Jeder Tag ein Muttertag. Katharina Grabner-Hayden. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katharina Grabner-Hayden
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902862297
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kommenden zwei Tage.«

      Für eine Woche ergibt das eine Rechnung von vierzehn Litern Milch, vier Kilo Brot, fünfzig Dekagramm Schinken, einem halben Kilo Käse. Umgelegt auf ein Jahr, wenn wir nur bei Wurst, Käse und Milchprodukten bleiben, 728 Liter Milch, 208 Kilo Brot, 26 Kilogramm Schinken, 26 Kilo Käse und tausende Joghurts.

      Da soll mir nun ein Wirtschaftswissenschafter erzählen, Familien würden eine Volkswirtschaft belasten, ganz im Gegenteil! Je kinderreicher ein Haushalt, desto mehr wird das Bruttoinlandsprodukt angekurbelt.

      Kindergartenpädagogen, Lehrer, Ärzte, Bekleidungs- und Sportfachgeschäfte, Beamte der Sozialversicherung, Physiotherapeuten und – für Mütter im späteren Alter – Psychotherapeuten. Viele Wirtschaftszweige leben von solchen Großfamilien, wie wir eine sind.

      Sah man mich vor wenigen Jahren mit meinen Liebsten in Großmärkten und Billigstores einkaufen, so war ich die Mutter, die mit zwei Wägen bewaffnet durch die kilometerlangen Flure fuhr. In einem Einkaufswagen saß bequem mein Jüngster, wie ein König thronend, daneben Windeln, Öltücher, zwei Kisten Mineralwasser und Bier, Fleisch, Nudeln, Kartoffeln, Salat und kiloweise Karotten, Mehl im Zehnerpack und für die übermüdete Mutter sieben Dosen Energydrinks, für jeden Tag eine, gleich zum Frühstück.

      Irgendwann war Manuel unter den Bergen an Klopapier und Nudelsäcken verschwunden. Er liebte dieses Versteckspiel, konnte er doch unbemerkt die Reissäckchen öffnen und seinen Brüdern, die irgendwo im Geschäft zwischen beladenen Einkaufswägen anderer genervter Mütter ihre Späßchen trieben, mittels einer Reis- oder Semmelwürfelspur zeigen, wo wir uns gerade befanden. Hätte ich ihm doch nie die Geschichte von Hänsel und Gretel erzählt!

      Von einem Einkaufserlebnis konnte da keine Rede mehr sein.

      Wenn die Kassen klingelten, störte es auch niemanden, dass sich Ferdinand, Johannes und Constantin ständig an den Regalen vergriffen, da mussten noch Fruchtzwerge oder tonnenweise Chips in den Wagen.

      Mühselige Verhandlungen und Dispute folgten. Chips seien reine Chemie und machen nur dick, Mami würde so etwas nie essen, versuchte ich ihnen zu erklären.

      »Warum bist du dann so dick?«, konterte unschuldig Johannes. Das tat weh.

      »Weil Mamis starke Frauen sein müssen, damit sie das alles schleppen und heben können«, antwortete ich in sein unschuldiges Gesicht.

      »Dazu brauchst du nur Muskeln, aber keinen so großen Hintern«, grinste mich Ferdinand an, während er sieben Stangen Schokolade in den Einkaufswagen legte.

      Ferdinand ist der Älteste und zugleich der Wortgewandteste der Rasselbande.

      Was anfänglich entzückend auf die Erwachsenenwelt wirkte, stellte sich im späteren Alter immer mehr als verbaler Bumerang heraus, der uns Eltern traf und uns zur Weißglut trieb. Von klein auf haben wir uns intensiv um ihn gekümmert, er stellte tausend Fragen, die wir als junge, naive Eltern sehr gewissenhaft und ehrlich beantworteten.

      So war Ferdinand ein Kind, das man wahrscheinlich als frühreif bezeichnen konnte. Seine Rhetorik war beeindruckend. Nicht so sein Verhalten.

      Denn als er sauber werden sollte, der Kindergarten stand vor der Türe und man nahm nur Kinder, die keine Windeln mehr trugen, sahen wir uns veranlasst, den ganzen Sommer an seinem Zwang, eine »Windel haben« zu müssen, zu arbeiten. Der eigentliche Grund seiner Vorliebe für Windeln war die Eifersucht auf seinen jüngeren Bruder Johannes, aber das verstanden wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht, denn wir dachten, wir würden liebevolle Eltern für beide sein. Ferdinand strafte uns daher mit dem Tragen von Windeln. Oft erklärte ich ihm die Zusammenhänge, so viel Plastik sei schlecht für die Umwelt, er könnte in seinem Alter auch schon einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Er verstand, aber seine Geschäfte musste er trotzdem in das warme kleine Ding verrichten.

      Wie es in pädagogischen Lehrbüchern über Kindererziehung steht, belohnten wir ihn und versprachen ihm hunderte Dinge. Nichts half.

