Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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schön glänzende Gesicht.

      »Aber der Krieg ist noch nicht zu Ende? Es werden noch viele Schlachten sein?« fragte sie den Offizier.

      »Aber das Glück steht dem Mutigen bei!« antwortete ihr der Offizier.

      Er musste weiter, er musste scheiden.

      Er war ebenfalls ein rascher, entschlossener Mann.

      Während die Kellnerin vorhin durch die Juden aufgehalten war, hatte er zugleich den Lohnkutscher, der den Domherrn hergefahren, gedungen, ihn nach Hofgeismar zu bringen, wo er Extrapost nach Kassel fand.

      Er nahm von der Kellnerin Abschied.

      »Was soll ich dem Lieutenant Becker sagen, Mamsell? Ich bin in drei Tagen wieder bei ihm.«

      »O tausend, tausend Grüße, mein Herr, und dass mein Herz immer bei ihm ist und meine Seele stündlich für ihn betet.«

      »Und Gott wird Ihre Gebete erhören.«

      Der Offizier reichte ihr die Hand und sprang in den Wagen; der Wagen jagte mit ihm davon.

      Die Kellnerin aber, die Braut des preußischen Lieutenants, musste in dem Hessenlande die Gäste bedienen, die neu gekommen waren, und sie hatte nicht einmal Zeit, über das alles nachzudenken, was der Kurier ihr mit geteilt hatte und was ihr doch das Herz erfüllte und abdrücken wollte.

      »Am Abend, wenn ich im Bette bin!« vertröstete sie sich selber. Wie müde sie am Abend sein musste, wenn sie den ganzen Tag von früh sechs bis zur Mitternacht hin gewirtschaftet und keinen Augenblick Ruhe gehabt hatte, und wie sie am andern Morgen um sechs schon wieder auf ihrem Platze sein müsse, daran dachte sie nicht und es hinderte und störte auch gewiss am Abend ihre Gedanken nicht.

      Eine Sorge machte ihr der Bursche Bernhard Henke. Ihr Herz, wie voll es war, hatte seiner nicht vergessen.

      Sowie sie wieder einen Augenblick Zeit hatte, wollte sie ihn ermahnen. Da kam der Knabe zu ihr gesprungen.

      »Ich muss fort, Jettchen, mit meinen Juden.«

      »Bernhard, Bernhard, kannst Du denn nicht von ihnen bleiben?«

      »Ich muss meiner Mutter die dreißig Taler bringen.«

      »Und wenn Du ihr das Unglück ins Haus bringst? Wenn sie Dich ihr als Krüppel, als Leiche in das Haus tragen müssten?«

      Der Knabe wurde doch nachdenklich.

      »Du weißt, wie ich Dich liebe«, sagte das Mädchen zu ihm.

      »Ich weiß es, liebes Jettchen.«

      »Ich hatte Dich schon so lieb, als wir noch Kinder waren. Erinnerst Du Dich, wie wir da immer beisammen saßen?«

      »Wie werde ich das vergessen, Jettchen!«

      »Wir hüteten die Kühe zusammen, Du die aus Deinem Dorfe, ich die aus dem meinigen. Die Weiden der beiden Dörfer grenzten aneinander. In der tiefen Schlucht zwischen den Bergen trafen wir uns. Die Kühe grasten über uns an den Bergwänden.Wir beide spielten unten oder erzählten uns. Es war so still um uns her, und wir waren so allein; wir sahen oft in drei Wochen keinen Menschen.«

      »Und doch wurde uns die Zeit nicht lang, Jettchen; Du wusstest alle die schönen Geschichten.«

      »Und Du erzähltest mir von Deiner Mutter.«

      »Und Du hattest von Deinem Vater lesen und schreiben gelernt, und Du warst größer und älter als ich, und da musste ich bei Dir in die Schule gehen.«

      »Und Du, Bernhard, teiltest Dein Brot mit mir, Du hattest mehr als ich.«

      »Und Du, Jettchen, bautest für uns die dichte Hütte von Zweigen und Moos, wenn der Regen so kalt wurde und der Schnee fiel.«

      »Die Hütte bauten wir zusammen, Bernhard, und wir wärmten uns darin einander.«

      »Du mich, Jettchen, und —«

      Auf einmal brach der Knabe ab.

      »Du willst mir das Herz weich machen, Jettchen«, rief er. »O tue es nicht. Ich kann Dir nicht folgen, diesmal nicht.«

      »Ist es Dir gar nicht möglich, Bernhard?«

      Er kämpfte doch mit sich.

