KALLIOPE. Arthur Gordon Wolf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Arthur Gordon Wolf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958351776
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Ich bin einflussreicher und mächtiger als du! Ein lächerlicher Mummenschanz.

      Bei Frauen sah die Sache schon wieder ganz anders aus. Denn ein elegantes Kleid konnte die Attraktivität seiner Trägerin durchaus steigern. Reuther empfand aber auch hier jedes Zuviel (was Farben und Accessoires betraf) oder Zuwenig (von Dekolleté und Längen) als störend. Wenn er Empfänge auf dem roten Teppich im Fernsehen sah, überkam ihn bei so mancher Möchtegern-Diva das kalte Grauen.

      „Komm mit!“, hatte Schotti immer wieder gesagt. „Bis dir hier so viele schöne Frauen auf dem Scharpenacken begegnen, musst du zweihundert werden. Mindestens!“

      Vielleicht war dies das ausschlaggebende Argument gewesen. Neugier auf die Mode-Trends des kommenden Winters hatte jedenfalls keine Rolle dabei gespielt.

      Ausgestattet mit zwei Presse-Backstage-Pässen fuhren sie also zwei Tage später nach Düsseldorf. Die Modenschau fand zwar nicht auf der KÖ statt, doch die Location – ein altes Kino im klassizistischen Stil – hatte auch ein besonderes Flair gehabt. Während Schotti seine Aufnahmen gemacht hatte, genoss Reuther einfach das gesamte Ambiente. Die großen, meist viel zu dürren Models, die bunten Scheinwerfer, die Musik, den Sekt und die Kanapees. Nach der knapp zweistündigen Präsentation gelangen Schotti sogar noch einige Kurz-Interviews mit den aufstrebenden Mode-Designern.

      Dort war Reuther auch zum ersten Mal Eva Falkenberg begegnet. Das Auffallendste an der schlanken jungen Frau waren ihre beinahe schwarz-roten Haare. (Eva nannte den Ton Chili-Schokolade, wie sie ihm später verriet.) Wenn das Licht in einem bestimmten Winkel auf ihren Kopf fiel, schienen die Haarspitzen förmlich in Flammen zu stehen. Ihre übrige Erscheinung wirkte zwar nicht gerade blass, farblich aber doch deutlich zurückhaltender. Wie nahezu alle Mode-Kreativen kleidete sie sich äußerst schlicht. Eva trug ein langes beigefarbenes Kattunkleid mit einer schmal bestickten Bordüre. Reuther glaubte, afrikanische Symbole darauf erkennen zu können. Ihre nackten Füße steckten in kunstvoll geflochtenen Ledersandalen. Das einzige Schmuckstück war eine dicke Halskette aus dunkelbraun polierten Holzperlen, zwischen denen schmale graue Kokosscheiben steckten. Die wuchtigen Holzperlen ließen ihren ohnehin schon schmalen Hals geradezu filigran wirken.

      Eva Falkenberg war jedoch eine alles andere als zerbrechliche Person. Mit der lockeren Art, wie sie Schotti Rede und Antwort stand, verströmte sie jede Menge Selbstbewusstsein ohne eine Spur von Arroganz. Spätestens, nachdem sie sich zum zweiten Mal unbewusst ihre sommersprossige Nase gekratzt hatte, war ihr Markus Reuther unrettbar verfallen. Er zeigte dies allerdings auf eine höchst ungewöhnliche Art und Weise.

      Die junge Modeschöpferin hatte Schotti soeben einen kleinen Vortrag über transparente Handelsbeziehungen gehalten, als eine kleine Pause eintrat. Reuther, der bislang bei allen Interviews still im Hintergrund geblieben war, schlenderte nun zu seinem Freund und sagte: „Glauben Sie, dass ein ausreichend großer Markt für derart primitive Mode existiert?“

      Eva zuckte sichtbar zusammen. Offenbar nahm sie erst jetzt die Gegenwart eines zweiten Mannes zur Kenntnis.

      „Wie bitte?“ Ihre Frage klang wie das Fauchen einer Katze; einer höchst verärgerten Katze. „Was zum Teufel meinen Sie mit primitiv?“

      Reuther bemerkte zu spät, in was für eine Fettwanne er soeben gestolpert war. Seine Erklärungen blieben daher auch mehr als dürftig.

      „Also … ich meine … nun, die Schlichtheit ihrer Kollektion. Die Farblosigkeit …“

      „Farblosigkeit? Ich verwende Hunderte von Gelb-Braun-Nuancen, außerdem noch verschiedenste Rot-, Blau- und Grüntöne für die Stickereien. Man muss nur genau hinschauen!“

      „Ja, ja“, sagte Reuther. „So meinte ich das auch nicht. Es ist eben alles recht … reduziert. Die Farben. Die Schnitte. Ursprünglich, wenn Sie so wollen. Daher empfinde ich den Stil wohl auch eher als primitiv. Also, ich meine …“

      „Gehören Sie etwa zu den Leuten, die alles, was aus Afrika kommt, automatisch als primitiv betrachten?“, unterbrach sie ihn. „Maßen Sie sich etwa an, nur weil Sie in einem Hochhaus mit Aufzug und Internetanschluss wohnen und ein stinkendes Auto fahren, andere Kulturen als rückständig und minderwertig abzutun? Ist Ihnen überhaupt klar, dass in Afrika die Wiege der Menschheit stand?“

      Reuther wollte gerade antworten, als ihn sein Freund mit einem Ruck hinter sich zog.

