Morde zwischen Rhein und Themse. Rita M. Janaczek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rita M. Janaczek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959591270
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kein Wort herausgebracht. Vielleicht hat sie sich ja inzwischen soweit beruhigt, dass du sie befragen kannst.“

      „Ich werde sehen, ob es was bringt.“

      Beverly ging zur Haustür, beladen mit dem Gefühl, dass die nächsten Tage kein Spaziergang werden würden. Sie streifte die Schutzkleidung ab, folgte dem im Laufe des Abends im nassen Gras entstandenen Trampelpfad zur Straße und stieg in den Van. Dort saß eine zusammengekauerte Gestalt auf dem Rücksitz und hatte das Gesicht in die Hände vergraben. Ein Glas Wasser stand unberührt neben ihr auf einer Ablage. Beverly setzte sich zu ihr. „Ich bin Sergeant Evans. Ich werde Ihnen jetzt einige Fragen stellen. … es muss sein.“

      Helen Fuller hob langsam das Gesicht. Ihre Augen waren gerötet, die Lider verquollen. Sie fuhr sich mit der rechten Handfläche über die Stirn, dann durch die dunkelblonden Locken die dem lose gebundenen Haarknoten entkommen waren. Beverly lächelte ihr aufmunternd zu.

      „Ich kann es nicht“, begann Helen zu schluchzen, „ich kann nicht.“

      Beverly wartete beinahe eine Viertelstunde, bis Helen Fuller sich wieder beruhigt hatte. Dann begann sie behutsam mit der Befragung der Frau, die sich eigentlich nur Bücher hatte ausleihen wollen.

      Mittwoch, 6. März

      Die Nacht war nicht lang gewesen. Trotz ihrer überwältigenden Müdigkeit hatte Beverly kaum Schlaf gefunden. Als sie in ihrer kleinen Wohnung im Norden Croydons aufwachte, war der Fall sofort wieder präsent, und jeder Gedanke drehte sich um die Anhaltspunkte, die sie am Vorabend von Helen Fuller erfahren hatte. Die Zeugin hatte von einem Mann gesprochen, der sich bei Sheila Moreno im Gästezimmer eingenistet hatte. Diese Aussage hatte bei allen zunächst Irritationen ausgelöst, denn der Raum hatte völlig unbewohnt gewirkt. Dann waren sie zu dem Schluss gekommen, wer auch immer sich dort aufgehalten hatte, war mit Morenos Tod verschwunden und hatte sich Mühe gegeben, seine Spuren zu verwischen. Dennoch waren brauchbare Fingerabdrücke gefunden worden, die nicht der Hausherrin selbst gehörten. War der Unbekannte auch der Mörder?

      Beverly verließ ihre Wohnung ohne Frühstück. Es war noch dunkel. Schwerer Nebel lag in der Luft. Sie war früh dran, der Verkehr lief trotz der Sichtverhältnisse noch fließend. Sie nahm die A 23 in Richtung City und erreichte den nördlich der Themse gelegenen Teil Zentral-Londons über die Vauxhall Bridge. Heute wird der Mordfall auf der Titelseite der Times und in den Lokalblättern erscheinen. Hoffentlich finden auch brauchbare Hinweise den Weg in den Yard.

      Die Stimmung in Whitefields Büro war an diesem Morgen mehr als gedrückt, so als stecke jedem plötzlich wieder der Fall Laurie Hardin in den Knochen und jeder verdammte Tag, an dem sie daran gearbeitet, sich daran aufgerieben hatten. Dann gesellte sich Sergeant Hank Miller zu ihnen, er legte die Füße betont locker auf den Schreibtisch. Er ließ sich einen Zigarillo schmecken, blies dabei den Rauch in kunstvollen Kringeln in die stickige Luft und sagte: „Hays wäre beinahe explodiert. Ob er nicht schon genug Arbeit am Hals hätte, auch ohne meinen Mist. Ihr glaubt nicht, wie er gekocht hat.“ Miller grinste über das ganze, gerötete Gesicht, doch niemand schien seine Freude zu teilen. „Wo bleibt Whitefield“, mäkelte er und zupfte an seinem dunklen Schnauzbart, „ich habe heute eigentlich meinen freien Tag. Aber was tut man nicht alles für den Job. Dabei hab ich gerade heute ´ne Verabredung mit ner besonders scharfen Maus. ... Morgen kommt meine Alte von ihrem Beauty-Trip nach Hause. Dann stehen die Chancen wieder schlecht.“

      „Er bespricht noch einige Details mit Dr. Morrow, anschließend kommt er hierher.“ Inspector Harold Sands beantwortete die Frage, ohne auf Millers Geplänkel einzugehen. Er hatte die Hände in den Hosentaschen seines Anzugs vergraben und sah aus dem Fenster.

