ISLAND RED. Matt Serafini. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matt Serafini
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958353718
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auf, als ihr niemand öffnete. Gut möglich, dass die Kleine einfach nur ihre Ruhe haben wollte. Ich war einmal mit einer Künstlerin zusammen, die auch geglaubt hast, dass die ganze Welt sich nur um sie drehen würde. Nach sechs Uhr abends durfte ich sie nicht mehr anrufen, weil sie dann vielleicht gerade einen künstlerischen Durchbruch erleben würde. Jetzt ist sie im Lamplighter Nachmittagstänzerin, wenn mich nicht alles täuscht.«

      »Anne hat nur an exakt einem Ort auf der Insel ihre Ruhe«, entgegnete Luther, »und belegt ihr Zimmer immer bis Juni. Wo könnte sie sonst stecken, wenn sie nicht dort ist?«

      »Es gibt doch eine Menge alleinstehende Männer auf dieser Insel«, deutete Frank an. »Und auch Frauen.«

      »Sie würde sich niemandem ohne Weiteres an den Hals schmeißen.«

      »Oh bitte«, meinte Frank stöhnend. »Wir wissen doch rein gar nichts über sie. Ich habe aufgepasst … sie hat die meisten Tage auf ihrem Zimmer verbracht und sich bestimmt die Finger auf ihrem Laptop wundgetippt, um den neuen amerikanischen Roman schlechthin fertigzustellen – ein Werk, das für zukünftige Generationen von Schülern Pflichtlektüre sein wird. Davon einmal abgesehen ist sie gelegentlich in der Bar aufgeschlagen oder hat abends am Strand gesessen und hat dort ihre Gedanken in ein Tagebuch geschrieben.«

      »Vermisst heißt außerdem ja nicht gleich, dass sie tot ist«, ergänzte Rand. »Ihre Eltern könnten zum Beispiel krank sein …«

       Ihre Eltern sind tot.

      »… oder vielleicht hat sie sich nach ihrem Freund gesehnt.«

       Der hat sie immer nur vermöbelt.

      »Genauso gut könnte sie sich einfach nur ihr eigenes bequemes Bett zurückgewünscht und nach Hause aufgebrochen sein.«

      »Wobei sie einem Hai zwischen die Zähne geraten sein könnte«, fügte Luther ohne irgendeine Ironie hinzu.

      »Da ist kein Hai«, beharrte Rand, der dachte, dies bereits so oft wiederholt zu haben, dass es automatisch wahr wurde. »Du brauchst nicht zu erwarten, dass jemand von uns Breyer beim Wort nimmt.«

      Luther tat es aber, denn Kirby Breyer hatte das Vieh tatsächlich gesehen. Der Mann war einer zünftigen Flasche Whiskey zwar nicht abgeneigt, wenn ein Tag redlicher Arbeit hinter ihm lag, doch diese redliche Arbeit bedeutete ihm zu viel, als dass er währenddessen etwas getrunken hätte.

      Die beiden kannten einander schon seit Luthers Umzug auf die Insel. Wovor sich der arme Kirby hier versteckte oder welcher Schicksalsschlag ihn so sprechen ließ, wie er es tat, wusste er zwar nicht, aber der Mann trat seinen Dienst immer pünktlich an und hatte einen sechsten Sinn, wenn es darum ging, Fische zu finden.

      Luther schenkte seiner Aussage deshalb Glauben, weil Breyer nur ihm davon erzählt hatte. Der Rest der Jungs erging sich nämlich gern in Prahlereien, wenn sie in der Kneipe saßen und von dem einen Mal schwadronierten, als ihnen etwas Unglaubliches passiert sei … dass alle hätten dabei sein müssen, um es in seiner nicht nachweisbaren Pracht zu bezeugen. Miller zum Beispiel, vögelte angeblich jedes Mal Supermodels, wenn er allein nach Miami fuhr, brachte es hier aber nicht einmal fertig, Kellnerinnen auch nur anzulächeln.

      Breyer kauerte hingegen immer in der dunkelsten Ecke des Lokals. Er war das einzige Besatzungsmitglied mit einem Taucherschein, was bedeutete, dass er auch Dinge unter Wasser bergen konnte, falls diese den Aufwand rechtfertigten.

      In der Woche zuvor, hatte das Gerücht die Runde gemacht, dass ein Touristenpärchen auf einem Boot in Richtung Bahamas unterwegs und betrunken gewesen sei. Die zwei hätten sich angeblich gestritten, weil ihm ihr String-Bikini und die Gaffer, die sie damit auf den Plan gerufen hatte, ein Dorn im Auge gewesen seien. Die Dame hatte schließlich angeblich das Gepäck ihres Gatten über Bord geworfen. Er wollte zwar nicht preisgeben, was genau in den Taschen steckte, hatte aber fünftausend Dollar Belohnung für denjenigen in Aussicht gestellt, der es wiederbeschaffte. Sobald er mit dem Boot vor Harbor Island angekommen war, hatte er einen Rückflug nach Hause gebucht und seine Frau mit ihrem String-Bikini in der Hochzeitssuite zurückgelassen.

