Stefan runzelte die Stirn. »Sie trug eine Spirale? Wie konnte sie dann überhaupt schwanger werden?«
»So etwas kommt vor«, entgegnete Dr. Daniel. »Sehr selten, aber es kann doch passieren. Jede Verhütungsmethode hat eine gewisse Fehlerquote.« Er seufzte. »Wenn sie sich wieder erholt hat, werde ich noch eingehend mit ihr über all das sprechen müssen.« Er wandte sich seinem Sohn zu. »Stefan, bring’ sie vorerst mal auf Intensiv. Ich will kein Risiko eingehen.« Dann sah er auf die Uhr. »Ich werde noch hierbleiben, bis sie das erste Mal zu sich kommt.«
*
Es war schon beinahe Mitternacht, als Eva-Maria die Augen öffnete. Dr. Daniel beugte sich über sie.
»Hast du Schmerzen, Eva-Maria?« fragte er.
Das junge Mädchen öffnete den Mund, doch nur ein heiseres Krächzen kam hervor.
»Du mußt nicht sprechen«, erklärte Dr. Daniel. »Nicken oder Kopfschütteln genügt.«
Eva-Maria brachte ein schwaches Nicken zustande, dann versuchte sie, eine Hand zu heben, um Dr. Daniel zu zeigen, wo sie Schmerzen hatte, doch die Nachwirkungen der Narkose ließen noch keine koordinierten Bewegungen zu.
»Nur nicht anstrengen, Eva-Maria«, meinte Dr. Daniel. »Ich kann mir schon vorstellen, wo du Schmerzen hast.« Er zog eine Spritze auf und injizierte das Medikament direkt in die Infusionskanüle. »Es wird gleich besser werden, mein Kind.«
Tränen rollten über Eva-Marias blasse Wangen. Dr. Daniel griff nach einem Papiertaschentuch und wischte sie vorsichtig weg.
»Nicht weinen, Mädchen, es kommt alles wieder in Ordnung.« Er zögerte einen Moment, dann fügte er hinzu: »Deine Eltern lassen dich ganz lieb grüßen. Sie kommen dich morgen besuchen.« Er streichelte sanft über ihr langes blondes Haar, dann kontrollierte er an dem speziellen Thermometer noch die Temperatur der Patientin. Sie war leicht erhöht, doch das besagte nach dem schweren Eingriff, den Eva-Maria hinter sich hatte, nicht viel.
Dr. Daniel wartete noch, bis sie wieder eingeschlafen war, dann verließ er die Intensivstation.
»Sie scheinen das Mädchen sehr gut zu kennen«, stellte Dr. Parker fest, der heute die Nachtschicht hatte und auf seinem Rundgang auch zur Intensivstation gekommen war, obwohl er gewußt hatte, daß Dr. Daniel noch hier war. Aber auch dem jungen Anästhesisten hatte die Sorge um die Achtzehnjährige keine Ruhe gelassen.
Jetzt nickte Dr. Daniel. »Eva-Maria war eines der ersten Babys, die ich in meiner Eigenschaft als Gynäkologe hier in Steinhausen auf die Welt geholt habe.« Er warf einen Blick durch die Glasscheiben der Intensivstation. »Jetzt wäre sie an ihrer ersten Schwangerschaft beinahe gestorben.«
»Sie wußten weder etwas von dieser Schwangerschaft noch von der Spirale, die sie immer noch trug«, stellte Dr. Parker fest. »Gehört Fräulein Neubert denn nicht zu Ihrem Patientenkreis?«
Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Nein. Sie ist vor knapp einem Jahr zu meiner Kollegin in die Kreisstadt gewechselt. Wahrscheinlich hatte sie auf einmal Bedenken, sich von einem Mann an ihren intimsten Stellen untersuchen zu lassen. Viele Mädchen entwickeln in dieser Richtung plötzlich starke Schamgefüh-
le.«
Dr. Parker dachte eine Weile nach, dann lächelte er. »Irgendwie kann ich das verstehen. Wenn ich mir vorstelle, ich müßte mich von einer Urologin untersuchen lassen…, ich glaube, da hätte ich auch Hemmungen, mich vor ihr auszuziehen.«
Dr. Daniel nickte. »So gesehen haben Sie recht. Andererseits wissen Sie selbst ja auch, daß man als Arzt immer nur den Patienten sieht – gleichgültig, welchen Geschlechts er ist. Und ich denke, einer Ärztin geht es da nicht anders.«
Jetzt lächelte Dr. Parker. »Sie müßten das eigentlich am allerbesten wissen, Robert. Immerhin sind Sie seit kurzem mit einer Ärztin verheiratet.«
