Schweigend lag ich da und ging nochmals gedanklich meine Liste durch.
Heute waren alle meine Lieben, also Großeltern, Urgroßeltern und Verwandte zum Mittagessen eingeladen oder besser gesagt, sie hatten sich listig dazu eingeladen.
So ein Tag musste ja ausgiebig gefeiert werden, und wenn es ging, nie bei sich zu Hause, sondern, weil es so schön und vor allem so einfach war, bei mir. Die vielen lauten Kinder nahm man dabei schweren Herzens in Kauf, dafür gab es immer ein wunderbares Essen.
So waren dreißig Personen, die ich zum Mittagessen erwarten durfte, angesagt. Dies entsprach nur dem kleinsten Kreis meiner eigenen und der verschwägerten Familie, nicht eingeschlossen waren dabei die in diversen Krankenhäusern liegenden Gebärenden oder an Demenz Erkrankten.
Ein opulentes Mahl war vorzubereiten. Rindsuppe, die ich schon am Vortag gekocht hatte, und eine Unzahl an Wiener Schnitzeln, die ich alle noch panieren musste, wenn endlich meine Küche wieder frei gewesen wäre. Doch ich musste zuwarten, es war ja Muttertag, bekanntlich der schönste Tag …
Ich lag im Bett und träumte so vor mich hin, schlafen konnte man bei diesem Lärm ohnehin nicht mehr, als plötzlich die Türe unsanft aufgestoßen wurde und mein Mann riesig und zornig wie Odysseus bei seiner Heimkehr nach Ithaka im Zimmer stand – vor ein paar Jahren hätte ich diese Situation sofort beim Schopf gepackt – und mit verbissenen Lippen die Worte wir haben keine Milch mehr zischte. Ohne Milch kein Kakao, somit kein Sahnehäubchen, somit ein mageres Frühstück. Kakao und Schlagobers mussten aber am Tisch stehen, konnten sie doch bei ihrem Genuss darüber hinwegtäuschen, dass die Torte einfach scheußlich schmeckte.
Der Vorteil einer langen Beziehung besteht darin, auch ohne Handlungsaufforderung Dinge zu tun, die notwendig sind, um eine Situation zu retten. Außerdem hatte ich genug Erfahrung aus den Muttertagen vergangener Jahre. So zog ich mir schnell eine Jacke über mein Negligee, schlich aus dem Haus, die Kinder sollten sich im satten Glauben räkeln, die Mutter würde ihrerseits dasselbe im Bett tun, und fuhr den nächsten Bahnhof an, um Milch und frische Semmeln zu kaufen.
»Auch im Muttertagstress?«, fragte mich mitleidig lächelnd die Kassiererin, während sie gelangweilt die Produkte über den Scanner zog.
»Ich beneide Sie, Sie können heute arbeiten, ich muss zu Hause alles über mich ergehen lassen.«
»Alles eine Frage der richtigen Einteilung. Trinken Sie ein Glas Prosecco?«
»Wie bitte?«
»Kann ja nicht schaden, stärkt die Nerven, glauben Sie mir!«
Die freundliche Dame aus dem Supermarkt schenkte sich und mir ein Gläschen aus einer bereits geöffneten Flasche Sekt ein, wahrscheinlich hatte sie mehr solcher Kundinnen wie mich an diesem Tag; und während wir über Familie und sonstige Widrigkeiten redeten, kam sie nach dem zweiten Gläschen zum Schluss, jede Mutter, sei sie mit einem, zwei oder mehreren Kindern bestückt, sei sie Hausfrau oder berufstätig, gehöre in ein goldenes Bild gerahmt, was ich mit bereits geröteten Wangen nur zustimmend erwidern konnte.
Nach dem dritten Glas, und als wir schon perdu waren, fiel mir wieder mein Odysseus ein, der jetzt wahrscheinlich schon schweißgebadet mit den vier Kindern keifend in der Küche stand.
Ich verabschiedete mich von Maria, meiner netten neuen Supermarktbekanntschaft, und fuhr in großen, langen Schleifen heimwärts. Polizisten musste ich nicht wirklich befürchten, würde ja heute jeder anständige Mann mit seinen Kindern in der Küche stehen und Frühstück bereiten.
Ich genoss die Einsamkeit, hörte laut Musik im Radio und gab mich Gefühlen wie in der Jugendzeit hin. Jung, mondän und gut gelaunt übertrat ich Geschwindigkeitsbegrenzungen und sonstige ärgerliche Verkehrsbehinderungen und merkte erst etwas später, dass ich von einem schwarzen BMW verfolgt wurde.
