Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
Скачать книгу
der Gedanke: Wäre statt deiner doch dein Weib hier! – Aber Er war da, und blieb da, und zwar allein und mitten in der Nacht, und ganz nahe an dem unheilvollen Berge, und noch näher bei einem eben so unheilvollen, schauerlichen, unerklärlichen Geräusche, das wie ein Windsturm ihn zu ereilen drohete. Seine Beine trugen ihn nicht mehr, kraftlos sank er plötzlich zusammen.

      In demselben Augenblicke hatte das Geräusch ihn aber auch eingeholt, und der arme, von kaltem Angstschweiß triefende Schneider, sah sich umgeben von einer ungeheuren Masse schwarzer, theils geharnischter, theils nicht geharnischter Gestalten, die zu Fuße, und auf schwarzen aber wie Feuer leuchtenden Rossen, ihn entsetzlich in dem bleichen Mondlichte, mit glühenden, feurigen Augen anstarrten. Sie thaten ihm nichts, und sprachen auch nichts; aber ein Paar große Hunde, die sie bei sich hatten, und die ebenfalls schwarz und feurig waren, kamen ganz nahe an ihn heran; und als diese beiden Ungethüme mit ihren glühenden Augen so ganz dicht an ihm waren, und sogar sich anschickten, mit ihren großen, eitel Feuer sprühenden Mäulern ihn zu beriechen und zu belecken, da konnte der arme Schneider seine Angst nicht mehr in sich verschließen, er mußte ihr Luft machen, und mit lauter, überschlagender Stimme rief er: Habt Gnade, ihr gestrengen Herrn! Habt Barmherzigkeit!

      Darüber verbreitete sich unter dem Geisterchor ein lautes, boshaftes Gelächter, ein wahres Gelächter der Hölle, in welches die Hunde mit einem fürchterlichen Heulen einstimmten, so daß der arme Meister Pankratz wohl vermerken konnte, in welche Händen er gerathen sey.

      Einer von den Geistern aber, der auf einem hohen Pferde hielt, ganz gewappnet und gerüstet war, und dem auch die Uebrigen große Ehrfurcht zu bezeigen schienen, nahm jetzt das Wort. Fürchte dich nicht Gesell, sprach er zu dem Schneider, und berichte uns, wer du bist, und was dich hierher führt.

      Seine Stimme klang dem Schneider anmuthig gegen das Gelächter und Geheul von eben, und Muth fassend, jedoch mit kläglicher Stimme, erwiderte er: Ich wollte zum Kloster Bödecken, um den Mönchen neue Habite zu machen; ich bin ein armer Schneider aus Paderborn!

      Bei dem Worte Schneider lachten die Gestalten wieder wie toll, und die Hunde heulten wieder; der hohe Ritter aber fuhr fort, indem er zu seinen Gefährten sprach: Den Gesellen können wir gebrauchen! Anstatt dem Schneider der Mönche zu helfen, kann er bei unsern Schneidern arbeiten. Es ist alles Eins!

      Nur daß er mit brennenden Nadeln nähet, und mit glühendem Zwirn! riefen lachend Mehrere aus dem Haufen.

      Da erbebte dem armen Nadelhelden das Herz gewaltiger als bisher, und er schrie von neuem um Gnade und um Loslassung, um seines armen Weibes willen, die sich todt grämen würde ohne ihn. Der geharnischte Ritter aber gab einem Reisigen, der im Hintergrunde auf einem großen schwarzen Hengste hielt, einen Wink, und augenblicklich kam dieser näher, ergriff das bebende Schneiderlein und hob es hinter sich auf sein Roß. Und in sausendem Galopp jagte dann der ganze Haufe unter Lachen, Schreien und Toben, und dem Geheul der Hunde, dem Lutterberge zu.

      Dem armen Schneiderlein war vor Schrecken Sprache und Stimme ausgegangen, er ergab sich leidend dem, was um ihn und mit ihm geschah, und wurde nur von eisigem Grauen ergriffen, wenn er an die brennende Nadel und an den glühenden Zwirn gedachte, mit dem er hinfort nähen sollte.

      Der Zug kam am Lutterberge an, und hielt an dessen Fuße. Die Ritter stiegen ab, und gaben ihre Pferde den Knechten, die damit auf die Seite zogen. Auch der Schneider und sein Roßgefährte stiegen ab, und folgten dem Zuge der Ritter zu einem großen Thore, das sich vor ihnen aufthat, und durch welches sie in das Innere des Berges stiegen. Alle Angst und Furcht wich hier dem Erstaunen, das sich des Meisters Pankratz bemächtigte.

      Er befand sich im Innern des hohen, weiten Lutterberges, in einem einzigen, großen, ungeheueren, unermeßlichen Saale, der von Einem Ende des Berges zum Andern, von der Einen Seite zur Andern und bis oben an die Spitze hinan zu reichen schien. Der Saal war so groß und so weit und so hoch, daß er nachher versicherte, der Dom in Paderborn nebst der Jesuitenkirche und der Chorkirche und der Abdinghofkirche hätten alle zusammen Raum darin, und wenn man sich auch jede von ihnen hunderttausendmal so groß und hoch dächte. Und in diesem ganzen Saale war kein einziges leeres Plätzchen; jeder Fleck besetzt, in jeder Ecke herrschte buntes, lautes Leben. Lange stand der Schneider betäubt von dem Anblicke und von dem tollen, wirren Geräusche um ihn her. Bald aber siegte die Neugierde in ihm, und, sich selbst vergessend, richtete er seine ganze Aufmerksamkeit auf seine Umgebung.