      »Höre, Jettchen«, sagte er dann aber, »auf schlechten Wegen gehe ich nicht, das habe ich Dir schon vorhin gesagt; da wird denn auch das Glück zu mir halten. Etwas wagen muss der Mensch dabei, das tut ja auch Dein Bräutigam, von dem Dir der Offizier erzählte. Er ist selbst Offizier geworden, und die Kugeln werden ihn Dir nicht nehmen, und ich sehe Dich schon als Frau Lieutenantin. Potz Wetter, Jettchen, das wird eine Freude sein, für Dich und für mich. Und nun lebe wohl, mein liebes Jettchen. Da ich einmal weiß, dass Du hier bist, werde ich oft zu Dir kommen, wenn Du nichts dagegen hast.«

      »Komm’ Du alle Tage, lieber Bernhard. Und nun gehe nur mit Gott.«

      Der Knabe eilte zu den Juden zurück, die auf ihn warteten. Mit ihnen und mit Konrad Maurer, den sie aufgeweckt und wieder nüchtern gemacht hatten, verließ er die Sägemühle. Sie ließen sich nicht über die Diemel setzen. Sie gingen den Fluss hinunter, wohl um die Stellen aufzusuchen, an denen sie ihn in der Nacht für ihr Schmugglergeschäft am sichersten passieren konnten.

      Die Kellnerin sah dem Knaben noch eine Weile mit ihrem besorgten Gesichte nach. Ihre Besorgnis mochte nicht ihm allein gelten. Die Gefahr, der sie ihn entgegengehen sah, führte ja ihre Gedanken so nahe auf alle die tausend Gefahren, die ihren Geliebten, ihren Bräutigam umgaben. Aber dem jungen liebenden Herzen fehlt niemals die Hoffnung, und mit der Hoffnung zog ihr die Freude wieder in die Brust und in das hübsche, frische, glückliche Gesicht.

      Und so ging sie wieder ihrem Dienste nach und bediente flink und freundlich die Gäste, die da waren und die hinzukamen.

      Hinzukamen aber eine Menge Badegäste aus dem benachbarten Hofgeismar in einer ganzen Reihe von Wagen.

      Der Domherr von Aschen hatte sie schon angezeigt als eine lustige Gesellschaft, die sich hier einen vergnügten Abend machen, gar tanzen wolle, tanzen, während Tausende armer Menschen dahinten auf den Schlachtfeldern verbluten müssten.

      Die Angekommenen waren wohl von der vornehmsten Gesellschaft des Bades. Freilich! Herren und Damen, auch junge, eben zum Tanzen.

      Gisbertine Freifräulein von Aschen, hatte sich am Morgen nach ihrer Ankunft zu Hofgeismar in der Badegesellschaft umgesehen und die Gesellschaft sehr langweilig gefunden.

      »Das ist zum Sterben, zum Entsetzen langweilig hier«, sagte sie schon des Mittags bei Tische.

      Einer ihrer Onkel, der General von Steinau, widersprach ihr nicht — er durfte es wohl nicht — er wagte nicht einmal eine Bemerkung.

      »Es wird sich schon geben, liebes Gisbertinchen«, sagte er nur begütigend, »wenn Du hier näher bekannt geworden bist.«

      Aber auch das war dem Fräulein schon zu viel.

      »Kenne ich denn diese Menschen nicht schon?« rief sie. »Oder wären sie etwa so erhabene Geister oder tiefe Gemüter, dass man sie wochen- oder gar monatelang studieren müsste?«

      Der tapfere General nahm seinen Rückzug.

      »Ich meinte ja nur, liebes Gisbertinchen!«

      Der andere Onkel des Fräuleins aber, der Domherr von Aschen, sagte mit seiner größten Ruhe:

      »Du wolltest ja hierher, Gisbertine!«

      Seine Bemerkung schlug aber das Fräulein nicht.

      »Und warum?« fragte sie.

      »Du schriebst mir, um meinetwillen.«

      »Und so war es. Ich hatte mir gedacht, wo mein gelehrter, geistvoller, witziger und bei dem allem so hoch aristokratischer, den hohen Würdenträgern seiner Kirche und dem stolzen Adel seiner roten Erde angehörige Domherr Reichsfreiherr von Aschen seit vielen Jahren, seit den Jahren seiner Jugend seine Sommer zugebracht habe, da müsse die interessanteste,