      „Entschuldigen Sie bitte meinen Kollegen, Frau Falkenberg. Er ist zuweilen … etwas impulsiv. Er wollte Sie und Ihre Kollektion ganz sicher nicht beleidigen.“

      Die Designerin bedachte Reuther mit einem weiteren vernichtenden Blick, konzentrierte sich dann aber wieder auf das Interview. Dem abgekanzelten Autor blieb nichts weiter übrig, als das Gespräch stumm und zutiefst beschämt zu verfolgen. Nachdem sich Schotti bei Eva Falkenberg für ihre Auskunftsfreudigkeit bedankt hatte, wollte Reuther die Gelegenheit für eine Entschuldigung nutzen.

      Sein Freund hielt ihn jedoch am Arm fest. „Mach es nicht noch schlimmer!“, raunte er ihm ins Ohr.

      Auf der Rückfahrt machte er seinem Unmut so richtig Luft. „Was war DAS denn für eine schräge Nummer? Glauben Sie, dass ein ausreichend großer Markt für derart primitive Mode existiert?“ Er betonte jedes Wort mit einer hohen Jungmädchenstimme. „Du meine Fresse! Ich dachte, gleich springt sie dir an die Kehle.“

      Reuther rutschte nervös auf seinem Sitz herum. „Ich weiß auch nicht, was mich da geritten hat. Tut mir echt leid, Mann. Diese Falkenhain hat mich irgendwie … ich weiß auch nicht …“

      „Falkenberg.“

      „Was?“

      „Die Designerin. Sie heißt Falkenberg. Eva Falkenberg. Wohnhaft in Hilden. Damit dein Anwalt schon mal weiß, wer dich demnächst wegen Rufmordes verklagen wird.“

      „Hast du zufällig die Telefonnummer der Dame?“

      Schotti schüttelte den Kopf, überreichte ihm allerdings eine Visitenkarte.

      So hatte die Geschichte ihren Anfang genommen. Im zweiten Anlauf sozusagen. Reuther hatte Eva am nächsten Tag angerufen. Nach einer etwas peinlichen Vorstellung und einer recht holprigen Entschuldigung, (die sie immerhin zum Lachen gebracht hatte), war ihm überraschenderweise eine Verabredung zum Essen gelungen. Das tête-à-tête verlief für beide Seiten angenehmer als erwartet. Markus Reuther konnte sein schiefes Bild von einem bornierten Trottel gerade rücken, während Eva eine wunderbare Mischung aus intellektuellem Esprit und Selbstironie offenbarte. Keine zwei Wochen später unterhielten die beiden so etwas wie eine Beziehung. Sie lebten zwar weiterhin in getrennten Wohnungen, doch sie besuchten sich gegenseitig mehrmals pro Woche. Auf diese Weise behielt jeder den notwendigen kreativen Freiraum für seine Arbeit.

      Über ein Jahr funktionierte dieses Arrangement nahezu perfekt. Natürlich kam es bei derart künstlerischen und auch eitlen Charakteren gelegentlich einmal zu Auseinandersetzungen, doch keine der Streitereien währte lange. Deshalb war Reuther auch vollkommen unvorbereitet, als Eva ihn eines Tages mit einer unbefristeten Auszeit konfrontierte. Sie hatte nicht etwa einen Neuen, sie forderte lediglich ein paar Wochen, um über sich und ihre Zukunft nachdenken zu können. Ganz allein. Gelegentlich benötige ich halt meinen ganz persönlichen Isolations-Think-Tank, hatte sie ihm erklärt. Reuther hätte nicht behaupten können, Evies Argumente zu verstehen; da sich seine Einwände jedoch als vollkommen nutzlos erwiesen, blieb ihm nichts weiter übrig, als seiner Freundin ihren Willen zu lassen.

      Nachdenklich betrachtete er das digitale Foto und umfuhr die Konturen mit seinem Daumen. Aus den paar Wochen waren längst zehn geworden. Oder waren es schon mehr? Irgendwann hatte er mit dem Zählen aufgehört.

      Und ruf mich bloß nicht an!, hatte sie ihn gewarnt. Ich melde mich schon bei dir, wenn ich wieder Durchblick habe.

      Sein Daumen kreiste noch einige Sekunden unschlüssig über der Nummer. Würde sie sauer reagieren, wenn er sich jetzt bei ihr meldete? Nach beinahe drei Monaten Sendepause konnte er ja wohl kaum als Stalker oder Kontrollfreak betrachtet werden.

      „Scheiß drauf!“

      Es schellte drei Mal, vier