Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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      »Sein Aussehen?«

      »Ein alter Herr. Ein Fremder, wie es schien.«

      Der Student wollte wohl sagen, dass er nicht zu Hause sei.

      Die Tür wurde geöffnet. Der alte Herr, der sich hatte anmelden lassen, trat ein. Er war wohl weniger phlegmatisch als der junge Student.

      »Guten Morgen, Gisbert.«

      »Guten Morgen, Onkel Florens!«

      Die Aufwärterin verließ das Zimmer.

      Onkel und Neffe reichten sich die Hand.

      »Woher kommst Du, Onkel?« fragte der Neffe.

      »Von dahinten, aus den Sandwüsten unseres neuen Vaterlandes.«

      »Aus Berlin?«

      Der Domherr antwortete nicht. Er hatte sich in dem Zimmer umgesehen, als wenn er etwas suche.

      »Ist Gisbertine hier?« fragte er auf einmal.

      »Gisbertine?« rief der junge Freiherr.

      Die plötzliche Frage schien doch seinem Phlegma oder seiner Ruhe einen kleinen Stoß versetzt zu haben.

      »Sie ist fort«, sagte der Domherr.

      »Das heißt, Onkel?«

      »Das heißt, sie hat vor vierzehn Tagen plötzlich ihren Onkel Steinau verlassen, nachdem sie ihm ein Zettelchen geschrieben, worin sie ihm mitteilt, es gefalle ihr, eine Reise zu machen; er werde bald weitere Nachricht von ihr erhalten; woher, könne sie noch nicht sagen. Den Zettel bekam der General natürlich erst, als sie fort war.

      Und als sie fort war, war sie spurlos verschwunden. Dame Gisbertine war wieder einmal recht in ihrem Genre. Der General schrieb mir sofort, ob ich nichts von ihr wisse. Ich reiste zuerst zu ihm, um mich näher zu erkundigen; vielleicht war sie auch schon wieder da.

      Aber sie war und blieb fort, und ich dachte an Dich und hier bin ich. Aber warum hörst Du mich nicht an? Was starrst Du nach dem Fenster drüben?«

      Der junge Freiherr Gisbert von Aschen war schon seit einer Weile an das Fenster getreten und blickte unverwandt nach dem Fenster der schwarzen Maske; von den Worten des Onkels mochte er dabei allerdings keins verloren haben. Aus die Frage des Domherrn antwortete er:

      »Drüben ist eine schwarze Maske, Onkel.«

      »Was geht sie mich an?«

      »Seit vier oder fünf Tagen.«

      Der Domherr war aufmerksam geworden.

      »Eine Dame?«

      »Ja.«

      »Alle Wetter und Hagel!«

      Er sprang an das Fenster.

      »Man sieht ja nichts.«

      »Ja, weil Du da bist, Onkel!«

      Der Domherr wurde ärgerlich.

      »Zum Teufel, träger Bursche, erzähle. Tu Deinen Mund auf. Wie kann man mit Deiner Natur der Mann Gisbertinens sein?«

      Der junge Mann musste sich doch bequemen, ausführlicher zu sprechen. Er tat es freilich nur in seiner Weise und nachdem er vorher tief aufgeseufzt hatte. Der Seufzer konnte auch seiner Frau und seiner Ehe gelten.

      »Nun«, sagte er, »seit vier Tagen wohnt drüben allein mit einer Kammerjungfer eine fremde Dame, die sich nur mit einer schwarzen Maske vor dem Gesicht sehen lässt. So sieht man sie freilich häufig genug am Fenster; auch vorhin noch, ehe Du da warst. Seit Deinem Hiersein aber zieht sie sich hinter die Fenstervorhänge zurück, und jetzt ist sie ganz verschwunden.«

      »Und Du meinst, Bursche«, fragte der Domherr, »es sei Gisbertine?«

      »Deine Worte brachten mich darauf.«

      »Wahrhaftig es sähe ihr ähnlich. Ist sie hübsch? Ich meine das andere, außer dem Gesicht.«

      »Ich habe so recht nicht danach gesehen.«

      »Das sieht wieder Dir ähnlich.«

      Auf weitere Erörterungen ließ der Domherr, der Mann der raschen Entschlüsse, sich nicht ein.

      »Ich muss mich überzeugen«, sagte er. »In zehn Minuten bin ich wieder hier. Oder willst Du mich begleiten?«

      Der Antrag kam dem jungen Freiherrn unerwartet.

      Er musste sich besinnen.

      »Nein«, sagte er dann doch.

      »Du vergibst Dir nichts dadurch, Gisbert.«

      »Ich weiß es, aber —«

      »Aber?«

      »Ich habe keine Zeit.«

      »Du bist ein Narr!«

      Damit ging der Domherr.

      Gisbert blieb am Fenster stehen und sah auf die Straße hinunter. Der Domherr ging quer über die Straße in das gegenüberliegende Haus. An den Fenstern, der schwarzen Maske war nichts zu sehen. Der junge Freiherr stand in tiefen Gedanken. Er wurde gestört.

      Die Tür seines Zimmers hatte sich leise geöffnet; ein leiser, langsamer, zögernder Schritt näherte sich ihm.

      Er sah sich um.

      Seine Aufwärterin, Mamsell Gretchen, stand neben ihm. Sie sah sehr bleich, ängstlich, fast verstört aus.

      »Was haben Sie, Gretchen?« musste er sie fragen.

      »Herr Baron, ist es wahr?« sagte sie stockend.

      »Was soll wahr sein?«

      »Dass Sie sich schlagen wollen? Der Stiefelwichser sagte es mir soeben.«

      Der junge Freiherr schien auf einmal tiefer als wohl sonst in das hübsche und so bleiche und ängstliche Gesicht des sechzehnjährigen Mädchens zu blicken.

      »Und er sagte mir auch«, fuhr das Mädchen fort, »dass Ihr Gegner der beste Schläger in ganz Göttingen sei, und dass Sie etwas Tüchtiges abbekommen würden, und ich —«

      »Und Sie, Gretchen?«

      »Ich habe solche Angst für Sie, Herr Baron.«

      »Gutes Gretchens«, sagte der Freiherr, und er nahm ihre Hand, sah ihr liebevoll in das blasse Gesicht und fuhr fort:

      »Sieh mich an, liebes Gretchen. Habe ich Angst?«

      Sie sah ihm voll in das Gesicht und ihre Augen wurden ihr feucht und sie sagte:

      »Ja, Sie auch! Die Herren Studenten haben niemals Furcht, und da geht es denn auch, wie es geht —«

      Drüben wurde heftig das Fenster der schwarzen Maske zugeschlagen.

      Der Freiherr und seine Aufwärterin fuhren erschrocken auseinander wie zwei böse Gewissen.

      Dann mussten beide unwillkürlich nach dem klirrenden Fenster schauen.

      Die schwarze Maske flog gerade von dem Fenster zurück.

      Durch Gretchens hübsches Gesicht zog etwas wie ein Triumph.

      »Die hässliche Person ist eifersüchtig auf mich!«

      Der junge Freiherr stand in einer gewissen zweifelhaften Verlegenheit.

      Unten aus der Straße fuhr ein Wagen an dem Hause vor.

      Rasche Schritte kamen die Treppe herauf.

      Zwei Studenten traten eilig in das Zimmer.

      »Bist Du fertig, Aschen?«

      »Auf der Stelle!«

      Gretchen war wieder bleich geworden.

      »Er muss sich doch schlagen!«

      Mit dem Seufzer verließ sie das Zimmer.

      Der junge Freiherr war