»Wenn S’ sich fit genug fühlen, steigen wir zur Kandererhütte auf«, sagte er. »Ich denk’, daß Sie das schon bald schaffen werden.«
Anja nickte. Sie fühlte sich ausgesprochen gut. Nachdem sie soweit genesen war, daß sie aufstehen durfte, hatte sie in der Klinik täglich Übungen gemacht, um die Muskulatur wieder zu stärken. Inzwischen fühlte sie sich soweit wieder hergestellt, daß sie sich vornahm, jeden Morgen zu laufen. Früher hatte sie das immer vor der Arbeit getan.
»Das ist eine gute Idee«, munterte Sebastian sie auf. »Laufen macht vor allem auch den Kopf frei.«
Er schaute sie nachdenklich an.
»Sagen Sie, Anja, gibt es wirklich sonst keinen Menschen, der sich für Sie interessiert? Der wissen müßte, wo Sie sind, wie es Ihnen geht?«
Die junge Frau sah einen Moment vor sich hin.
»Na ja, auf der Arbeit gibt’s schon ein, zwei Kolleginnen, mit denen ich ab und zu mal ausgegangen bin. Eine hat mich auch mal in der Klinik besucht. Aber ich wollte das eigentlich net, wegen der Entfernung. Ich hab’ mich allerdings net wieder bei der Frauke gemeldet.«
»Dann sollten Sie das aber tun«, meinte der Bergpfarrer. »Ich bin sicher, daß sie sich fragt, was mit Ihnen ist.«
»Glauben S’ wirklich?«
»Aber ja. Immerhin haben S’ da einen Menschen aus Ihrer alten Umgebung, der sich Gedanken um Sie gemacht hat. Sonst hätte die Frauke sie net besucht. Ich find’ schon, daß Sie’s ihr schuldig sind. Warum rufen S’ sie net nach dem Abendessen an?«
Anja lächelte.
»Vielleicht sollte ich das wirklich tun«, sagte sie. »Ja, Frauke und Ines müssen wissen, daß es mir gutgeht.«
»Außerdem sollte Ihr Arbeitgeber wissen, wo Sie sich aufhalten, für den Fall, daß man Sie erreichen will.«
»Sie haben recht, Hochwürden«, nickte Anja. »Das hab’ ich alles gar net bedacht. Hoffentlich bekomm ich da keine Schwierigkeiten.«
»Das glaub’ ich net«, schüttelte Sebastian den Kopf. »Immerhin sind S’ hier im Genesungsurlaub, und wenn man in Ihrer Firma irgendwelche Einwände hat, werd’ ich mit Ihrer Vorgesetzten sprechen. Einverstanden?«
Die junge Frau nickte erleichtert.
»Ich hab’ wirklich großes Glück, daß ich Sie kennengelernt hab’, Hochwürden«, sagte sie, mit einem Lächeln auf den Lippen.
*
»Du? So früh!«
Christoph hörte sich wirklich verblüfft an.
»Was ist denn mit dir los? Ich denk’, du wolltest dein Handy gar net einschalten.«
»Ich weiß«, antwortete Florian. »Es ist auch nur, weil ich kurz Bescheid sagen wollte, daß soweit alles in Ordnung ist.«
»Was ist mit den Fotos? Klappt das?«
»Mach’ dir keine Gedanken«, sagte der Fotograf. »Ich hab’ gestern gleich mit Pfarrer Trenker gesprochen, und er hat mir die Erlaubnis gegeben. Du, ich sag’ dir, wir können dem Professor gar net dankbar genug sein, für diesen Tip. Schade, daß ihr net hier seid. Ihr müßtest das wirklich mit eigenen Augen seh’n. Vor allem für Clarissa wär’s interessant, mit Hochwürden über die Kirche zu sprechen.«
»Vielleicht können wir am Wochenend’ ja hinkommen«, schlug der Freund vor.
»Das wär’ schön, ich fürcht’ nur, daß es wegen der Zimmer problematisch werden könnt’. Soviel ich weiß, ist hier alles ausgebucht.«
»Na ja, so weit ist’s von München ja nun auch wieder net, daß wir net noch am selben Tag wieder zurückfahren können. Oder wir probieren’s in der Umgebung.«
»Das wär’ wirklich klasse, wenn das klappt«, freute sich Florian.