»Ich werde Manon bei Gelegenheit fragen, was sie empfindet, wenn ein gutaussehender Patient bei ihr im Sprechzimmer erscheint«, entgegnete Dr. Daniel schmunzelnd. »Schließlich ist das für mich in vielerlei Hinsicht interessant zu wissen.«
Dr. Parkers Züge wurden fast spitzbübisch. »Fragt sich nur, ob sie Ihnen die Wahrheit sagen wird.«
Dr. Daniel drohte ihm scherzhaft mit dem Finger. »Mein lieber Jeff, Sie sind wohl früher ein rechter Lausbub gewesen.«
Der junge Anästhesist nickte ohne zu zögern. »Der schlimmste von ganz Kalifornien. Und einen großen Teil davon habe ich mir bewahrt.« Er wurde plötzlich ernst. »Ich finde es traurig, wenn man als Erwachsener jeglichen Humor verliert – abgesehen davon, daß ich eigentlich nie ganz erwachsen werden möchte.« Er senkte den Kopf. »Vor ein paar Jahren, als Doreen… meine Verlobte starb, habe ich die Hölle durchlebt, und manchmal habe ich das Gefühl, als würde mich das ganze Elend von damals wieder einholen. Viele meiner Freunde haben nach diesem schrecklichen Unglück gesagt, ich würde dadurch wohl endlich erwachsen werden.« Er brachte ein schiefes Lächeln zustande. »Ich bin es nicht geworden, und ich will es auch nicht werden. Ich will noch nicht fertig sein…, ich möchte etwas lernen…, etwas entdecken können…, irgendwann vielleicht sogar eine neue Liebe, obwohl das jetzt noch in weiter Ferne liegt.«
Dr. Daniel war erstaunt über diese Offenheit. Noch nie hatte Jeff so viel über sich erzählt, und Dr. Daniel freute sich über das Vertrauen, das der junge Mann ihm offenbar entgegenbrachte. Impulsiv legte er einen Arm um Dr. Parkers Schultern.
»Ich bin froh, daß Sie so sind, Jeff«, meinte er, dann warf er einen Blick auf die Uhr. »Allmählich wird es Zeit für mich, nach Hause zu gehen.«
Doch Dr. Parker spürte, wie er zögerte.
»Gehen Sie nur, Robert«, erklärte er. »Ich kümmere mich schon um Ihre Patientin – abgesehen davon, daß sie sowieso die meiste Zeit schlafen wird. Immerhin hat sie eine ziemlich starke Narkose bekommen.«
Das wußte natürlich auch Dr. Daniel, trotzdem drängte es ihn, noch eine Weile bei Eva-Maria zu bleiben.
»Es ist wirklich nicht nötig, daß Sie auch noch Ihren Nachtschlaf opfern«, betonte Dr. Parker. »Ich habe sowieso Dienst, und Sie können sich darauf verlassen, daß ich…«
»Ich weiß, Jeff«, fiel Dr. Daniel ihm ins Wort. »Es ist auch wirklich kein Mißtrauen gegen Sie, aber gerade nach so schwierigen Operationen ist es nicht ganz einfach für mich, mich von dem Fall zu lösen – und zudem kenne ich diese Patientin nun schon eine so lange Zeit.«
»Wenn es Sie beruhigt, rufe ich Sie an, falls sich an dem Zustand der Patientin etwas ändern sollte«, bot Dr. Parker an.
Dr. Daniel nickte. »Das würde mich tatsächlich beruhigen.« Er sah den Anästhesisten an. »Rufen Sie aber wirklich an, Jeff. Gleichgültig, um welche Uhrzeit es sein sollte.«
Dr. Parker legte die rechte Hand auf sein Herz und lächelte. »Großes Indianerehrenwort.«
Dr. Daniel mußte lachen. »Sie sind wirklich unverbesserlich.« Und dabei dachte er, daß es wohl gerade das war, was einen großen Teil von Jeffs Beliebtheit bei den Kollegen, Schwestern und Patienten ausmachte. Daneben war er natürlich auch ein herausragender Anästhesist.
*
Noch vor Beginn seiner Sprechstunde fuhr Dr. Daniel zur Waldsee-Klinik, um nach Eva-Maria zu sehen, und ihr Zustand hatte sich tatsächlich ein wenig gebessert, wenn sie im Moment auch noch schlief. Die Temperatur war ebenfalls gesunken und damit schon fast normal, was den Arzt unter den gegebenen Umständen beruhigte. Trotzdem ließ er die Patientin noch auf der Intensivstation, um kein unnötiges Risiko einzugehen.
»Der Chefarzt möchte Sie sprechen«, erklärte Schwester Bianca, als Dr. Daniel die Intensivstation verließ.
Mit einem tiefen Seufzer sah der Arzt auf die