»Lösungsorientiert handeln!«, schoss es mir durch den Kopf, ein Relikt aus vergangenen beruflichen Tagen.
Ich rannte in den Keller, dort hatte ich mir bereits zu Schulbeginn ein geheimes Versteck an Schulutensilien angelegt. Stolz präsentierte ich meinen Schatz in der Hoffnung, dass nun endlich Ruhe für ein angeregtes Studium von Kreissegmenten und den dazugehörigen Radien eintrat.
Meine Verwunderung war groß, Lineale und Bleistifte waren vergessen, es ging nun im Kampf, der mit Kissen, Decken und Büchern ausgetragen wurde, um die Ehre und ums Prinzip, eine schrecklich genetische Ausrichtung, die nur Männer haben. Wie konnte ich das nur vergessen haben!
Nun wurde geschlichtet und der gordische Knoten entwickelt. Jeder sollte sagen dürfen, wie es dazu gekommen war und die anderen sollten zuhören.
Diese Strategie funktioniert aber nur in pädagogischen Büchern, nach dem ersten Satz brüllte Ferdinand bereits ein feindseliges Statement in die Runde und der Kampf ging weiter.
In solchen Momenten denke ich mir oft, dass Therapeuten oder Pädagogen, die über Kindererziehung schreiben, keine Kinder haben können, oder zumindest nicht solche wie meine.
Ich hielt das nicht mehr aus, Pädagogik hin, Pädagogik her, und brüllte in die Runde: »SCHLUUUUSS!«
Plötzlich war es still. Natürlich war dieser Urschrei kein probates erzieherisches Mittel, aber immerhin effektiv, denn es herrschte endlich Ruhe.
Meine Methoden, Kinder zu erziehen, sind simpel: Ablenkung und Erpressung. Eiskalt!
Ich habe schon lange aufgehört, pädagogische Schriften zu lesen, sie frustrieren zu sehr. Weil einfach nicht klappen will, was statistisch, analytisch und psychologisch hinlänglich bewiesen ist, aber immer nur in anderen Familien.
Bei jüngeren Raufbolden kann man durch Sport oder das Versprechen, in den nächst gelegenen Eissalon zu fahren, ausweglose Situationen retten. Pubertierende Kinder erpresst man am besten mit den Worten: »Beim nächsten Nicht genügend zahlst du dir deinen Nachhilfelehrer von deinem Taschengeld!« Das funktioniert immer.
Manches Mal aber kann man einen gordischen Knoten nur noch durchschneiden!
Während ich die Unterhosen und Leibchen vom Boden wieder zusammengelegt in die Kastenfächer schlichtete, trafen die Befehle meine Liebsten wie Pfeile.
So saßen wir teilweise am Boden, sortierten die Fußballerkarten vom Rest der ausgeschütteten Memory-Karten, wuschen vorsichtig das Coca Cola von der Wand – Johannes hatte in dieser Weise versucht, seine Wut zur Geltung zu bringen – und besprachen das Vorgefallene.
Die Wogen glätteten sich langsam und Johannes zeigte sich sogar bereit, seinem Bruder aus freiem Willen Radiergummi und Lineal zu überlassen.
Kann es etwas Schöneres geben als den Zustand intensiver Versöhnung?
Oh ja! Schlaf.
Es war kurz nach Mittag und Manuel brauchte seine Nachmittagsbanane. Ich schleppte mich in die Küche und bereitete sein Mahl, nachdem ich ihn schon sehnsuchtsvoll vor Hunger jammernd in seinem Zimmer hörte.
Sechs Stunden noch und dann konnte ich endlich ins Bett. Das würde ich schaffen!
Johannes kam unbemerkt und sichtlich erleichtert zu mir in die Küche, drückte mich, er merkte meine Erschöpfung und meinte: »Schau Mama, was würdest du ohne uns Kinder machen?«
Ich umarmte ihn zärtlich. Mein Gott, was ich ohne euch machen würde?
Ich wäre um zwanzig Kilo leichter, müsste mich nicht bei den XXL-Kleiderständern in diversen Billigkaufhäusern herumtreiben und wäre nicht gezwungen, etwas vom Ständer für Umstandsmode zu nehmen.
Ich käme zum Lesen! Bücher, die sich meterhoch neben meinem Bett stapelten, und deren Gedanken ich einsaugen würde wie ein hungriger Wolf.
Ich würde in der Früh aufstehen und duschen, mich in Ruhe schminken können, ohne dass mir ständig Cremes oder Accessoires fehlten, und ich müsste nicht stundenlang nach Nagelfeile und Schere suchen.
