Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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that unterwegs sehr geheimnisvoll, und schwieg auf alle Fragen, welche die neugierigen und begierigen Lieberhäuser an ihn richteten. Paßt nur auf, wenn es Zeit ist! sagte er ihnen. Als sie an dem Flusse angekommen waren, trieb er seine Heerde ganz dicht an das hohe Ufer, daß die Thiere unten im Wasser sich abspiegelten. Dann befahl er den Lieberhäusern, ebenfalls nahe heran zu treten; sie thaten dieß und sahen eine unendliche Menge Schafe auf dem Grunde des Rheines. Da war große, laute Freude unter ihnen, und sie drangen in Hick, ihnen geschwind zu sagen, wie sie es machen müßten, um die Thiere zu bekommen.

      Jetzt paßt auf! rief Hick. Einer von Euch springt in den Rhein und taucht unter, um genau nachzusehen, wo die Schafe sind; und wenn er sie gefunden hat, so streckt er zum Zeichen beide Arme in die Höhe. Wenn Ihr das sehet, so springt Ihr Alle nach, und Ihr dürft dann nur zugreifen, um so viele Schafe zu bekommen, als Ihr haben wollt.

      Das leuchtete den Leuten ein, und es war nur noch die Schwierigkeit, wer zuerst den Sprung wagen solle. Doch auch hierzu verstand sich bald Einer, von der Hoffnung, eine desto größere Beute zu machen, angetrieben. Rasch sprang er in die Fluthen; weil er nicht schwimmen konnte, ging er zu Grunde, kam aber bald wieder empor und hob nun vor Angst beide Hände hoch in die Höhe. Das sahen die Lieberhäuser und hielten es für das verabredete Zeichen, und jubelten laut. Und jubelnd und schreiend und tobend und drängend und stoßend und reißend, weil Niemand der Letzte seyn wollte, stürzte, plump! plump! der ganze Haufe in den Rhein und ertrank. Hick aber kehrte mit seiner Heerde nach Hause zurück. –

      In Lieberhausen wohnt seitdem ein ganz anderer Menschenstamm; dennoch hört man dort von dieser Geschichte nicht gern etwas. Der Name Hick ist bis auf den heutigen Tag ein Schimpfname für das ganze Kirchspiel Lieberhausen, wehe dem, der ihn dort zufällig nennen sollte!

      Das Fegfeuer des westphälischen Adels

      Eine Sage von H. Stahl.

       Inhaltsverzeichnis

      Die gute Stadt Paderborn ist gewiß oft in Erstaunen, Angst und Schrecken gesetzt worden, nie aber, weder vorher, noch je wieder nachher, ist sie Zeugin eines solchen Zusammenrennens, einer solchen Neugierde, Furcht, Angst und überhaupt eines solchen Aufruhrs gewesen, als bei der Begebenheit, die ich jetzt erzählen will.

      Im Jahre des Herrn Eintausend vierhundert und dreißig kam nemlich eines Tages durch das Heyers Thor der Stadt über die Heyers Straße und von da bis auf den Domhof ein Mensch gelaufen, mit verbrannten Kleidern, fliegenden Haaren, und verstörtem Antlitze, der mit kläglicher, aber durchdringender Stimme in Einem fort schrie: Höret, Ihr Leute! O höret! o höret! o höret die schreckliche Geschichte! o höre, wer Ohren hat!

      Dabei hob er unter jammervollen Geberden seine rechte Hand in die Höhe, an der die drei vordersten Finger wie abgebrannt waren.

      Dieses Betragen, dieß Schreien und wilde Rennen war den Bürgern Paderborns um so auffallender, als sie Alle den Mann, der ein ehrsamer Schneider war, sehr wohl kannten, und ihn seit langen Jahren friedliebend und ruhig und ehrbar unter sich hatten leben sehen. Aller Neugierde wurde daher in einem hohen Grade erregt, und obgleich manche Gevattern des Schneiders kopfschüttelnd sagten: Was macht der Mann für einen Spektakel? Die Polizei sollte ein Einsehen thun! – und obgleich die alten Weiber mit vieler Bestimmtheit auf der Stelle erklärten: die arme Schneiderseele ist verrückt worden; sein böses Weib hat ihn einmal wieder untergehabt! – so war doch kein Gevatter und kein altes und kein junges Weib, und kein Kind, kein Jude und kein Christ in ganz Paderborn, der nicht aus dem Hause gelaufen und auf den Domhof gerennt wäre, wo der Schneider endlich völlig erschöpft, Halt machte.

      Mit tausend Fragen stürmte man hier sofort auf ihn ein, und eine volle halbe Stunde dauerte es ehe man ein Wort davon verstehen konnte. Zuletzt warf sich der Domkantor ins Mittel, und seiner nicht gewöhnlichen Stimme gelang es, einige Ruh und Ordnung in den empörten Haufen zu bringen. Jetzt unterschied man auch einzelne Fragen, als z.B.: Was mag der Schneiderseele begegnet seyn? – Es wird etwas Rechts seyn, was diesem Helden so in Schrecken jagen konnte? – Meister, habt Ihr Euch mit der Nadel gestochen? u. s. w.