Da nach drei Gläschen Sekt meine Selbsteinschätzung bereits getrübt war, wollte ich mit den Jungs – wer konnte sonst so einen aufgemotzten Wagen fahren als Männer, die ein gestörtes oder gar kein Sexualleben aufweisen konnten? – ein kleines Wettrennen veranstalten.
Ich konnte mich dabei auf den fahrbaren Untersatz meines Mannes verlassen, einen großen, PS-starken Sportwagen. Die berühmte Ausnahme, die die Regel bestätigt.
Die Burschen hatten nun wirklich ein Problem mit mir. Ich sauste über die Landstraße dahin, die Distanz zwischen uns wurde immer größer, ein böser Irrtum wie sich später herausstellte. Ich konnte in meinem Siegesrausch nicht mehr erkennen, dass der schwarze BMW bereits die Schilder einer Zivilstreife und das kleine, lustig blinkende Blaulicht eingeschaltet hatte.
Als ich in die Garageneinfahrt fuhr, standen bereits meine kleinen Lieben an der Türe und freuten sich: »Papa, komm schnell, die Mama wird von netten Polizisten heimgebracht!«
Constantin war dabei besonders stolz auf seine schwachsinnige Mutter, dachte er doch, dass nur besonderen Müttern dieses Privileg zuteilwerden konnte.
Es stiegen zwei weibliche Uniformierte aus, sichtlich verärgert über mein Verhalten.
Nun hat es mit der Polizei so seine eigene Bewandtnis. Der Maßstab des Alterns einer Frau liegt nicht im Spiegelbild, das einem tagtäglich entgegenschreit: »Mein Gott, Doppelkinn, Falten auf der Stirn, müde Augen, ich schau ja um zehn Jahre älter aus als meine Mutter!«, sondern wie man auf andere Menschen wirkt. Vornehmlich auf Polizisten. Es gilt hierbei der Grundsatz: Musst du als Frau eine Verwaltungsstrafe zahlen, bist du wirklich alt.
Das war bei mir noch nicht der Fall, hatte ich bei unterschiedlichsten Verkehrskontrollen schnell noch die Gelegenheit, den obersten Knopf meiner Bluse zu öffnen, mir meine Wimpern nachzutuschen, oder gab meinen kleinen Lieben den Befehl, sich saublöd im Wagen zu benehmen. Spätestens beim Öffnen des Fensters hatte ich gewonnen. Die spröde anweisende Stimme des Inspektors kippte genau in einer Sekunde um in ein verständnisvolles, großväterliches Grinsen.
Bis heute ist aber der Beweis für meine Theorie nicht ganz erbracht, weil empirisch nicht zu beweisen, ob der Blusenknopf oder das Gebrüll meiner Kinder die plötzliche Verhaltensänderung der Uniformierten auslöste. Wahrscheinlich Ersteres, aber egal, ich musste nie eine Strafe bezahlen.
Nun standen zwei Polizistinnen da, und in Anbetracht meiner unzähligen Verkehrsübertretungen und des nicht erwünschten Spielchens, das ich mit ihnen trieb, war ihre Wut verständlich. Da ich nicht annahm, dass eine der beiden lesbisch, also keine Blusenknopföffnung möglich war, musste die zweite Strategie zielführend sein.
Stolz und überschwänglich herzten mich meine kleinen Bestien. Odysseus schüttelte verständnislos den Kopf.
»Sind das alle Ihre Kinder?«
Ich zog die beiden Ordnungshüterinnen zur Seite.
»Strafen Sie mich bitte erst morgen, heute ist Muttertag, ich will ihnen die Freude nicht verderben.«
Aus dem Haus hörte man Paulchen schreien, er hatte wahrscheinlich immer noch nichts zu essen bekommen.
»Da schreit ja noch eines?!«
»Ja, in Summe sind es vier.«
»Alles Jungen?«, ich spürte förmlich, wie die Wut langsam dahinschlich und Mitleid in ihre Augen stieg.
»Ja, alles Buben, aber es ist nicht so schlimm«. Diesen Satz flüsterten in Actionfilmen verletzte, meist angeschossene, aber mutige Frauen, kurz bevor man sie in die Ambulanzwägen hob, zu ihren Geliebten, damit diese sich keine Sorgen machen mussten. Genialer Schachzug.
Ich versuchte die Geschwindigkeit damit zu erklären, dass mein Mann mit der Situation vollkommen überfordert und ich wieder einmal das Zünglein an der Waage gewesen war, weil keine Milch fürs Baby im Hause war.
Als dann noch Constantin die sichtlich Irritierten zu Kaffee und Torte einlud – es war ja Muttertag und alle Frauen sollten gefeiert werden –, war es perfekt.
»Wir haben uns genau aus dem Grund zum Dienst einteilen lassen, weil Muttertage höllisch nerven«,