, wenn es eine Kriegsflotte in die Ostsee gesandt hätte, aber dazu ist es nicht zu bewegen gewesen, auch nicht, als es sich nach ausgebrochenem Kriege dazu verpflichtet hatte. Die süßen Interessen des Handels standen ihm hoch über den Interessen seines preußischen Verbündeten. Wie ehedem Frankreich, so sah England jetzt auch in Friedrich seinen Vasallen, den es benützte, um nach dem bekannten Worte Pitts Amerika in Deutschland zu erobern, und den es, noch ehe das Kriegswetter ganz ausgetobt hatte, wie eine ausgepreßte Zitrone beiseite warf, so daß Friedrich nach dem Frieden seine europäische Stellung nur noch als Vasall Rußlands, nur dadurch behaupten konnte, daß er dem zarischen Raubgelüste die polnischen und türkischen Kastanien aus dem Feuer holte, daß er die europäische Hegemonie Väterchens anbahnen half, die bis zum heutigen Tage auf dem Nacken des preußischen Staates lastet.

      Sobald sich zeigte, daß die Westminsterkonvention die entgegengesetzte Wirkung hatte, als sie nach Friedrichs Absicht haben sollte, daß sie ihm den Krieg bescherte und nicht den Frieden, hat er sich ganz nach seiner sonstigen Art entschlossen, wie er selbst sagte, seinen Feinden lieber zuvorzukommen, als sich von ihnen zuvorkommen zu lassen. Es ist ganz richtig, daß ihm das Feuer im Sommer 1756 noch nicht auf den Nägeln brannte. Zwischen Österreich und Frankreich bestand erst ein Defensivbündnis, und Österreich selbst hatte Rußland aufgefordert, bis zum Frühjahr des nächsten Jahres zu warten, um besser gerüstet und namentlich mit Frankreich enger verbunden zu sein. Allein die russischen Truppen waren im Mai 1756 bereits auf dem Marsche gewesen, und auch Lehmann erkennt an, daß dieser russische Vorstoß die nächste Veranlassung zu den kriegerischen Verwicklungen gewesen ist. Der König stand vor der Wahl, durch diplomatische Verhandlungen den Winter hindurch an der Zerstörung der feindlichen Koalition zu arbeiten, auf die Gefahr bin, damit seinen einzigen wesentlichen Vorteil vor den Gegnern preiszugeben, seine bessere Kriegsrüstung und seine schnellere Kriegsbereitschaft, oder aber diesen Vorzug auszunützen und sofort loszuschlagen, auf die Gefahr hin, dadurch die gegnerische Koalition desto enger zusammenzuschweißen. Wenn er sich für diesen Weg entschied, so hat er von seinem Interessenstandpunkt aus entschieden das klügere Teil erwählt, denn er durfte nicht daran denken, die Feindseligkeit der beiden Kaiserhöfe zu entwaffnen, und ebensowenig war eine vernünftige Aussicht darauf vorhanden, daß er Frankreich wieder von dem österreichischen Bündnis losreißen würde, nachdem es einmal den ersten wenn auch verhältnismäßig noch zaghaften Schritt auf dieser Bahn getan hatte. Friedrich mag ein schlechter Diplomat gewesen sein, aber er war es doch wesentlich nur aus dem Grunde, weil er die Diplomatie für ein schlechtes Geschäft hielt; »Unterhandlungen ohne Waffen sind wie Noten ohne Instrument«, pflegte er zu sagen, und es war gar nicht uneben gedacht, wenn er annahm, daß er nach der Entwaffnung Sachsens und einem tüchtigen Stoße gegen Osterreich den Frieden besser werde erhalten können, als wenn er stillesaß und den sorgsam vorbereiteten Angriff der feindlichen Koalition abwartete.

      Kann man ihm also nicht vorwerfen, daß er aus Furcht vor eingebildeten Gefahren voreilig losgebrochen sei, so läßt sich ihm auch nicht nachrühmen – wenn es anders ein Ruhm wäre –, daß er den Krieg begonnen habe, um durch die Eroberung Sachsens aus seinem Staate eine wirkliche Großmacht zu machen. Die Besetzung Sachsens war für ihn eine finanzielle und strategische Notwendigkeit, wenn er den Verteidigungskrieg mit einiger Aussicht auf Erfolg führen wollte; daß er das Land im Glücksfall gern behalten hätte, als er es einmal hatte, daß er bereit war, um diesen Preis Ostpreußen den Russen und seine rheinischen Besitzungen den Franzosen zu überlassen, ist richtig, beweist aber nicht das geringste dafür, daß er je daran gedacht hat, Sachsen durch einen europäischen Krieg zu erobern. Ebensowenig lassen sich in diesem Sinne die Tatsachen verwerten, daß er all sein Lebtag begehrlich nach Sachsen geschielt hat, im Sinne einer »politischen Träumerei«, wie er in seinem politischen Testament von 1752 sagt, oder daß er, nachdem er sich einmal zum Schlagen entschlossen hatte, die ihm augenblicklich drohenden Gefahren übertrieb, wegen des Eindrucks auf die Welt und namentlich wegen des Eindrucks auf den englischen Bundesgenossen, und was sonst Lehmann und Delbrück in diesem Zusammenhange für ihre Hypothese vorgebracht haben. Sie haben aus allen Briefen, Depeschen und Schriften des Königs auch nicht eine Spur von Beweis für ihre Ansicht beizubringen verstanden, und wenn sie sich darauf berufen, daß Friedrich seine Pläne in tiefstes Geheimnis zu hüllen geliebt habe, so gibt es doch keine Handlung Friedrichs, die sich nicht vollkommen erschöpfend aus seiner stets wiederholten Versicherung erklären ließe, er habe den Krieg begonnen, um sich zu verteidigen.

      Friedrich war sich über die historischen Bedingungen seiner Existenz viel klarer als die preußischen Historiker von heute. Er hat den Stachel seiner französischen, seiner englischen und – namentlich – seiner russischen Vasallenschaft wohl empfunden, mit einer persönlichen Reizbarkeit, von der nur zu wünschen wäre, daß er sie auf die Bismarck und Bülow vererbt hätte. Aber da er ohne eine Spur nationaler Gesinnung war, so hat er die Schmach der Fremdherrschaft als solche nie empfunden. Die friderizianische Legende, wie sie von Sybel und Treitschke vertreten wurde, machte es sich bequem, indem sie den König einfach als »Helden der nationalen Wiedergeburt« anpinselte; nachdem diese so geschmacklose wie grobe Tünche verwittert ist, haben es die preußischen Historiker schwieriger, solange sie preußische Historiker sind, das heißt solange sie das Borussentum als eine historische