Jeder Tag ein Muttertag. Katharina Grabner-Hayden. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katharina Grabner-Hayden
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902862297
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sind die wirklich schönen Dinge immer nur von kurzer Dauer. Als ich dem jungen, hübschen Kerl neben mir das Oberhemd abstreifen wollte, wurde ich ziemlich unsanft von meinem Pfleger geweckt.

      »Ich liebe Sie, nur das Hemdchen, du Süßer, du.«

      »Ich Sie auch, Mama, und jetzt wird gewaschen, Sie sind ja voll zugedröhnt, und das in Ihrem Alter!«

      »Sie sind ein brutaler Mensch, wo bin ich überhaupt?«

      So schnell kann das gehen, das vollkommene Glück zerplatzt wie eine Seifenblase.

      Er nahm mir einfach meine Infusionsflaschen weg und damit auch meine leichten Träume, unsanft wurde ich in die Welt zurückgeschmissen, die aus kahlen, sterilen Mauern und nach Desinfektionsmittel riechenden Kreaturen bestand.

      Und schon waren sie wieder da. Die Sorgen krochen wie Schlangen an mir hoch. Wie sollte ich das alles schaffen, wieder ein kaputtes Bein, wieder Krücken, wieder dem Mitleid anderer ausgeliefert zu sein?

      »Einmal lassen Sie mich noch etwas gegen die Schmerzen tun, bitte!«, flehte ich den Pfleger an, der mein Bein erbarmungslos abdeckte.

      »Nein, Mama, jetzt kommen die Drainageröhrchen aus dem Bein und dann geht’s heraus aus Ihrem Bett. Sie werden heute die ersten Schritte gehen!«

      Auf die Frage, ob das sehr schmerzhaft werden würde, bekam ich keine Antwort, nur ein mitleidiges Lächeln meiner Zimmergenossen.

      Schon war sie da, eine unglaublich hübsche, aber dafür umso grausamere Oberärztin. Der Pfleger hielt mein Bein abgewinkelt und die Ärztin zog an den Drainagen, die aus meinem Knie fingerdick heraushingen.

      Im Hintergrund hörte ich leise meine Kollegenschaft, lauter Menisken-gequälte, Schleimbeutel-extrahierte und Kreuzband-gerissene Fußballenthusiasten, zählen: zehn, neun, acht, sieben …

      Bei Null dann der erlösende Schrei. Allgemeines Klatschen und vorbei war die Folter.

      Mir schossen die Tränen in die Augen.

      Als die Oberärztin das Zimmer verlassen hatte, nahm ich mir meinen Pfleger vor. In einem Befehlston, den ich nur bei meinen Kindern ansetzte, herrschte ich ihn an, er solle mir jetzt sofort einen Rollstuhl und mich in ein Raucherzimmer bringen, ich müsste eine Zigarette rauchen und sollte ich noch einmal das Wort »Mama« aus seinem Mund hören, könnte ich für nichts garantieren, ich würde einfach ins Bett machen. Jeder hier würde es verstehen. Die anderen Patienten nickten solidarisch.

      Ein Wunder, der Pfleger war wahrscheinlich diesen Befehlston gewöhnt oder hatte einfach Angst, mein Bett neu überziehen zu müssen, er gehorchte – ich hätte es aus Trotz auch wirklich getan –, holte den fahrbaren Untersatz und schob mich unter Beifall ins nächst gelegene Zimmer, wo man rauchen konnte.

      Auch die beiläufig zynischen Bemerkungen von Patientenkollegen, dass Frauen und Fußball so eine Sache wären, ließ ich über mich ergehen. Nachdem ich aber durch meine Jungs selbst glühender Rapid-Fan war und in unterschiedlichsten Wiener Derbys meine persönlichen Erfahrungen machen konnte, nahmen sie mich freundschaftlich in ihren Kreis auf.

      Mir ging’s in dieser Zeit eigentlich gar nicht schlecht. Ich fing an, viele meiner Gedanken zu ordnen und sie in entsprechender Weise auf Papier zu bringen.

      So vergaß ich die Schmerzen, die mir mein Knie immer noch verursachte.

      Als ich endlich wieder im trauten Heim aufgebahrt in der Küche saß, die Kinder hatten mit meinem Mann das Haus gepflegt, alles war in Ordnung und auf Wochen eine Haushaltshilfe bestellt, machten sie mir ein wunderbares Geschenk.

      Ich sollte doch bitte endlich mit meinem Buch beginnen.

      Da lag es nun, ein handliches Notebook und wartete gierig darauf, gefüllt zu werden mit Geschichten, die nur das Leben spielen konnte.

      Mein liebster Ehemann freute sich auf einen grandiosen Erfolg des zukünftig Publizierten, damit er auf die Jagd gehen konnte.

