Sie griff sich eine Mistgabel, die an der Wand lehnte, und half. Hinterher wurden die Kühe wieder an den Melkstand geführt. Schweine gab es auf dem Stadlerhof nicht. Tobias’ Vater hatte vor Jahren einmal damit begonnen, eine kleine Zucht aufzubauen, aber die Aufzucht der kleinen Ferkel kostete beinahe mehr, als man später für das ausgewachsene Tier bekam. Als dann eine Krankheit einen großen Teil des Tierbestandes dahinraffte und die anderen Schweine dadurch auch unverkäuflich wurden, gab der Altbauer den Versuch wieder auf. Nachdem die morgendlichen Arbeiten erledigt waren, gingen Magd und Knecht in die Küche, wo Burgl schon das Frühstück auf dem Tisch stehen hatte. Tobias kam herein und entschuldigte sich. Normalerweise packte er morgens natürlich mit an. Doch gestern abend war es mit der Buchführung noch so spät geworden, daß er glatt verschlafen hatte.
Kathie fühlte, wie sie ein prickelndes Gefühl überlief, als der junge Bauer sie anschaute.
»Und?« fragte er. »Wie war die erste Nacht im neuen Heim? Hast’ gut geschlafen?«
Kathie wollte antworten, doch ihre Stimme versagte, und sie nickte nur stumm. Burgl hatte Kaffee eingeschenkt, Wurst, Butter und Käse standen auf dem Tisch, und ein Brotkorb. Sie setzten sich und ließen es sich schmecken, und zwischendurch bemerkte die junge Magd, daß der Bauer sie immer wieder ansah.
»Da fällt mir ein«, sagte Tobias plötzlich, »wir haben ja noch gar net über deinen Lohn gesprochen.«
Kathie lächelte.
»So eilig hab’ ich’s damit net«, antwortete sie. »Wirst mich schon ordentlich bezahlen.«
Der Bauer nickte.
»Vielleicht können wir uns nachher zusammensetzen und über alles reden«, schlug er vor. »Ich brauch’ ja auch noch deine Papiere, für die Anmeldung bei der Krankenversicherung und beim Steuerberater. Am besten nach dem Mittagessen.«
Kathie wollte gerade zustimmen, als Schorsch einen Einwand erhob.
»Da hast keine Zeit«, sagte der Knecht. »Du mußt heut’ zur Alm hinauf und den Käs’ abholen.«
»Ach ja, richtig.«
Tobias runzelte die Stirn und sah Kathie an.
»Dann kommst eben mit«, meinte er. »Wir reden dann unterwegs und du kannst’ dich gleich droben mal umschauen.«
*
Im Pfarrhaus saß Sebastian Trenker in seinem Arbeitszimmer und sah die Post durch, die der Briefträger am Morgen gebracht hatte. Viele von den Briefen waren Reklameschreiben, die nach kurzer Durchsicht gleich in den Papierkorb wanderten. Der Geistliche fragte sich, warum für so banale Produkte wie Plastikblumen und Tierfutter solch aufwendig auf Hochglanzpapier gedruckte Prospekte hergestellt werden mußten. Wenn er zehn Werbebriefe erhielt, waren neun davon bestimmt so überflüssig, wie eine Erkältung. Und ganz besonders ärgerten ihn die Sendungen, in denen er als Hauptgewinner einer Verlosung genannt wurde, obwohl er nie in seinem Leben an einer Lotterie teilgenommen hatte. Die anderen wirklich wichtigen Briefe hatte er schnell durchgearbeitet, zwei davon sogar schon beantwortet, als Sophie Tappert das Mittagessen ankündigte. Kurz zuvor hatte der gute Hirte von St. Johann schon die Haustür gehen hören, als sein Bruder kam.
Ein sicheres Zeichen dafür, daß es Mittag war.
»Na, Max, was gibts Neues?« erkundigte sich Sebastian, als sie in der Küche am Tisch saßen.
Der junge Polizeibeamte, der in dem malerischen Dorf für Ruhe und Ordnung sorgte, zuckte die Schultern.
»Man könnt’ fast glauben, es wär Sonntag«, meinte er. »Es ist friedlich und alle haben gute Laune.«
»Das ist mir auch lieber, als wenn’s anders wär’«, sagte der Geistliche und nahm sich Kartoffeln aus einer Schüssel.