      Aber das Schneiderlein sah sehr verächtlich in den Haufen hinein, der ihn durch solche Fragen zu verhönen glaubte. Dann rief er auf einmal mit seiner hellen Stimme: Hört, ihr Leute! hört die schreckliche Geschichte! Ich bin im Fegefeuer gewesen!

      So dünn des Männeleins Stimme war, so durchdrang sie doch den weiten Domhof und den ganzen Haufen von Menschen, der darauf befindlich war, und brachte unter Allen das höchste Erstaunen, die gespannteste Neugierde hervor. Im Fegfeuer? schrie Alles. Wo, Meister Pankratz? Wann waret Ihr darin? Wo ist es?

      Im Lutterberge ist es! rief die dünne Stimme des Schneiders wieder eben so klar.

      Da gab es aber einen gewaltigen Aufstand und ein gar arges Gedränge auf dem Domhofe. Bekannt war es nemlich seit langen Zeiten, daß im Schooße des Lutterberges, der nicht weit vom Kloster Bödecken liegt, das Fegefeuer für die abgeschiedenen Seelen der westphälischen Edelleute sey; aber wie es darin aussah, was darin getrieben, wie darin gelebt wurde, und wer Alles sich darin befand, darüber wußte man bisher noch nichts, und das Alles wollte man jetzt von dem Schneider erfahren. Dabey hatten nie die vielen auf dem Domhofe anwesenden Edelleute, weil es sich nur von ihrem Fegefeuer handelte, unbedenklich das meiste Interesse, weshalb sie denn auch der Meinung waren, das größte Recht an die Mittheilungen des Schneiders zu haben, gleichsam ein Näherrecht. Sie strengten sich daher mit allen Kräften an, um sich vor, und den herbeigelaufenen Pöbel nebst Juden und Weibern zurückzudrängen. Lange gelang ihnen dieß nicht, zuletzt, nach einem fast stündigen Kampfe, siegten sie, und bildeten eine neue feste Kette um den Schneider, der erzählen mußte.

      Der Meister Pankratz hatte unterdeß zwar Zeit genug gehabt, sich zu erholen und neue Kräfte zu sammeln, dennoch war er noch so zerstört, daß er nur eine sehr konfuse Erzählung des Erlebten vorbringen konnte. Sein Nacherzähler will ihn daher auch hier nicht redend einführen, sondern lieber auf seine schlichte Art referiren, was der Schneider den erstaunten Paderbörner, Adeligen und Nichtadeligen mittheilte.

      Am Tage vor diesem Auflaufe hatte der Schneider-Meister Pankratz, von dem Klosterherrn zu Bödecken eine Botschaft bekommen, ungesäumt nach Kloster Bödecken aufzubrechen, um dem Bruder Schneider bei Verfertigung vieler neuen Habite, die bei einem baldigen Besuche des Bischofs getragen werden sollten, Beistand zu leisten. Der Schneider hatte auf der Stelle wegen vielerlei Arbeit nicht aufbrechen können, sich jedoch sofort mit dem Beginn des sogenannten Schneiderstündchens, welches mit der Dunkelheit seinen Anfang nimmt, auf den Weg gemacht. Wohlgemuth, nachdem er von seinem Hauskreuze Elsabein Abschied genommen, und nicht ahnend, welche Schrecken ihm bevorstehen, hatte er die Reise angetreten, und war auch, unter dem Schutze eines klaren, freundlichen Mondlichtes, sonder Gefahr bis in die Nähe des Klosters Bödecken gekommen; dieß selbst hoffte er noch vor Mitternacht zu erreichen, und zweifelte er nicht, bei dem Bruder Pförtner, der sein Freund war, und an dessen Zellenfenster er anklopfen wollte, Einlaß und einen Krug altes Bier und ein warmes Bette zu finden. Froh in dieser Hoffnung schreitet er immer rüstiger weiter, und kennt, in der hellen Nacht, zum ersten Male in seinem Leben, weder Furcht noch Zittern. Doch etwas beklommen wird ihm ums Herz, als er nun in die Nähe des berüchtigten Lutterberges kommt; alle Sagen die er nur in seinem Leben davon gehört hat, treten ängstigend vor seine Seele, und schnell wird seine Beklommenheit zur entsetzlichsten Angst; er setzt seine dürren Beine schneller vorwärts, sein Athem wird lauter, kurzer, heftiger, obgleich er sich ohne Unterlaß vornimmt, gar nicht aufzuathmen, um kein Wesen, todtes oder lebendes, durch das Geräusch aufmerksam auf seine arme Person zu machen; unaufhörlich sieht er bald hinter sich, bald scheu zu beiden Seiten, und doch fürchtet er, nur die Augen aufzuschlagen; noch ununterbrochener aber schlägt er andächtige Kreuze vor sich hin, bald große und langsame, bald kleine und geschwinde, je nachdem ihm seine Lage mehr oder minder gefährlich erscheint. Auf einmal, ganz in der Nähe des entsetzlichen Berges, der wie ein unendlich großer, drohender, alles verschlingender Riese vor ihm liegt, auf einmal hört er lautes Geräusch hinter sich; sein ganzer Körper erbebte, seine Beine schlotterten, seine Hände können das Kreuz nicht mehr schlagen, er kann nur noch den jammervollen