Jeder Tag ein Muttertag. Katharina Grabner-Hayden. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katharina Grabner-Hayden
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902862297
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Bauernsalat ans Bett. Ich sollte, trotz Bettlägrigkeit, meine Gewichtsreduktion beibehalten und nur Salat essen. Ich schloss die Augen, dachte ans Meer, den Strand, an Retsina und das herrliche Gefühl, – alleine – in Griechenland zu sein. Während ich so vor mich hinträumte, merkte ich nicht, dass ich auf einen Olivenkern gebissen und mir den rechten Schneidezahn ausgebrochen hatte.

      Alles durfte man, nur sich nicht über mein Äußeres lustig machen, doch als mein bester Ehemann mich so im Bett mit Gips und abgebrochenem Schneidezahn liegen sah, musste er herzhaft lachen, kannte er ja meine Eitelkeit. Meine Wut über diese Situation war grenzenlos. Sofort musste er einen Zahnarzt anrufen, der mir zumindest mein entstelltes Äußeres wieder in Ordnung bringen sollte, was dieser nach einigen Verzögerungen auch tat, nachdem ich ihm angedroht hatte, beim nächsten hämischen Grinsen sofort meine Krücken einsetzen zu wollen.

      So verlebte ich meine Rekonvaleszenz schwierig auf einem Bein hüpfend, aber mit schönen Zähnen.

      Ich konnte bereits nach einigen Wochen zwar mit Schienen, aber immerhin ohne Krücken gehen. Zum Leidwesen meiner Kinder, hatten sie doch bis dahin meine hilflose Bettlägerigkeit schamlos für jede Möglichkeit medialen Konsums genutzt. Hinterlistig hatten sie meine Krücken versteckt, so war ich für sie weder Bedrohung noch lästiger Störfaktor.

      Bald lief wieder alles in seinen geregelten Bahnen und ich nahm mir jeden Tag vor, mir Zeit für dieses Buch zu nehmen.

      Außerdem waren die Pension und das Ersparte meiner Schwiegermutter durch den Kerzenkauf auf das Drastischste reduziert.

      Das Frühjahr ging langsam zu Ende und der Sommer streute schon seine ersten schönen Schatten an unser Haus. Vieles war im Garten, in der Schule und im Haus zu erledigen. Die ständigen Aufforderungen von Fiona und der Schwiegermutter prallten an mir ab, es gab viel zu tun, zum Schreiben hatte ich nun wirklich keine Zeit.

      Ihre Vorahnungen, dass sich das Schicksal immer drei Mal zeigt, ließ ich kühl an mir abprallen und meldete mich zu einem Fußballmatch an, bei dem die Mütter gegen ihre Söhne spielen sollten.

      Ich sah in diesem etwas weiten Dress gar nicht einmal so schlecht aus. Geschminkt, gut frisiert – fürs spätere Foto in einer Regionalzeitung – und noch besser gelaunt, konnte ich mich endlich an meinen Jungs für ihre unterlassenen Hilfeleistungen während meiner Bettlägerigkeit rächen, so fand ich mich auf dem riesigen Grün wieder.

      Ich hatte einige Kilos abgespeckt und rannte im Sturm und in Begleitung zehn anderer hübscher Mütter gegen eine Meute Halbstarker, die mit allen Tricks und üblen, halsbrecherischen Attacken versuchten, uns ein Tor nach dem anderen abzujagen. Ich spielte wie rasend, gehörte ich doch nicht zu den Müttern, die ihre Kinder gewinnen ließen, damit sie später keine Selbstwertprobleme hatten.

      Zum allgemeinen Erstaunen stand es nach der Halbzeit immer noch 2:2. Wir sollten die Kinder doch gewinnen lassen, hörten wir noch unsere Ehemänner bittend flüstern, als wir siegessicher nach der Pause das Feld betraten.

      Einige Mütter nickten bejahend, trotzdem hatte ich das Gefühl, keine von uns würde sich daran halten. Wahrscheinlich hatten sie, so wie ich auch, noch einige Rechnungen mit ihren Kleinen zu begleichen.

      Allein, ich hatte unser Alter doch etwas unterschätzt, oder zumindest die Größe des Spielfeldes, mir kamen die Tore in der zweiten Spielhälfte nun doch vor, als hätte man sie zweihundert Meter weiter auseinandergestellt.

      Die Burschen wurden in den Attacken immer aggressiver. Sie drängelten, foulten und stellten uns ein Bein nach dem anderen, warfen sich zu Boden und schrien, obwohl wir sie nicht einmal angefasst hatten. Das Spiel schien fast zu kippen, von einem Spiel konnte keine Rede mehr sein, es war Krieg, wie zu Hause eben.

      In der letzten Minute Eckball für die Mannschaft der Mütter. An Melly hing nun alles, sie flankte etwas zu flach genau in den Strafraum zu Erika, die auf dem falschen Bein stand, das konnte sich nie und nimmer ausgehen, so ergriff ich die Gelegenheit und rannte wie von Sinnen von hinten stürmend in das Menschenknäuel.

