Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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Meilen weit in einer Minute. Und die Heide zitterte unter mir, und mein Herz zitterte mit ihr und den bebenden Frauen. All das grässliche Morden und Jammern und Stöhnen und Beten und Fluchen und Sterben des Schlachtfeldes stand vor mir. Und auch Gisbert ——«

      »Onkel, höre auf!« rief Gisbertine.

      Sie bebte an seiner Seite; sie war bleich geworden wie die Frauen auf der Heide.

      »Ah«, sagte der Domherr noch einmal.

      Er hätte das Wort nicht sagen sollen.

      Das Fräulein sprang auf, heftig noch. Sie ging auch noch ein paarmal mit hastigen Schritten durch das Gärtchen. Dann kehrte sie langsam und ruhig zu dem Domherrn zurück.

      »Onkel Florens, trinkt man hier in Gesellschaft den Nachmittagskaffee?«

      »O ja, beim Kurhause.«

      »Führst Du mich hin? Der Onkel Steinau trinkt seinen Kaffee allein.«

      Der Domherr führte sie zum Kurhause.

      »Und Gisbert?« fragte er unterwegs.

      »Wir haben ja später Zeit, von ihm zu sprechen.«

      Am Kurhause saßen unter schattigen Bäumen einzelne Gruppen der Gesellschaften des Bades an einzelnen Tischen beim Kaffee. Der Domherr führte das Fräulein zu seinen Bekannten. Es war jene Gesellschaft, von der sie ihm bei Tische ihre Skizzen entworfen hatte, die sie also gleichfalls schon kannte, von der sie gekannt war.

      Auch der Graf Westernitz war da, der blasse Husarenlieutenant, dem die knappe Uniform so hübsch stand und der so anmutig husten konnte.

      In sein Gesicht zog Glück ein, als er das schöne Fräulein sah. Er sprang auf, ihr entgegen.

      »Wie glücklich machen Sie uns, mein gnädiges Fräulein!«

      »Auch Sie, Herr Graf?«

      »Sie fragen!«

      Er küsste ihr die Hand.

      »Es freut mich«, sagte sie. »Denn ich glaube, Sie sind der einzige vernünftige Mensch hier.«

      Der Lieutenant lachte.

      »Mein Fräulein, dann wäre ich ja der einzige Mensch hier; denn der Mensch ist das mit Vernunft begabte Tier.«

      »O weh, lieber Graf, Sie dezimieren die Menschheit.«

      Der Graf lachte wieder.

      »Ein köstlicher Witz, auf Ehre!«

      »Sprechen wir von ernsten Dingen, Herr Graf.«

      »Gnädiges Fräulein befehlen?«

      »Tanzen Sie?«

      »Welche Frage!«

      »Gibt es hier Bälle?«

      »Leider nein.«

      »Landpartien?«

      »Sie lassen sieh arrangieren.«

      »Arrangieren Sie eine.«

      »Für heute wäre es zu spät.«

      »Zu morgen Nachmittag.«

      »Die Wahl des Ortes überlassen Sie mir, gnädiges Fräulein?«

      »Ich bin hier noch völlig unbekannt.«

      »Ah, ich kenne hier einen reizenden, romantischen, superben Platz, versteckt zwischen hohen Bergen, durchrauscht von einem wilden Gebirgsfluss, die Dahlheimer Sägemühle.«

      »Kann man dort tanzen?«

      »Auf einem wundervollen Rasenteppich.«

      »Vortrefflich! Also zu morgen Nachmittag und Abend. Mit meinen beiden Oheimen mache ich die Sache ab.«

      Damit war zwischen den beiden die ganze Sache abgemacht.

      An demselben Tage sagte Fräulein Gisbertine zu den beiden Oheimen nichts mehr.

      Am folgenden Tage entschuldigte sich der Domherr bei dem General, dass er nicht des Mittags zu Tische kommen werde; er werde früher und allein essen, da er einen Besuch im Gebirge zu machen habe.