      Im Gegensatz zu Miller war er kein schwatzhafter Typ. Wenn er sprach, dann über die Arbeit. Niemals hatte auch nur einer der Kollegen ihn über private Probleme reden hören. Sands verzichtete auf zweideutige Seitenhiebe selbst in Situationen, in denen er allen Grund dazu hatte. Beverly schätzte seine respektvolle Art im Umgang mit Kollegen, bei der Befragung von Zeugen und der Vernehmung von Tatverdächtigen. Er konnte unnachgiebig und hart sein, aber er war immer gradlinig und fair. In der ersten Zeit beim Yard war sie ihm zugeteilt gewesen, sie hätte keinen besseren Mentor als Harold Sands haben können. Er hatte weder mit Lob, noch mit konstruktiver Kritik gespart. Er hatte ihr ihre Leistungen immer ehrlich zurückgespiegelt, und so hatte sie gelernt, ihr Potenzial und ihre Grenzen realistisch einzuschätzen.

      „Beverly, frag doch mal nach, wo er bleibt“, drängelte Miller, während er auf die Uhr sah. Er drückte seinen Zigarillo aus und wippte nervös mit einem Fuß.

      „Ich bin nicht dein Lakai.“ Blöder Affe. Beverly verdrehte die Augen. „Wenn dir schon jetzt jede Minute zuviel ist, könnten wir besser auf deine Mitarbeit verzichten.“

      „Mach dich nicht wichtiger, als du bist Evans“, schnaubte Miller, „ es hat dich ja...“

      „Beverly ist wichtig für das Team, genau wie Sie“, unterbrach sie Sands gelassen, mit ruhiger Stimme, während er sich zu ihnen umdrehte, „wir sollten unsere Zusammenarbeit nicht durch überflüssige Auseinandersetzungen belasten.“

      „Der heilige Harold“, Miller zog spöttisch die Augenbrauen hoch und bekreuzigte sich, „immer ein bisschen edler als wir. Herrgott, wo bleibt Whitefield?“

      Dieser Mistkerl von Hank! Jedem muss er seine gehässigen Seitenhiebe mitgeben. Beverly öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch in diesem Moment lächelte Sands ihr beschwichtigend zu. Sie wusste, was er meinte: „Es lohnt sich nicht.“ Er durchschaute sie mit einer Treffsicherheit, die ihr fast unheimlich war. Dennoch genoss sie das Gefühl, dass er ihre innersten Beweggründe zu kennen schien. Manchmal redete sie sich eine Art Seelenverwandtschaft ein, weil auch sie ihn verstand, ohne Fragen stellen zu müssen. Oft überkam sie die Furcht, sich völlig an ihn zu verlieren. Sie wusste um ihre Schwäche, doch sie würde einen solchen Fehler nicht noch einmal begehen. Sands war verheiratet.

      „Ah, Miller, doch schon da.“ Whitefield hatte die Tür in einem Schwung aufgezogen, war dann einen Schritt zurückgewichen, um einer jungen, elegant gekleideten Frau den Vortritt zu lassen. Er räusperte sich. „Das ist Sergeant Patricia Henderson. Bislang uniformierte Polizei Liverpool, ab heute Scotland Yard. Wir sind komplett.“

      Miller öffnete den Mund, und Beverly schwante, was er sagen würde, doch Whitefield kam ihm zuvor.

      „Ja, sie ist ein Frischling. Ihr werdet sie schon einarbeiten. Das ist Inspektor Harold Sands, halten Sie sich an ihn, Henderson.“

      Harold gab ihr die Hand und lächelte sie an. „Freut mich, Sie kennen zu lernen, Miss Henderson. Ich denke, wir werden gut zusammenarbeiten.“

      „Das denke ich auch“, hauchte sie, als hätte sie gerade ihr erstes Rendezvous.

      Beverly beobachtete die Wirkung, die Sands bloßes Vorhandensein auf dieses langbeinige, hellblonde Gift mit den stahlblauen Augen und glänzend roten Lippen ausübte. Kaum zu glauben, wie sie ihn anschmachtet. Aber die schöne Patricia Henderson wird sich an Harold die Zähne ausbeißen, da bin ich mir sicher.

      „Das ist Sergeant Bill Stanton, unser Mann für alle Fälle und Unfälle am Computer.“

      „Ja, ha-hallo“, stotterte er.

      Miller grinste. Auch Beverly war es nicht entgangen, dass Bill seit dem Erscheinen der neuen Kollegin den Mund nicht mehr richtig zubekam. Sie fragte sich, was er jetzt wohl im Stillen kombinierte.

      „Tja Billy, die ist ’ne Nummer zu groß für dich“, dröhnte Miller, „bei der hast du keine Chance.“

      „Sergeant Beverly Evans. Die Frau ist hart im Nehmen“, fuhr Whitefield, unbeeindruckt von Hanks Benehmen, fort. „Sie schießt wie ein Kerl.”

      Beverly hatte nicht gerade die Gabe, mit derlei Äußerungen gut umgehen zu können. Sie lächelte kurz und kämpfte dann gegen die aufsteigende Röte.

      „Sie