      Bis die beste Schwiegermutter eines Tages mit einer liebreizenden Plastikschildkröte auf Besuch kam. Man konnte ihren braunen Panzer heben und das kleine Ding als Klo benutzen. Stolz präsentierte sie mir ihre neue Idee, die ich zweifelnd Ferdinand vorstellte. Dieser war sichtlich entzückt und uns glänzten die Augen vor Freude, jetzt hatten wir ihn überlistet. Plötzlich stand er auf, holte sich eine Windel, zog sie sich fachmännisch selbst an, wie er es gewohnt war, und versteckte sich wie üblich hinter dem Vorhang.

      Auf meine Aufforderung, er bräuchte keine Windel mehr, weil er nun einen kleinen Plastikfreund hätte, der mit ihm seine Intimitäten teilen könnte, meinte er lapidar: »Mama, das ist ja reizend von Omi, mir dieses Geschenk zu machen, aber ich kann doch nicht in so eine liebe Schildkröte scheißen, da ist mir die Windel lieber und auch hygienischer!«

      Ich hatte verloren. Irgendwann löst sich aber bekanntlich jedes Problem, wenn man nur nicht so verbissen daran arbeitet.

      Nun wieder zurück in den ganz normalen Einkaufswahnsinn.

      »Ferdinand, du bist aber heute wieder rasend charmant, gewöhn dir das bitte ab, das kommt nicht gut bei Frauen an!«

      Er hatte ja Recht, so wie Kinder in ihrer unbekümmerten Art meist die Wahrheit herausplappern. Meine Kleidergrößen wuchsen überproportional zu den Jahren. Mayer-, Müller- und Montagsdiäten hielten nicht lange. Abends, wenn ich erschöpft am Sofa saß und angenehme Ruhe im Haus herrschte, konnte ich kulinarischen Versuchungen aus dem Kühlschrank oder irgendwelchen halb geöffneten Chipspackungen aus dem Kinderzimmer nicht widerstehen.

      Ich war schwach und leicht verführbar. Wie wäre ich sonst zu so vielen Kindern gekommen?

      Jetzt musste ich nur mehr die Hürde mit den Süßigkeiten an der Kasse nervlich überstehen. Klein Manuel war nun der Kopf der Bande, während ich zentnerschwer die Großpackungen auf das Laufband legte, versorgte er stillschweigend seine Brüder mit Schleckereien, die auch sofort geöffnet wurden.

      Wenn ich nervlich stark war und ausgiebig geschlafen hatte, war ich Meisterin im dualen Arbeiten.

      Eine Hand legte die Waren auf das Laufband, die andere nahm Manuel die Dinge wieder weg und steckte sie in die höheren Regale, währenddessen erklärte ich den Kindern den Zusammenhang von Diabetes, Leberfunktionsstörungen und Gallenproblemen im Alter.

      War ich unausgeschlafen, also nervlich am Ende, besorgte der Kleine den süßen Einkauf. Und schwach war ich oft, weil leider immer unausgeschlafen.

      Liegt es an Hormonumstellungen nach den Schwangerschaften, meinem Beruf, den ich nur mehr marginal ausüben kann oder wirklich nur am Schlafmangel? Ich bin immer müde.

      Im Laufe der Zeit aber habe ich nach unzähligen durchwachten Nächten bei verschnupften Kleinkindern oder pubertätsgeschwängerten Gesprächen mit meinem ältesten Sohn den Sekundenschlaf als Notlösung gelernt.

      Ich stehe in der Küche beim Herd – wo sonst – und schließe für ein paar Minuten die Augen. Tief falle ich in einen todesähnlichen Schlaf, aus dem ich nach ein paar Sekunden unsanft durch die aufsteigenden Gerüche verbrannter Zwiebel oder lautes Geschrei aus dem Kinderzimmer erwache. Schlafen ist eine äußerst wichtige Tätigkeit für Mütter. Es dient nicht nur der Entspannung und Erholung, sondern ist Hingabe an einen Zustand unbeschwerten Träumens. Ein kurzes Abtauchen in eine andere Wirklichkeit.

      Johannes zwickte mich spürbar in meinen Oberschenkel. Weg waren sie, die Träume.

      Er war hochrot im Gesicht und schrie mich vorwurfsvoll an, er fühle sich von seinen Brüdern bedroht, er gäbe seine Ordnung für solche Armleuchter nicht auf. Er verborge keine Radiergummis, keine Bleistifte und keine Lineale mehr.

      Ich versuchte ihn zu trösten, schob die Zwiebel von der Herdplatte und folgte ihm ins Kinderzimmer, das einem Schlachtfeld glich.

      Je müder, umso tiefer der Kurzschlaf und das intensive Träumen, desto heftiger aber Streit und Desaster im Kinderzimmer.

      Ich musste kurz Luft holen. »Was habt ihr euch dabei gedacht? Ihr seid ja von Sinnen!«, schrie ich geschockt in die aggressive Runde. Sie hörten meine Kritik