Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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sagte er dann, »Du wirst mit den Fünfen hier bleiben. Der Bursch Bernhard wird die Fünfzehn führen. Bei ihnen werde ich sein. Aaron Levi wird —«

      Er sah sich nach Aaron Levi um. Aber Aaron Levi war fort, verschwunden.

      »Mit seinem langen Messer«, lachte der Knabe.

      »Und mit seinem großen Maule!« sagte Konrad Maurer.

      »Und nun fort!« rief der Knabe Bernhard. »Wir zwei mit den fünfzehn Mann so leise wie möglich. Du, Konrad Maurer, wartest eine Minute, dann brichst Du los.«

      Sie schieden. Konrad Maurer blieb mit seinen fünf Mann. Der Knabe wandte sich mit dem Juden Schlom Bendix und den fünfzehn Mann nach links in das Gebirge zurück; sie traten kaum hörbar auf. Sie konnten sechzig bis siebzig Schritte zurückgelegt haben, als es hinter ihnen laut wurde.

      »Halt! Wer da!« rief es.

      Dann war ein paar Augenblicke eine Totenstille.

      »Steht, oder wir schießen!« rief es darauf.

      Ein hastiges, lautes Rennen folgte, dem Rennen ein Schuss, ein zweiter.

      »Hierher, hierher! Alle Mann hierher!« wurde dann durch die Nacht gerufen.

      Ein zweites hastiges Rennen wurde gehört. Es kam aus der Mitte des Tals. Ein Haufen Menschen lief von da nach dem Ende, nach der Schlucht hin, in der geschossen, gerufen war. Man hörte die Waffen der Laufenden klirren.

      »Die Kriegslist ist geglückt!« sagte Bernhard Henke »Rasch noch fünfzig Schritt voran! Dann durch!«

      Sie eilten rasch noch fünfzig Schritte voran.

      »Jetzt hinunter!«

      Sie liefen den Berg hinunter.

      »Ein Wagen!« rief Schlom Bendix.

      Sie hörten wieder das Rollen eines Wagens unten im Tale, nur wenig links von ihnen.

      Der Knabe stutzte.

      »Das wäre ein zweiter Wagen!«

      »Der Regierungsrat?« fragte Schlom Bendix.

      »Wenn er es nicht vorhin war. Aber gleichviel! Wir müssen durch. Ohne Säumen! Der Wagen ist noch hundert Schritt von uns. Vorwärts!«

      Sie liefen vollends den Abhang des Berges hinunter Sie waren an seinem Fuße. An dem Fuße hörte der Wald auf. In dem Tale standen nur einzelne Sträucher. Sie wollten unter den letzten Bäumen hervortreten.

      »Halt! Wer da!« rief es unmittelbar vor ihnen.

      Blanke Gewehre blitzten ihnen in dem Sternenlichte entgegen.

      »Teufel!« rief der Knabe. »Sie waren klüger als wir!«

      »Wir sind verraten, verloren!« rief Schlom Bendix.

      »Zurück, zurück!« rief er den Lastträgern zu.

      Die flogen schon zurück.

      Aber sie hatten ihre Last von sich geworfen, um leichter laufen zu können.

      Alle die teure Ware!

      »Hunde von feigen Christen!« rief wütend der Jude.

      Aber er folgte laufend den Laufenden.

      »Halt! Steht, oder wir schießen!« riefen die Grenzjäger. »Wer nicht steht, wird niedergeschossen!«

      Sie liefen eiliger, hastiger, dem Tode zu entrinnen.

      Unten fielen Schüsse; die Kugeln durchschnitten die Blätter, fuhren in die Stämme der Bäume.

      Von den Fliehenden musste niemand verwundet sein; man hörte kein Fallen, kein Rufen.

      »Ihnen nach! Ihnen nach!« rief es unten.

      Die Grenzjäger drangen in den Wald, den Berg hinan. Im Vordringen luden sie ihre Gewehre wieder.