      Weil die Saison so optimal lief, was das Fischen anging, konnte es Luthers Dafürhalten nach nicht schaden, die Taschen zu suchen. Sie verdienten in ihrem Job nicht mehr als dreißigtausend Dollar jährlich und ihr Chef hatte nichts gegen kurze Bergungsexpeditionen einzuwenden, solange die eigentliche Arbeit nicht darunter litt. Deshalb hatten sie sich umgesehen, während sie dem Kurs des Bootes von Miami nach Crystal Key gefolgt waren, und über das Wetter an dem Tag der Fahrt sowie ihre Geschwindigkeit spekuliert hatten, um ungefähr die Koordinaten der Untergangsstelle bestimmen zu können.

      Breyer war hundertsechzig Fuß tief getaucht, um das Gepäck zu suchen, und tatsächlich darauf gestoßen.

      »Ein Meeresungeheuer!«, hatte er gerufen – es war eine Riesenschlange gewesen, die auf unerklärliche Weise einem Hai ähnelte. Selbst Luther hatte sich zunächst gefragt, ob der Kerl einen über den Durst getrunken hatte.

      Seine Beschreibung war regelrecht poetisch gewesen und so etwas konnte Breyer sich nicht einfach ausdenken. Seiner Aussage zufolge war die Kreatur regungslos auf ihn zugetrieben, geradewegs wie aus einem Albtraum, während im Ozean ringsherum die Zeit stillgestanden hatte.

      Daraufhin war er in Panik geraten und schnell wieder aufgetaucht. Luther hatte schon bereitgestanden, um ihn zurück an Bord zu ziehen, ohne nachzusehen, weshalb er so verstört gewesen war.

      Ihn zu beruhigen, hatte fast den ganzen Morgen gedauert, und es war seines Wissens nach zum ersten Mal dazu gekommen, dass Breyer während der Arbeit Whiskey trank – und das auch nur auf ihr Anraten hin. Nachmittags hatte er die meiste Zeit über mit einer Decke um die Schultern still dagesessen und auf das Meer hinaus gestarrt, bis er vor lauter Alkohol mutig genug geworden war, um von seinem Erlebnis zu erzählen.

      Sein Albtraum stellte sich letzten Endes als Schlangenhai heraus, wie sich nach Kurzem Nachforschen leicht in Erfahrung bringen ließ. Falls ein solcher allerdings wirklich in diesen Gewässern lebte, dann stellte er in einer Tiefe von beinahe zweihundert Fuß ein Problem dar, denn diese Meeresräuber waren so scheu, dass es überhaupt erst seit 2004 erste Fotos von ihnen gab. Dass sich ein Lebewesen so lange versteckt halten konnte, versetzte ihn in Erstaunen.

      »Ich glaube Breyer«, gestand Luther den anderen nun, »und er sprach nun einmal von einem Hai. Die Fischerei liegt ihm im Blut und er hat uns bisher noch niemals auf eine falsche Fährte geführt. Kein einziges Mal hat er sich dort draußen etwas erlaubt, weswegen ich an seinen Fähigkeiten zweifeln würde.«

      »Es unterstellt ihm ja niemand, dass er schlecht arbeitet«, verdeutlichte Rand, »aber man weiß schließlich nie, was im Kopf eines Verrückten vor sich geht. Womöglich verliert er ja endgültig seinen Verstand.«

      »Ich schätze, das wäre denkbar, oder es gibt eine simplere Erklärung: Vielleicht schwimmt da draußen doch ein verdammter Hai vor der Küste.«

      Luthers Funkgerät knisterte jetzt. »Ich sehe euch drei am Ufer … seid ihr das Empfangskomitee bei unserer glorreichen Rückkehr?«, fragte Parker von Bord aus.

      Sie legten die Eve über Nacht vor Anker, ihr Tag war alles andere als ereignisreich gewesen. Sie hatten den Atlantikkorridor zwischen der Küste von Miami bis zu den Bahamas mehrmals durchquert, aber nur eine Jacht vor Key Largo entdeckt, auf der gerade ein Pornofilm gedreht worden war.

      »Ohne Scheiß?« Luther lachte. »Ihr habt doch hoffentlich ein Video davon gemacht, oder?«

      »Hamilton hätte den Darstellern ja eine Bleibe anbieten können«, meinte Parker. »Das wäre doch die Art von Party, die das Shifting Tides brauchen könnte. Sobald er auf den Trichter kommt, wird die Hälfte seiner Zimmer an Girls Gone Wild untervermietet werden.«

      »Eine lustige Truppe hast du da«, meinte Rand zu Luther. »Warum vergeuden sie ihre Zeit denn noch mit Fischen, wenn sie so viel Humor und Fantasie an den Tag legen?«

      »Ich bin sowieso schon zu alt, um mir so etwas anzuschauen«, erwiderte Luther. »Außerdem kommt mein Kleiner morgen zu Besuch, also wäre es