ISLAND RED. Matt Serafini. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matt Serafini
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958353718
Скачать книгу

      Luther Bradshaw stand am Ufersteg und beobachtete, wie der Fischkutter zurückkehrte – sein Fischkutter. Eigentlich sollte er mit an Bord sein, doch heute war er nicht zum Fischfangen hinausgefahren, sondern hatte Jagd auf Haie gemacht.

      Die Eve, so hieß sein Boot, tuckerte durch das ruhige Küstenwasser, das auf dieser Seite von Crystal Key zweitausendsechshundert nautische Faden tief war und bis auf ungefähr elf Fuß über dem Meeresspiegel anstieg. Etwa siebenundvierzig Meilen hinter ihr erstreckte sich die Küste von Miami. Diese sah man von hier aus nicht, doch seit einiger Zeit vermisste er die Sicherheit des Festlands.

      Die Bahamas lagen rechter Hand und noch einmal vierzig Meilen weit entfernt. Die See auf der Strecke dorthin war mit dreitausendachthundert Faden sogar noch tiefer, und die Inselgruppe von Luthers Warte aus natürlich nicht einmal annähernd in Sichtweite.

      Als Zwischenstopp für Reisende zwischen Florida und der Inselgruppe, hatte sich Crystal Key als praktisch herausgestellt. Man konnte hier haltmachen und übernachten, erkannte dann aber schnell, wie wenig dieses kleine Stück vom Paradies zu bieten hatte. Mancher blieb vielleicht länger, weil es auf der Südseite des Inselchens das kleine Ressort Shifting Tides gab, das von einem geschäftstüchtigen Typen an einer strategisch klugen Stelle gebaut worden war, um einen Teil des so wichtigen Überhangs von Touristen aufzunehmen, die keine Unterkunft auf den Bahamas mehr fanden.

      Es war deutlich günstiger als die hochklassigen Ferienanlagen dort, und zwar mit Absicht, aber andererseits war es keine Absteige, sondern eher so etwas wie ein Spinnennetz nach floridianischem Verständnis.

      Denn wer einen spontanen Ausflug in den zum Commonwealth of Nations gehörenden Inselstaat antrat, was nicht wenige taten, musste oft feststellen, dass die dortigen Hotels und Ressorts komplett ausgebucht waren, und in solchen Situationen erwiesen sich die Einheimischen dann als so freundlich, den Fremden das Shifting Tides zu empfehlen. Nur vierzig Meilen den Weg zurück, auf dem Sie hergekommen sind!

      Der Besitzer Rand Hamilton, ein Vier-Sterne-General im Ruhestand, leitete seinen Betrieb entsprechend militärisch. Er postierte seine Angestellten während der Hochsaison gezielt in den Lobbys der vollen Etablissements, um dort potenzielle Kundschaft anzuwerben, sobald diese an der Rezeption erfuhr, dass alles ausgebucht war.

      In den meisten Fällen ging die Rechnung auf, und aktuell weilten etwa dreizehn Paare auf Crystal Key, die zu blöde gewesen waren, sich im Vorfeld irgendwo ein Zimmer zu reservieren.

      Im Allgemeinen störte Luther dies nicht. Der Tourismus kurbelte die Wirtschaft auf der Insel an, denn über kurz oder lang wurden die Gäste das Shifting Tides und dessen Annehmlichkeiten leid. Die Bar am Pool, wo nie etwas los war, das hibbelige Conga-Getrommel am Strand, drittklassige Konzertdarbietungen und Wanderwege durch sehr lichtes Gehölz – das alles hatte man irgendwann gesehen, woraufhin man lieber einen Abstecher in die Stadt machte.

      Bedauerlicherweise war diese aber auch nicht merklich berauschender. Die Angereisten hatten schließlich Urlaubspläne. Sie verlangten nach Feiern am Strand-Lagerfeuer und nach Tauchgängen in Unterwasserhöhlen, während das Hotel selbstverständlich fünf Sterne haben musste. Was sie hier hingegen bekamen, waren eine heruntergekommene Kneipe namens Lashonda’s, ein paar Souvenirläden mit authentischem Krimskrams wie Muschelketten und mehrere familienbetriebene Restaurants mit Meeresküche.

      Infolgedessen wurden sie schon bald des urigen Insellebens überdrüssig und kehrten entweder nach Miami zurück oder buchten das nächstbeste freie Zimmer auf den Bahamas und saßen hier einfach nur ihre Zeit ab.

      Die Fische stellten den zweiten Knackpunkt dar. Wirklich alles auf dieser Insel stank ihretwegen, denn mit ihnen verdiente der Großteil der Inselbewohner sein Einkommen – Luther ebenfalls, und in Hinblick auf all die anderen Beschäftigungen, die er im Laufe der Jahre angenommen hatte, war diese gar nicht mal so übel.