Max hatte schon gleich, als er hereinkam, schnuppernd die Nase gehoben und sich die Lippen geleckt.
»Königsberger Klopse«, stellte er mit Kennerblick fest.
»Herrlich.«
Wenn nicht gerade Gäste im Pfarrhaus waren, dann erfreuten sich Sebastian und seine Lieben an einfachen Gerichten. Fleischpflanzerl, ein guter Eintopf, oder eben solch eine ostpreußische Spezialität. Und trotz aller Einfachheit gelang es Sophie Tappert immer wieder, daraus eine Köstlichkeit zu machen, daß man glaubte, in einem Drei-Sterne Restaurant zu essen. Was wahrscheinlich einer der Gründe war, weshalb der Bruder des Bergpfarrers immer noch Junggeselle war…
Allerdings hatte sich beim feschen Max vieles geändert. Früher stand er in dem Ruf, ein Herzensbrecher zu sein, sehr zum Leidwesen des Geistlichen. Max war immer und überall dabei, wenn es was zu feiern gab, ein rechter Hallodri, der keine Gaudi ausließ. Doch dann lernte er eines Tages seine wahre Traumfrau kennen, und sein Herz war verloren.
»Kommt die Claudia am Wochenend’?« erkundigte sich Sebastian.
Der Polizist schüttelte den Kopf.
»Ich fahr zu ihr«, antwortete er. »Oder besser gesagt, wir fahren beide zusammen übers Wochenende nach München. Wir haben Karten für die Oper.«
Sebastian, der gerade die Gabel zum Mund führen wollte, hielt in der Bewegung inne.
»Du willst in die Oper?« fragte er ungläubig.
Er schüttelte den Kopf.
»Es gescheh’n doch noch Zeichen und Wunder«, meinte er dann und sah seinen Bruder durchdringend an. »Oder willst mich auf den Arm nehmen?«
»Nein, nein, gewiß net«, beteuerte Max und legte den Kopf schief. »Na ja, es ist so, daß Claudia über die Aufführung schreiben soll…«
»Aha«, sagte der Geistliche schmunzelnd. »Also ein Arbeitsbesuch der Oper. Hätt’ mich auch gewundert, wenn du freiwillig da hingegangen wärst.«
»Was soll ich denn machen?« fragte Max kläglich. »In der Woche darauf fliegt Claudia nach Mailand und kommt erst vierzehn Tage später wieder zurück. Dann sehen wir uns ja eine Ewigkeit net. Wir haben also bloß das Wochenende.«
»So, Mailand«, nickte Sebastian nachdenklich. »Zur Modewoche, was?«
Max seufzte tief auf.
»Schad, das ich keinen Urlaub hab’«, sagte er. »Dann könnt’ ich sie ja begleiten. Aber so…«
»Na, so schlimm wird’s schon net werden«, tröstete der Bergpfarrer seinen Bruder. »Immerhin frischt so eine Trennung die Liebe wieder auf.«
»Bei uns braucht nix aufgefrischt zu werden«, protestierte Max lautstark.
»Schon gut«, lachte Sebastian. »Ich glaub’s dir ja. Dein Gesicht spricht Bände.«
»Hast eigentlich schon gehört, wie’s der Kathie Waldbauer geht, auf ihrer neuen Arbeit?« wechselte der Polizist das Thema.
Sebastian schüttelte den Kopf. Diese Frage hatte er sich auch schon gestellt.
»Sie ist ja erst einen Tag da«, meinte er. »Bestimmt braucht sie ihre Zeit, um sich einzuleben.«
Max sah ihn nachdenklich an.
»Sag mal, du hast dir doch bestimmt was dabei gedacht, daß du sie ausgerechnet auf dem Stadlerhof untergebracht hast, oder net?«
Sebastian lächelte.
»Es läßt sich net verleugnen, daß wir Brüder sind. Du kennst mich durch und durch.«
»Was ist eigentlich aus der Resi geworden?« fragte Max. »Weißt du was?«
Sebastian hatte seine Mahlzeit beendet. Lediglich von der Roten Beete, die Spohie Tappert im Pfarrgarten geerntet, gekocht und dann pikant eingelegt hatte, aß er noch ein paar Scheiben, weil sie so lecker war.
»Viel weiß ich darüber net«, antwortete er. »Nur, daß sie damals einen reichen Mann kennengelernt hat. Ein Tourist, der hier Urlaub machte, mit dem sie dann nach München