      Da sah er denn nun zu allererst, was er so oft schon hatte erzählen hören, daß er sich wirklich in dem Fegefeuer des westphälischen Adels und mitten unter ihrer und ihrer Knechte und Bedienten abgeschiedenen Seelen befinde. Denn manchen Cavalier fand er hier wieder, der längst gestorben war, und den er im Leben recht gut gekannt hatte; und manchen Knappen, mit dem er in der Oberwelt manches Glas Bier ausgeleert hatte. Ja, zu seinem Erschrecken, und doch zu einiger Schadenfreude bemerkte er sogar einen Kriegsknecht des Grafen von Westphalen, der im Leben sein Nebenbuhler bei Elsabein gewesen war. Der Mann stand hinter dem Stuhle seines Herrn und wartete diesem auf, schien aber den Schneider nicht zu bemerken oder nicht zu kennen.

      Diese Entdeckung reizte seine Neugierde noch mehr, und kühner warf er forschende Blicke in dem weiten Gewölbe umher. Da sah er denn mit Einem Male die Lebensart, das ganze bunte Treiben in diesem westphälischen Adelsfegefeuer. Hier saß ein Haufen, der sich an einer vollen, reichbesetzten Tafel gütlich that, und dabey sang und jauchzte; Andere saßen zechend und jubelnd hinter großen, vollen Humpen; noch Andere spielten mit Würfeln oder Karten; wieder Andere unterhielten sich von ihren Kriegsthaten und sonstigen Abentheuern. Alle waren sehr froh und lustig, aber doch bemerkte der Schneider, daß ihre Lustigkeit nicht recht von Herzen gehen müsse; denn die Essenden verzogen ununterbrochen den Mund, so wie sie etwas hineinsteckten, bald nach der rechten bald nach der linken Seite; den Trinkern sogar, wenn sie die Humpen an die Lippen setzten, fuhr eine schwefelichte Flamme hinein, so daß sie nur diese, und nicht Wein oder Bier zu trinken schienen, eben so rieben die Spieler sich gewaltig die Hände wenn sie Karten oder den Würfelbecher angerührt hatten; und daß Alle auf glühenden Stühlen saßen, konnte der Schneider gar leichtlich an dem ewigen plötzlichen Aufstehen und hin und her rutschen, und an den saueren, den Schmerz verbeißenden, Gesichtern sehen, welche Alle, vorzüglich die Singenden und Jubelnden, oft schnitten.

      Eine Zeitlang sah der Schneider diesem Treiben im Ganzen zu. Dann aber vergnügte er sich damit, einzelne Personen unter dem Haufen hervorzusuchen, von deren Leben er Zeuge und wegen deren er oft neugierig gewesen war, was nach ihrem Tode wohl aus ihnen werden würde. Und hier ergriff ihn oft das ungeheuerste Erstaunen. Denn gleich zu Anfang fiel ihm ein Mann mit einem schönen, frommen Gesichte auf, der nicht weit von ihm, an einer großen Tafel den Ehrenplatz einnahm; die Züge schienen dem Schneider bekannt, er betrachtete sie genauer, und ein lauter Ausruf der Ueberraschung wäre ihm beynahe entfahren, als er auf einmal den Bischof Wilhelm von Paderborn erkannte, der im Jahre vorher gestorben war. Zwar fiel es ihm schnell ein, daß derselbe, nachdem er schon mehrere Jahre vorher seine bischöfliche Würde niedergelegt, die Gräfin Adelheid von Tecklenburg, mit der er in Bielefeld Hof gehalten, geheirathet hatte; allein er hatte hiezu doch die Erlaubniß selbst des heiligen Vaters gehabt; unmöglich konnte hiedurch der Mann daher eine Sünde begangen haben, und sonst hatte er doch in seinem Leben nichts Böses gethan. Dennoch saß der fromme Bischof hier und speisete glühenden braunen Kohl, den er im Leben gern gegessen, und verzog dabey erbärmlich das Gesicht, und erzählte von einer Saujagd, die er auch im Leben geliebt hatte, und zuckte bey jedem Worte den Mund, als wenn, so wie er nur Feuer einschluckte, so auch nur Feuer aus seinem Munde käme.

      Neben dem Bischofe saßen eine Menge Domherrn, Pröbste, Dechanten und Cantöre, denen es nicht besser erging, als ihrem Präses, und die Alle der Schneider, im Leben sehr gut gekannt hatte.

      Ueberhaupt machte der Schneider bald die Bemerkung, daß, sowie der geistliche Stand an besonderen Tischen für sich allein saß, da die Ritter jedesmal Familienweise beysammen saßen. Auch war ihm das sehr verwunderlich, daß er gar keine Frauenzimmer in diesem Fegefeuer fand, sondern blos Herrn und ihre Knechte. Vergebens dachte er darüber nach, wo denn wohl die Weiber und Töchter der westphälischen Edelleute bleiben möchten. Denn daß diese entweder gleich in den Himmel, oder auch gleich in die Hölle kämen, konnte er sich nicht gut denken, und zu fragen hatte er keinen Muth. Uebrigens machte ihm diese Entdeckung