Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
Скачать книгу

      In der Tür begegnete ihnen der Domherr.

      Er sah die drei eiligen jungen Männer. Sie sahen erregt aus. Unten war er auf den Wagen gestoßen.

      Der geistliche Herr war in seinen jungen Jahren selbst Student gewesen. Eine Ahnung stieg in ihm auf.

      »Hm, Gisbert«, sagte er, »ich sehe, Du hattest wirklich keine Zeit.«

      »Und drüben?« fragte der Freiherr.

      »Man nehme keine Besuche an. Ich ließ meinen Namen hineinsagen. Man kenne mich nicht.«

      »So war es auch wohl, Onkel Florens. Bleibst Du lange hier, Onkel?«

      »Bis morgen.«

      »So sehen wir uns noch.«

      »Ich hoffe, trotz Deiner Narrheit.«

      »Es ist keine Narrheit, Onkel.«

      »Meinetwegen.«

      »Adieu, Onkel.«

      »Adieu!«

      Sie hatten miteinander gesprochen, während sie die Treppe hinuntergingen.

      Draußen stiegen die drei Studenten in den Wagen, der rasch mit ihnen fortfuhr, nach dem Weender Tore hin.

      Der Domherr schaute dem Neffen noch eine Weile nach, warf dann den Blick zu dem Fenster der schwarzen Maske hinauf, sah dort nichts und ging rechts die Straße entlang in die Stadt hinein, indem er für sich sprach:

      »Viel Narrheit in der Welt!«

      Nachdem der Student Freiherr Gisbert von Aschen mit den andern Studenten und seinem Onkel sich entfernt hatte, kehrte Gretchen, die hübsche Aufwärterin, in das Zimmer zurück, um darin aufzuräumen und zu säubern. Viel Arbeit fand sie nicht. Schien auch der junge westfälische Freiherr zu den bequemen Menschen zu gehören, ein unordentlicher schien er nicht zu sein, nicht einmal ein unordentlicher Student. Das Mädchen war bald fertig, sie war freilich auch flink und lag ohne Unterbrechung der Arbeit ob, wenngleich es ihr nicht leicht werden mochte. Ihr bekümmertes Gesichtchen zeigte, wie schwer ihr das Herz war, und wenn sie den geblümten Schlafrock des Studenten an die Wand hing und die Kissen des Sofas, auf dem er gesessen, wieder zurecht legte, oder die Zeitung, in der er gelesen, zusammenfaltete, man hörte es dem Seufzer ihrer Brust, man sah es ihrem träumerischen Auge an, wie gern sie nur den Träumen ihres Herzens hätte Gehör geben mögen. Aber sie durfte es nicht; sie hatte noch in an dem Studentenzimmern aufzuräumen und ihre Mutter mochte wohl nicht zu den geduldigen Müttern gehören.

      An dem Fenster musste sie doch ein paar Augenblicke stehen bleiben. Der junge Baron hatte sie dort »liebes Gretchen« und Du genannt, und sie hatte ihm in das Gesicht sehen müssen, und er hatte sie so innig wieder angeblickt und ihr die Hand gegeben, und über das alles waren ihr die Tränen in die Augen getreten, und sie hatte sich doch so glücklich gefühlt und dann so triumphierend zu der eifersüchtigen schwarzen Maske hinüberschauen können. Nach der schwarzen Maske musste sie wieder hinüberblicken. Sie sah sie nicht; das Fenster drüben war verschlossen und nichts dahinter zu sehen.

      Aber hinter dem Mädchen öffnete sich leise die Tür, und als Gretchen sich umwandte, stand die schwarze Maske vor ihr.

      Die Aufwärterin erschrak heftig.

      Die schwarze Maske aber war eine zierliche, reizende, schlanke, reich gekleidete Frauengestalt von vornehmer, stolzer Haltung.

      Sie war an der Tür stehen geblieben. Man gewahrte trotz der Larve, wie sie in dem Gemache nach allen Seiten sich umsah. Dann erst schien sie von dem erschrockenen Mädchen Notiz zu nehmen. Sie trat rasch auf dasselbe zu.