Ich könnte ruhig meine Arbeit im Büro erledigen, meine Projekte entwickeln und erhobenen Hauptes als Chefin meinen Verhandlungspartnern sagen: »Den Rest erledigen meine Anwälte.«
Ohne lästige Anrufe eines aufgewühlten Babysitters könnte ich meinen Nachmittagskaffee trinken und vorzeitig meine Arbeitsstätte verlassen. Ich würde shoppen gehen, ohne an sieben Liter Milch, zehn Semmeln und Toastschinken denken zu müssen.
Mir bliebe Zeit, interessante Seminare zu besuchen, die meine Persönlichkeit entwickeln und meine Phantasie anregen, und ich müsste nicht mit meinen lieben Kleinen Mathematik üben oder Lateinvokabeln lernen. Ich könnte endlich ganze deutsche Sätze formulieren, ohne ständig durch ein Zwicken oder Maulen darauf aufmerksam gemacht zu werden, dass eine Windel notwendig wäre oder wieder Hunger die kleinen Mägen plagte.
Mit Freundinnen ein Gläschen Sekt trinken und danach schlafen. Schlafen, wann immer ich Lust dazu hätte. Das wäre herrlich!
»Mama, hast du gehört, was ich gerade zu dir gesagt habe?«
»Natürlich, mein kleiner Liebling. Es wäre nicht auszuhalten ohne euch, schrecklich langweilig! Ich liebe dich.«
Johannes konnte es so gut. Umarmen.
Verflogen waren Schlaf und Müdigkeit, ich brauchte kein Red Bull und keinen Kaffee mehr, küsste ihn, roch an seinen struppigen Haaren und widmete mich wieder Klein Manuel und seiner Banane.
Man wächst nicht nur in Körpermaßen, man wächst auch mit den Herausforderungen, die die kleinen Bälger jeden Tag von Kindergarten, Schule oder Freunden mitbringen. Die Art, wie ich sie begeistern, wie ich ihre Aufmerksamkeit lenken, wie ich täglich Geduld und Ausdauer an ihnen erproben kann, hilft mir oft in schwierigen beruflichen und privaten Situationen.
Es ist ein ständiges Wachsen und Lernen.
Constantin, unser Dritter, hat eine ausgeprägte Liebe zur Natur. Wir hatten, nachdem wir aus der Großstadt aufs Land gezogen waren, die Möglichkeit, nicht nur Tiere im, sondern auch außerhalb unseres Hauses großzuziehen. Er hatte sich schon in jungen Jahren für das liebe Federvieh interessiert und so war es nur noch eine Frage der Zeit, dass wir die ersten Hühner in einem kleinen Stall hatten. Zum Leidwesen unserer Nachbarn, denn zu einer Schar von Hühnern gab es natürlich auch einen Hahn, der ab fünf Uhr in der Früh lautstark seine Existenz bekundete.
Niemand konnte Constantin böse sein, denn samstags ging er von Haus zu Haus und verschenkte seine Bioeier. Gegen freiwillige Spenden, die man ihm auch großzügig gab.
Nach einiger Zeit hatten wir nicht nur Hühner, sondern auch Laufenten, französische Barbarieenten und Gänse. Irgendwann waren die vielen Zweibeiner nicht mehr in ihrem Stall unterzubringen, so musste ein neues Grundstück für Constantins Hobby angekauft werden. Langsam, fast unmerklich, entwickelte sich der kleine, niedliche Hühnerstall zu einem Großgrundbesitz.
Lange hatte ich mich dagegen gewehrt, doch mit der Zeit liebte ich diese kleine Kolchose, die mir in gestressten Zeiten idyllische Ruhe und Harmonie gewährte.
So wurde ich – ob ich wollte oder nicht – zu einer Hühnerbäuerin, die intensiven Kontakt zu anderen Bauern und Züchtern pflegte.
Und weil es egal war, ob sich ein oder mehrere Wollschweine auf dem Grund tummelten, Kühe auf der Weide grasten und Ziegen frohlockend die Zweige der Obstbäume fraßen, entstand ein mittelgroßer landwirtschaftlicher Betrieb, der bald als Schaubauernhof in jedem Tourismusführer als besondere Attraktion unserer Gegend angepriesen war. Vielleicht wollte man auch nur eine schwitzende Biobäuerin bei der Arbeit beobachten.
Schulklassen konnten mich und meinen Mann – wir hatten uns für dieses Lebensexperiment extra ein Jahr Auszeit von jeglicher beruflicher Verpflichtung genommen – beim Schafe Scheren und Wolle Spinnen beobachten. Milch konnte frisch getrunken werden, und die Kinder aus der Stadt durften endlich eine echte Kuh sehen, die zu ihrem Erstaunen nicht violett war.