      Er wünschte sich, heute wäre ein Tag wie jeder andere, denn er wäre gern mit seiner Crew – Parker, Breyer, Zane und Taffy – draußen auf dem Atlantik gewesen. Gemeinsam bildeten sie nämlich die fünfköpfige Besatzung der Eve. Jeder altgediente Seebär hätte Luther bedauert, weil er heute an Land geblieben war.

      Einer von ihnen musste jedoch die Stellung halten, und da er die wenigsten Erfahrungen als Meeresjäger mitbrachte, ergab sein Zurückbleiben durchaus Sinn. Außerdem verließ er sich sowieso eher auf Parker am Ruder als auf sich selbst. Das hätte er ihm zwar nicht ins Gesicht gesagt, doch insgeheim fand er von jeher, dass der Mann einen wesentlich fähigeren Kapitän abgab, als er.

      Luther hielt seinen Feldstecher in die Höhe und kniff das eine Auge zusammen, aus dem er noch sehen konnte. Die untergehende Sonne ließ die sanfte Dünung orange flimmern. Er schaute nach beiden Seiten und behielt das Wasser rings um den Rumpf des Kutters herum im Auge, doch da war nichts.

       Er muss da sein!

      »Freut mich, zu sehen, dass du das ernst nimmst.« Rand Hamiltons Ruppigkeit war zwar nichts Neues für ihn, aber so angenehm wie Zähne ziehen. Luther hatte sich noch nicht ganz umgedreht, da kam er auch schon mit seinen Stiefeln polternd über den Steg auf ihn zu. »Nach dem irren Zinnober gestern Nacht am Himmel habe ich schon genug damit zu tun, meine Gäste zu beruhigen … da brauchen sie nicht auch noch Angst vor dem Hai zu haben, von dem du träumst.«

      Luther hütete seine Zunge, denn sich mit dem Kerl anzulegen, hätte alles noch viel schlimmer gemacht. Die Eve sollte in fünf Minuten eintreffen und sobald die Jungs an Land waren, würde er sich langsam wieder entspannen können.

      »Hast du da draußen denn etwas gesehen?« Diese Stimme gehörte Frank Westbay, mit dem Luther nicht gerechnet hatte.

      Der Mann trug sein eigens für ihn gefertigtes, schwarzes G31-Gewehr mit sich herum. Es hing momentan harmlos an einem Gurt vor seiner Brust. Die Ärmel der Weste, die er trug, waren abgerissen, sodass an den Nähten gezackte Stoffreste hingen. Sein Gürtel war mit einer Messerscheide bestückt, die gegen seine weite Jeans schlug. Auch seine Schritte hallten laut wider, weil er Stiefel aus Überschussbeständen der Army trug.

      Wenn man einen Mann auf der Insel auch nur annähernd als Gesetzeshüter bezeichnen konnte, dann ihn. Crystal Key gehörte genauso wie die tatsächlichen Florida Keys irgendwie zum County Monroe, und die Polizei ließ sich nicht sonderlich oft hier draußen blicken. Frank wurde außerdem mehrheitlich für eine nettere Gesellschaft gehalten als die Herren in Uniform. Niemand hatte ihn auf diesen Posten gewählt, doch er war schon bei sehr vielen Streitigkeiten vor Ort schlichtend eingeschritten und dadurch irgendwie in den Job hineingewachsen.

      »Es war den ganzen Tag lang ruhig«, sagte Luther.

      »Wunderbar.« Frank klopfte ihm zur Begrüßung auf den Rücken, bevor er stehen blieb. »Hoffentlich verschwindet er wieder in der Tiefe, wo auch immer er hergekommen ist.«

      »Er hat Menschenfleisch probiert und was dann?«, fragte Luther. »War es etwa nicht nach seinem Geschmack?«

      »Unsinn, Bradshaw«, erwiderte Rand. »Falls es diesen Hai überhaupt gibt, dann weißt du doch gar nicht, ob er irgendwen gebissen hat.«

      »Ich weiß aber, dass Anne Munro vermisst wird und bestimmt ist sie nicht einfach von der Insel weggeschwommen.«

      »Wo hast du das denn aufgeschnappt?«, wunderte sich Rand. »Tingelst du etwa von Haus zu Haus?«

      Luther wollte den beiden nicht erzählen, wo er es gehört hatte. Denn das Mädchen war zwar erwachsen, aber gerade erst neunzehn geworden, er hingegen war schon weit über fünfzig und einmal geschieden. Crystal Key musste nicht erfahren, dass sie etwas miteinander hatten. Die Menschen hier gaben sich immer wer weiß wie offen, bewiesen aber beim erstbesten Anlass ihre Engstirnigkeit. Sie würden ihm garantiert vorwerfen, dass er die Verletzbarkeit einer weggelaufenen College-Aussteigerin ausgenutzt hatte.

      Luther selbst hatte sich schon oft gefragt, ob er nicht tatsächlich genau dies tat.

      Jetzt hielt er seinen Mund und widmete sich wieder dem Meer.

      »Sie ist ganz sicher nicht