      »Wie heißt der Student, der dieses Zimmer bewohnt?«

      Der Ton ihrer Stimme war befehlend.

      Er schüchterte die Aufwärterin noch mehr ein. Es wurde ihr unheimlich bei der Fremden, deren Gesicht sie nicht sah, die mit der raschen, heftigen Bewegung dicht an sie herangetreten war; sie glaubte zu fühlen, wie sie von den Augen gestochen werde, die sie nicht sehen konnte.

      Sie hätte um Hilfe rufen mögen.

      »Baron von Aschen«, antwortete sie beinahe demütig.

      »Wie lange wohnt er hier?«

      »Seit Michaelis vorigen Jahres.«

      »Immer in diesem Quartier?«

      »Ja.«

      »Und Sie war immer seine Aufwärterin?«

      »Gewiss«, antwortete Gretchen, als ob sich das von selbst verstehe.

      Die Fremde machte, wie unwillkürlich, eine Bewegung.

      »Wohin fuhr der Baron vorhin?« fragte sie dann.

      Gretchen hatte begonnen, sich von ihrem ersten Schreck zu erholen. Die Frage der Dame betraf zudem ein Geheimnis des Studenten.

      »Der Herr Baron hat es mir nicht gesagt«, antwortete sie.

      »Aber Sie weiß es dennoch; ich sehe es Ihr an!« rief die Maske.

      Sie rief es heftiger, gebieterischer.

      Die Aufwärterin fasste sich ganz. Was hatte die Fremde ihr zu befehlen?

      »Und wenn ich es wüsste«, sagte sie, »was für ein Recht hätten Sie, mich danach zu fragen?«

      »Was für ein Recht?« fuhr die Fremde auf.

      Aber sie besann sich.

      »Der Herr von Aschen duelliert sich?« fragte sie.

      Die Aufwärterin antwortete nicht.

      »Sagen Sie es mir«, bat die Fremde.

      Ihre Stimme schien zu zittern.

      »Ich glaube es«, antwortete Gretchen, und auch ihre Stimme zitterte.

      Die Fremde wollte wohl wieder auffahren. Wie konnte eine Aufwärterin sich herausnehmen, für den Freiherrn, für den Mann zu zittern, für den ihr Herz bebte? Sie mäßigte sich.

      »Wissen Sie Näheres über das Duell?« fragte sie.

      »Gar nichts«, war die Antwort. »Ich habe es nur erraten wie Sie.«

      »Wie Sie!« Die Fremde musste sich noch einmal zusammennehmen.

      »Hat dieses Haus einen Eingang auf der Rückseite?« fragte sie.

      »Nein.«

      Dann wollte sie gehen.

      Aber Gretchen hatte noch eine Frage an sie.

      »Darf ich dem Herrn Baron sagen, dass die Dame hier war?«

      »Meinetwegen!«

      Die Dame ging.

      An demselben Tage saß an der Mittagstafel des Gasthofs zum König von England in Göttingen eine große Gesellschaft. Es war freilich nur die gewöhnliche Tischgesellschaft des damals ersten und besuchtesten Gasthofs der berühmten Universitätsstadt. Sie bestand aus Reisenden, höheren Beamten der Stadt und Studierenden.

      Von Studenten konnten aber nur die reichern den Mittagstisch des teuren Gasthofs »erschwingen«.

      Eine Gruppe von Studierenden saß an einem Ende der Tafel beisammen. Es waren junge Männer, die zwar von mannigfach verschiedenem Alter waren — einige zählten vielleicht kaum achtzehn Jahre, während andere schon vier- oder fünfundzwanzig zurückgelegt haben konnten — aber allen war ein gewisses klares und sicheres Selbstbewusstsein gemeinsam, und dieses Selbstbewusstsein war nicht das gewöhnliche studentische. Sie hatten auch wohl den andern Grund, auf dem es beruhte, miteinander gemein. Und dieser war?

      Sie tranken aus grünen Römern goldenen Rheinwein.

      »Heute vorm Jahre!« stießen sie an. »Der achtzehnte Juni und die Landwehr!«

      »Möge all das edle Blut, das damals vergossen wurde, nicht umsonst geflossen sein!«

      »Nicht