»Sag’ mal«, forschte Christoph nach, »du rufst aber net nur an, weil du so begeistert bist, oder?«
Florian holte tief Luft. Der Freund kannte ihn wirklich durch und durch.
»Gestern hab’ ich jemanden kennengelernt…«, sagte er.
»Was?« brüllte Christoph ins Telefon und rief nach seiner Freundin. »Clarissa, der Florian hat sich verliebt. Stell’ dir das vor, unser eiserner Junggeselle hat sein Herz verloren!«
»He, ganz so ist’s ja nun auch wieder net«, wiegelte Florian ab. »Und kennengelernt ist vielleicht zuviel gesagt. Wir sind uns begegnet, als ich ins Pfarrhaus hinein und sie hinaus wollte. Es gab einen kleinen Zusammenstoß.«
»Junge, du machst vielleicht Sachen!« staunte Christoph. »Daß ich das noch erleben darf. Am liebsten würd’ ich gleich zu dir kommen und diese Dame persönlich in Augenschein nehmen.«
»Also, jetzt mach’ aber mal halblang«, rief der Fotograf. »Wenn ich gewußt hätt’, wie du reagierst, dann hätt’ ich bestimmt net angerufen.«
»Jetzt hab’ dich net so«, lachte der Freund. »Ich freu’ mich doch bloß für dich.«
»Aber ich kenn’ Anja wirklich kaum und weiß net einmal, ob sie mich net schon längst wieder vergessen hat.«
»Wie könnt’ man dich vergessen, Florian«, hörte er Clarissa seufzen.
Offenbar hatte sie ihrem Freund den Hörer abgenommen.
»Wenn ich dich vor Christoph kennengelernt hätte, dann säße er jetzt in St. Johann.«
»He, he, he!« hörte er Christoph im Hintergrund rufen, und schmunzelte.
»Aber ich freu’ mich für dich«, sagte Clarissa, »und ich wünsch’ dir, daß du die Bekanntschaft vertiefen kannst.«
»Warten wir’s ab. Erst einmal muß ich sie ja überhaupt wiedersehen. Aber etwas anderes – du hast gehört, was ich über die Kirche hier gesagt hab’?«
»Zum Teil, ja. Vielleicht können wir’s wirklich einrichten, am Wochenende nach St. Johann zu kommen. Bestimmt ist’s interessant, was dieser Pfarrer Trenker über seine Kirche zu sagen hat.«
»Dann versucht’s möglich zu machen. Ich fang’ jedenfalls schon mal mit den Fotos an. Aber jetzt will ich erst ein bissel joggen.«
»Es kann nie schaden, etwas für seine Gesundheit zu tun«, meinte Clarissa und verabschiedete sich.
Florian war schon sehr früh aufgewacht. Zu Hause schlief er selten länger als bis sechs Uhr. Es sei denn, es war am Abend zuvor spät geworden. Nach dem Telefonat machte er eine Katzenwäsche. Er wollte erst laufen, bevor er dann ausgiebig duschte und frühstückte.
Gestern abend hatte er im Wirtshaus gegessen und war früh schlafen gegangen. Daß er die ganze Zeit an die junge Frau denken mußte, fiel ihm erst auf, als er die anderen weiblichen Gäste musterte, in der Hoffnung, sie darunter zu finden.
Amüsiert stellte Florian fest, daß diese Anja ihn mehr beschäftigte, als es jemals eine Frau zuvor getan hatte.
Und er kannte nicht wenige!
Sein Beruf brachte es mit sich, daß er immer wieder die Bekanntschaft hübscher, junger Frauen machte; und nicht wenige von ihnen träumten von einer Karriere als Fotomodell. Tatsächlich hatte Florian schon mehrfach Modefotos für Kataloge und Illustrierte gemacht. In der Branche besaßen er und Christoph den Ruf, gewissenhaft zu arbeiten und äußerst seriös zu sein. Ihr kleines Geschäft, das sie betrieben, lief eigentlich mehr nebenbei, als zweites Standbein. Eine Angestellte arbeitete dort eigenverantwortlich, wenn die beiden Freunde geschäftlich unterwegs waren.
Indes hatte keine dieser Frauen ein Interesse bei ihm hervorzurufen vermocht, das über das an der Arbeit mit ihnen hinausging. Ein Flirt hier, ein Kuß da, vielleicht auch mal mehr – schön und gut. Aber ernsthaft hatte sich der Fotograf noch