      Leider hatte ich Anny übersehen, die ermattet bereits vor dem Tor lag und sich ihre Lockenpracht richtete. Hätte ich jetzt mein stolzes Bein für ein Tor gehoben, ich hätte ihr nicht nur ihre Locken, sondern auch ihr nettes Gesicht verstümmelt, so flog ich über die Erstaunte ohne Ball ins Tor. Den rechten Fuß hatte ich vor dem Tor zurückgelassen.

      Ein Aufschrei ging über den ganzen Platz, war der Ball wunderbarerweise doch ins Tor geflogen? Nein, man schrie über mein ausgerenktes Bein, vor allem über meinen Unterschenkel, der sich lustigerweise und anatomisch verfremdet in einem rechten Winkel zum restlichen Bein befand. Anfänglich spürte ich in meinem sportlichen Überschwang keinen Schmerz, erst als ich das Bein sah, verließ mich der Mut.

      Wir müssen aber siegen, schoss es mir durch den Kopf, ich versuchte mich hochzuziehen und schob mir das ausgerenkte Bein wieder in die richtige Richtung, was ungeheuren Schmerz verursachte.

      Was nachher folgte, war wie in einem Film. Ich fand mich halb bewusstlos in einem Notarztwagen wieder und auf die Frage, wer gewonnen hatte, antwortete man mir wie einem Sterbenden, dem man noch seinen allerletzten Wunsch erfüllte: Ihre Mannschaft natürlich.

      Ich ließ mich befriedigt in das Polsterbett fallen und ergab mich groben, aber notarztmedizinischen Notwendigkeiten.

      Als ich erwachte, sah ich neben mir einen Ständer mit Infusionen und einen wirklich netten und gut aussehenden Arzt, der mir erklärte, dass ich operiert worden war. Ich nickte verständnisvoll, benommen von der Anästhesie.

      Mir war alles egal, Hauptsache ich konnte mir dieses geile Medikament selbst in die Venen spritzen. Eine Infusionsflasche baumelte über meinem Kopf mit einem morphinhaltigen Medikament. Es war herrlich. Und legal.

      Gott hatte es gut mit mir gemeint. Ich tänzelte unter blauen Himmelsdächern auf grünen, mit Blumen übersäten Wiesen, leichtfüßig wie ein rosaroter Luftballon. Ich konnte mich mit den Schmetterlingen unterhalten und mit den Fischen um die Wette schwimmen.

      »Frau Grabner, sind Sie schon bei sich?«

      »Herr Doktor, ich kann fliegen.«

      »Wir haben Ihnen etwas gegen die Schmerzen gegeben, seien Sie aber etwas vorsichtiger, erst wenn es unerträglich wird, dann können Sie etwas nachspritzen!«

      »Welche Schmerzen? Ich bin ein Luftballon, lassen Sie mich jetzt endlich los!«

      »Sie dürfen nicht fliegen, Sie sind am Bein operiert worden. Bleiben Sie einfach ruhig liegen!«, herrschte mich der Krankenpfleger an, dem eine zugedröhnte Frau und Mutter sichtlich auf die Nerven ging.

      »Ich kann auch mit nur einem Bein fliegen!«

      Von weitem hörte ich Manschetten, die man mir um die Füße band, damit ich nicht aufstehen konnte, es war aber gar nicht notwendig, weil ich bereits weggeflogen war.

      Da verweigerte man zeitlebens äußerst kritisch und konsequent jeglichen Konsum von Drogen, soff nicht in der Schulzeit, naja, hie und da ein Bierchen, kiffte nicht während des Studiums, reichte in illustren Runden den freundschaftlich offerierten Joint weiter und ließ sich lieber als Spielverderber bezeichnen, wenn man Koks nur verwendete, um das Haus zu heizen. Einer musste ja munter bleiben, um Hilfe zu holen oder die Kotze wegzuwischen. Und dann lag man als fünfundvierzigjährige Mama in einem Spitalsbett und konnte nach Herzenslust Drogen konsumieren.

      Als junges Mädchen streng den katholischen Grundsätzen verpflichtet, später in der Studentenbewegung kritisch sozialisiert und eisern darauf bedacht, die Gesellschaft von innen heraus verändern zu können, schwor ich mir aber bei jeder möglichen Gelegenheit, mein Hirn erst mit sechzig Jahren, also wenn Beziehungen eher flau wären, Sex nur noch körperlich anstrengend, und die Kinder maulend das elterliche Haus verlassen hatten, irgendwelchen experimentellen Drogenexzessen preiszugeben.

      Ich hatte schon längst mit Fiona den Plan ausgeheckt, zu diesem Zweck in Amsterdam zu unserem sechzigsten Geburtstag unseren ersten Joint zu rauchen.

      Ich war nun doch um fünfzehn Jahre früher auf die Reise gegangen. Arme Fiona, aber egal, ich amüsierte mich auch ohne sie