Jeder Tag ein Muttertag. Katharina Grabner-Hayden. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katharina Grabner-Hayden
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902862297
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küsste beide aufs Innigste, nicht überlegend, dass ich eigentlich eine Alkoholfahne vor mir her trug. Den beiden war das etwas unangenehm, sie beutelten sich aus meiner Umklammerung, salutierten stramm, um mir ihren Respekt zu zollen, und machten sich auf, die Straßen sicherer zu machen, vor Individuen wie mir.

      Im Hausflur roch es schon nach der verbrannten Torte, machte nichts, ich hatte ja Semmeln und frische Milch in der Hand. Schon wurde ich ins festlich geschmückte Zimmer gerufen. Fein säuberlich nach Größe und Alter gereiht, hatten die Kinder ihre Muttertagsgedichte aufzusagen. Ferdinand strahlte übers ganze Gesicht, während er mir fehlerfrei seine Verse aufzählte, mit einer tiefen Verbeugung überreichte er mir, wie kann es anders sein, eine selbst bemalte Salzschüssel, die ein Fassungsvolumen von mindestens einem halben Kilo hatte. Nun war Johannes an der Reihe, er stotterte und stammelte etwas von wir essen Honigbrot und Fisch, ärgerte sich maßlos über seine Fehler und fing immer wieder von vorne an.

      Kein Problem, ich kannte das tiefsinnige Gedicht aus Vorjahren, hatte doch Ferdinand die gleiche Kindergartentante, die sich niemals etwas Neues überlegen wollte. Sie rechnete wahrscheinlich mit der österreichischen Geburtsstatistik, in der bekanntlich pro Familie 1,3 Kinder geboren werden.

      So konnte sie nach Herzenslust untätig sein, die Kinder lernten immer das gleiche Gedicht, weil es niemandem auffiel. Leider hatte sie unseren Kinderreichtum übersehen oder vielleicht hatte sie damit nicht gerechnet, auf alle Fälle konnte ich Johannes aus der Patsche helfen und hob ihn verbal immer wieder auf, wenn er über ein Wort gestolpert war.

      Einen dicken Kuss zum Schluss und ein kleines schwarzes Ding lag in meinen Händen, weich und angenehm.

      »Mama, für dich, eine selbstgehäkelte Handytasche!«

      »Mein Gott, ist das lieb von dir! Meine alte hat sich schon aufgelöst.«

      Jetzt war ich wieder froh über den nicht vorhandenen Einfallsreichtum unserer Kindergartentante.

      Nun war Constantin an der Reihe. Er hatte mir ein Bild gemalt mit Motiven, deren Inhalt er mir beim Kaffee langwierig erklärte, den ich aber trotzdem nicht verstand. Paulchen überreichte mir ein kleines, unscheinbares Kuvert. Kleine Kuverts sind mir prinzipiell am liebsten. Ich öffnete es sofort und war hingerissen. Ein Wochenende alleine in einem bekannten Wellnesshotel!

      Alle hatten ihr Taschengeld zusammengelegt und monatelang gespart, um mir diese Freude zu bereiten. Ja, gerne würde ich einmal alleine für mich sein, mit niemandem reden müssen, niemandem die Wäsche waschen, nicht einkaufen gehen müssen, nicht kochen, einfach nur faul auf einem Saunabett liegen und den Kellner um das nächste Glas Prosecco schicken.

      »Was ist das, Wellness?« fragte Constantin unwissend in die Runde, prompt kam auch schon die Antwort von Ferdinand: »Das ist etwas für dicke Frauen, die fühlen sich dort wohl.«

      »So wie die Mama«, kicherte Johannes.

      »So wie ich.«

      Den Kellner würde ich nicht um ein Glas, sondern um eine ganze Flasche Prosecco schicken.

      Die Zeit verrann wie im Fluge und mich quälten bereits die ersten Küchenvorbereitungen. Kartoffelsalat, Pommes Frites, Reis und Berge an Schnitzel, die ich noch zu panieren hatte.