      Die Jungs hätten endlich Ruhe vor mir und bald ihre iPhones und sonstigen elektronischen Schrott.

      Die liebste Schwiegermutter würde aufhören, Kerzen zu kaufen und damit ganze Ordenshäuser zu finanzieren.

      Und Fiona kannte bereits die Schlagzeile der Presse bei Erscheinen meines Buches:

      »Drogensüchtige Mutter wird Bestsellerautorin!«

      Ich krempelte mir die Ärmel hoch und fing an, meine skandalösen Geschichten auf Papier zu bringen.

      Auf meinen sechzigsten Geburtstag freue ich mich aber jetzt schon.

      Jeder Tag ein Muttertag

      Gleich vorweg, ich hasse Muttertage!

      Morgendlich ist das mütterliche Nervengerüst noch im Gleichgewicht, den Verlust einer Kaffeemaschine oder den beißenden Geruch angebrannten Kakaos kann jede Mutter beim Rezitieren der Muttertagsgedichte verkraften. Spätestens dann, wenn die lieben Verwandten wie eine ägyptische Heuschreckenplage über das Haus hereinbrechen, endet der schönste Tag im Leben jeder Mutter.

      Ich lag im Bett. Mami sollte sich an diesem Tag endlich einmal ausschlafen können, wurde aber bereits um halb sechs Uhr morgens von heftigem Fluchen ihres geliebten Ehemannes geweckt. Bei näherem Hinhören musste ich mit Entsetzen feststellen, dass er über mich und meine Haushaltsführung fluchte, fand er doch zu wenige Eier und Schlagobers im Kühlschrank.

      Schade, dachte ich, dass wir nicht dem mosaischen Glaubensbekenntnis angehörten, da finge der Muttertag bereits am Vorabend bei Sonnenuntergang an, mein Ehemann hätte damit genug Zeit gehabt, die fehlenden Zutaten zu besorgen. Leider sind wir aber keine Juden und so kam mein Geliebter erst am Sonntag in der Früh zur bitteren Erkenntnis, dass er nun doch beim Nachbarn als Bittsteller für Eier und Schlagobers auftreten musste, um seine Torte – er konnte nur ein Rezept – backen zu können.

      Da Männer gerne delegieren, schickte er Ferdinand, unseren Ältesten, mit dieser Aufgabe aus. Das Kind war damals gerade in der Volksschule und konnte sich daher auch besser artikulieren, um die lebensnotwendigen Eier und das Obers bei den Nachbarn zu besorgen, was es auch lautstark murrend tat; spätestens da wäre ich sowieso erwacht.

      Als Schützenhilfe nahm sich Ferdinand seinen um zwei Jahre jüngeren Bruder Johannes mit, der ihm heulend folgte, wollte er doch sein halbfertiges Handytäschchen fertig stellen.

      Durch den Knall der Eingangstüre war nun auch Paulchen, der im Gitterbett neben mir lag, aufgewacht und raunzte, weil er Hunger verspürte.

      Ihn hatte ich als Gastbaby bei mir aufgenommen. Fiona, seine Mutter und gleichzeitig meine beste Freundin, hatte wieder einmal massive Eheprobleme, die genau an diesem Tag in Ruhe gelöst werden sollten. Paulchen war ein wirklich angenehmes, liebes Wesen, und da ich auch seine Taufpatin bin und ein Kind mehr oder weniger bei uns nicht ins Gewicht fiel, tat ich ihr diesen Gefallen und nahm ihn zu uns. Ich versuchte ihn zu trösten, jetzt konnte ich nun wirklich nicht in die Küche gehen, ich hätte den Vorbereitenden jede Überraschungsfreude genommen. Paulchen konnte sich nach einer halben Stunde beruhigen und schlief unglücklich, weil hungrig, wieder ein.

      Draußen schien ein Gewitter aufzuziehen, ich hörte einen Befehl nach dem anderen, wie beim Bundesheer.

      »Tassen, nein, zuerst die Teller, dann die Kerzen.«

      »Wo sind die Untersätze?«

      »Warte, bis Ferdinand heimkommt, er zeigt dir alles.«

      »Will aber nicht!«

      »Constantin, NICHT!«

      Rums, das mussten die Teller des Hochzeitsgeschirrs gewesen sein. Mindestens zweihundert Euro.

      Constantin, stur und wie immer der irrigen Meinung, er sei schon ein großer Junge, obwohl erst vier Jahre, hatte die Untersätze mit den Tassen und den Tellern aus dem Kasten gezogen. Was folgte, waren Gebrüll meines geliebten Ehemannes, Heulen des Kleinen und Staubsaugerlärm.

      Und ich