      »Kommst Du vielleicht an der Dahlheimer Sägemühle vorbei, Onkel Florens?« fragte ihn da das Fräulein.

      Er sah sie verwundert, beinahe verlegen an. Wusste sie von seinen Geheimnissen?

      »Ja«, antwortete er.

      »So könntest Du mir einen Gefallen erweisen. Wir machen gegen Abend eine Partie dahin. Die Leute werden auf eine größere Gesellschaft nicht vorbereitet sein. Wärst Du so freundlich, uns ihnen anzumelden?«

      »Heute?« rief der Domherr.

      »Warum nicht? Wir wollten einmal tanzen.«

      »Ah, Du und der Herr Graf Westernitz?«

      »Ja.«

      Der Domherr sagte nichts weiter. Der General war zugegen, und in dessen Gegenwart wollte er wohl der Nichte keinen Vorwurf machen und kein hartes Wort sagen.

      Er ging.

      Aber das Fräulein folgte ihm aus dem Zimmer in das Gärtchen.

      »Wir haben schönes Wetter zu unserer Partie, Onkel Florens«, sagte sie draußen.

      Der Domherr blieb stehen.

      »Bist Du mir darum gefolgt, um mir das zu sagen?«

      »Es wäre möglich.«

      »Es ist aber nicht so. Dein Gewissen hat Dich hinter mir hergeschickt.«

      »Kennst Du mein Gewissen so genau?«

      »Ja. Und ich will Dir auch noch mehr von ihm und von Dir sagen. Um es zu betäuben, willst Du heute da hinten tanzen.«

      »Lieber Onkel Florens, Du musst mich oder mein Gewissen für sehr ordinär halten.«

      Damit kehrte Gisbertine in das Zimmer zurück und ließ den Domherrn seiner Wege gehen.

      »Du wirst doch unsere Partie mitmachen, lieber Onkel?« fragte sie den General.

      »Wenn Du meinst, Gisbertinchen.«

      Die Sache war in Ordnung.

      Der Graf Westernitz hatte eine reizende Partie arrangiert.

      Es war so schön in der Schlucht der Sägemühle, so sonnig und so schattig, so still und so heimlich, und das Echo der Berge gab das laute Scherzen und Lachen so fröhlich zurück. Für Musik war auch gesorgt, und der feine grüne Rasenplatz zwischen den duftigen Linden und den gelben Weiden an dem Ufer der rauschenden Diemel war ein Tanzsalon, wie keine Kunst ihn einladender hätte schaffen können. Fräulein Gisbertine war die Königin des Tages und des Abends, und der Graf Westernitz war ihr Anbeter. Der Graf war und blieb glücklich.

      Das Fräulein wurde auf einmal mitten im Tanze still, machte ein langweiliges Gesicht, trat aus der Tanzreihe und setzte sich zur Seite unter einen Lindenbaum. Der Graf, ihr Tänzer, musste ihr folgen.

      »Sie sind unwohl, gnädiges Fräulein?«

      »Nein.«

      »Sie langweilen sich?«

      »Ja.«

      »Wodurch kann man Sie zerstreuen, aufmuntern?«

      »Dadurch, dass Sie mich allein lassen.«

      »Hätte ich Sie beleidigt?«

      »Nein. Ich wünsche nur allein zu sein.«

      Und um es zu sein, stand sie auf, ging den Strom aufwärts und setzte sich hinter der alten Sägemühle auf einen alten Weidenstamm, dessen Wurzeln im Wasser standen. Dort sah sie in das Wasser hinein.

      Der Graf hatte ihr nicht folgen dürfen. Er kehrte aber auch nicht zum Tanze zurück. Er setzte sich auf den Platz, auf dem sie gesessen hatte, und träumte und träumte glücklich. Ein junger hübscher Gardelieutenant