      Es war ein herrlicher Frühsommertag und die Kinder spielten im Garten. Paulchen hatte es sich wieder in seinem Bett gemütlich gemacht und zog an seiner Spieluhr. Vielleicht verschluckte er sich an einem Faden oder hatte zu viel von dem Schlagobers genascht, die Spieluhr hörte jäh zu singen auf und ich vernahm in der Küche nach einem kurzen Aufschrei, den Schwall von Erbrochenem. Kinder sind ja bekanntlich Meister im Erbrechen. Sein Bettchen, mein Bett, die Mauer und der angrenzende Kasten waren mit den Überresten von Kakao und Obers überzogen. Da ich als versierte Mutter für alle Fälle gerüstet war, säuberte ich zuerst das Baby und suchte nach den Plastikhandschuhen, die Ferdinand von seinem letzten Spitalsaufenthalt mitbekommen hatte, denn die Katastrophe musste schnell gereinigt werden, der beißende Geruch strich bereits durchs ganze Haus. Ich suchte und suchte, konnte aber nur mehr deren Überreste in den Papierkörben der Kinder finden, sie hatten als Wasserbomben ausgedient.

      Der Reis war mittlerweile im Topf verbrannt.

      Mein geliebter Ehemann fing bereits an, die riesige Tafel im Garten zu decken.

      »Ein herrlicher Tag, Schatz, ein echter Muttertag, wie aus dem Bilderbuch«, bemerkte er und arrangierte den Tisch mit Kerzen und Blumenschmuck.

      Während ich mir die Hände desinfizierte, das Baby wieder glücklich war, bejahte ich schnell und widmete mich der Küche.

      Johannes fuhr mit seinem großen Plastiktraktor durch Küche und Wohnzimmer. Irgendwann war ihm die kreisförmige Raserei zu langweilig geworden, und weil Buben ständig Action brauchen, kam er auf die wunderbare Idee, den Weg aus dem Wohnzimmer über die Balkonstiegen direkt in den Garten zu wagen. Das Wagnis misslang. Blutend lag er in der Wiese und röchelte für einen Moment nach Luft. Die Nase musste genäht werden.

      Im nahe gelegenen Krankenhaus waren wir keine Unbekannten mehr, so hatte ich mit keinen längeren Wartezeiten zu rechnen. Die Nase war Gott sei Dank nicht gebrochen und umso schneller genäht. Bei der Verabschiedung wünschte mir die Unfallchirurgin noch einen schönen Muttertag. Meinem hilfesuchenden Gesichtsausdruck erwiderte sie lächelnd: »Alles eine Frage der Einteilung!«

      Reis, Schnitzel, Salate, nichts würde sich mehr ausgehen, die Gäste wurden in einer halben Stunde erwartet.

      Nur keinen Stress, schoss es mir durch den Kopf. Ich nahm mein kleines Kuvert, fuhr in die nächste Pizzeria und bestellte fünfundzwanzig Pizzas, ein Umsatzplus von hundertfünfzig Prozent für den staunenden türkischen Besitzer.

      Tatsächlich erwarteten uns alle schon zu Hause, weniger der Sorge um Johannes, als des Hungers wegen. Ich machte meinen Kofferraum auf, und heraus quollen stapelweise die heißen italienischen Köstlichkeiten.

      Ein freudiger Aufschrei der Kinder folgte, aßen sie ihrerseits tausend Mal lieber Pizza als irgendwelche gutbürgerlichen österreichischen Gerichte. Der gedeckte Tisch war dann eigentlich nur noch schmuckes Beiwerk des großen Festes, denn jeder nahm sich Decken, Kissen oder Pullover als Sitzunterlage für die Wiese.

      Das Muttertagessen wurde kurzerhand in ein feuriges, italienisches Picknick umfunktioniert.

      Jeder war entspannt, ich musste keine dreißig Schnitzel panieren, die trägen Tanten konnten sich ihre teuer gefärbten Fingernägel erhalten, weil sie zu keinem Abwasch eingeteilt waren, die Kinder durften mit Füßen und Händen essen, Odysseus konnte mit einer Zigarre im Mund den anderen Prinzen die neuesten Wirtschaftsentwicklungen erklären, und Peppi, unser Hund, schleckte ungeniert und glücklich die Reste aus den Kartonagen.

      Ein herrlicher Tag, ein Muttertag wie im Bilderbuch, weil das Verhältnis aus Erwartetem und tatsächlich Eingetretenem endlich ausgeglichen war.

      Mein kleines, unscheinbares Kuvert war abends natürlich leer, aber davon wusste niemand.

      Wellness ist sowieso nur etwas für dicke Frauen.

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