      Da rannte auch Bernhard Henke, bevor die zweite Salve gegeben wurde. Aber er folgte nicht den andern.

      Ihnen musste die zweite Salve folgen. Er schlug sich zur Seite.

      Es half ihm nichts, dem armen Knaben.

      Einer hatte seinen Schritt gehört.

      »Hier rechts läuft einer! Zwei Mann ihm nach!« wurde kommandiert.

      Der Knabe hörte, wie zwei Mann ihm folgten; die andern eilten dem Haufen nach.

      Er flog unter den Bäumen dahin; er war so behände.

      Es half ihm auch das nicht.

      Die Verfolger hatten wieder geladen.

      Zwei Schüsse fielen fast gleichzeitig hinter ihm.

      Die eine Kugel hörte er neben sich her durch die Blätter sausen. Die zweite hörte er nicht; aber er fühlte einen plötzlichen Stoß in die Schulter, dann einen heftigen Schmerz; dann lief es ihm warm an dem Arme, am Rücken hinunter.

      Es war sein warmes junges Blut.

      Er hatte noch Kraft, weiter zu fliehen.

      Aber den Berg hinauf konnte er nicht mehr. Er lief an dem Abhange hin, geradeaus.

      Die Verfolger waren hinter ihm. Er hörte, wie sie im Laufen noch einmal ihre Gewehre luden.

      Der Schmerz in seiner Schulter wurde heftiger, seine Kräfte wurden schwächer.

      »Sie werden noch einmal auf mich schießen! Sie werden mich meiner armen Mutter als Leiche in das Haus bringen. Die Henriette sagte es wohl, auch die Mamsell. O meine arme Mutter!«

      An sich, an sein junges Leben, von dem er scheiden sollte, dachte der brave Knabe nicht.

      »Ob ich mich ergreifen lasse?« fragte er sich dann.

      »Ich rettete das Leben. Die Kugel in der Schulter wird so schlimm nicht sein. Aber ins Zuchthaus müssen! Wie ein Dieb, ein Räuber, ein Mörder! Lieber —«

      Lieber tot! wollte er sagen. Aber er sprach das Wort nicht laut. Sein frischer Mut wich nicht von ihm.

      »Müssen sie mich denn zum zweiten Male treffen?«

      Er rannte weiter, er konnte es noch.

      Aber die Verfolger kamen ihm näher.

      Und er war am Rande des Waldes, am Fuße des Bergs; er sah das offene Tal vor sich, und er musste hinein, hinter ihm waren die Verfolger.

      Er flog hinein.

      Sie hatten es ihm wohl nicht zugetraut.

      Er gewann einen Vorsprung.

      Da sahen sie ihn dennoch.

      »Dort läuft er! Dort, dort!«

      »Steh, Bursche, oder wir schießen Dich nieder.«

      Er rannte wie rasend, aber mit seinen letzten Kräften. Und wohin sollte er? Das Tal war weit; kein Baum, keine Hecke, kein Haus war darin.

      »Dort am Ende, hinter der Krümmung, liegt Ovelgönne! Wenn ich es noch erreichen könnte! Es ist nicht möglich.«

      Er konnte nicht mehr weiter. Es war ihm, als wenn er umsinken müsse.

      Da vernahm er einen Ton, den er vorher schon zweimal gehört hatte.

      Ein Wagen fuhr im Tale, nicht weit von ihm. Er sah ihn.

      Er nahm noch einmal seine Kräfte zusammen. Er lief auf den Wagen zu. Er kam ihm näher.

      »Hilfe!« rief er.

      Doch nein, er konnte es nur noch stöhnen.

      Der Domherr von Aschen war zu seiner Laube zurückgekehrt, in der die Mamsell Karoline Lohrmann und die Frau Mahler sich noch befanden.

      »Ihr wünscht wohl nach Hause zurückzukehren?«