Morde zwischen Rhein und Themse. Rita M. Janaczek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rita M. Janaczek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959591270
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Beverly entfernte das Siegel und betrat den Flur. Sie streifte die Handschuhe über und stieg die schmale Treppe hinauf. Sie ging noch einmal in das Gästezimmer, öffnete das Fenster. Von hier oben hatte sie einen guten Blick auf die schmale Straße. Der kleine Fußweg am Rande der Lichtung entlang hätte ihr die nassen Füße vom Vortag ersparen können, sie hatte ihn gestern nicht bemerkt. Die Gehwegplatten aus gebrochenem Marmor hatten durch die feuchte Witterung Grün angesetzt. Sie führten in einem kleinen Bogen auf das Haus zu. Beverly wandte sich wieder dem Innern des Hauses zu. Das kleine Zimmer war mit hellen Möbeln aus Kiefernholz eingerichtet. Sie öffnete den leeren Schrank, schaute in die Frisierkommode, danach unter das Bett. Sie zog die Schubladen aus dem kleinen Wäscheschrank ganz heraus, aber es war nichts dahinter gefallen. Sie stieg auf das Bett, um auf den Schrank zu sehen. Nichts. Sie trat zurück in den Flur. Das Bad neben dem Schlafraum war aufgeräumt und sauber. Ein paar frische Handtücher lagen akkurat gefaltet auf dem Rand der Wanne. Ein angenehmer Geruch schwebte im Raum. Beverly hätte ihr altes Auto darauf verwettet, dass es ein Herrenduft war, der ihre Nase kitzelte. Sie schraubte die Flasche mit der Badelotion auf. Fliederduft stieg ihr in die Nase, stark und blumig. Nein, das war es nicht. Sie durchsuchte die Schränkchen nach Herrenparfüm, wurde aber nicht fündig.

      Sie verließ das kleine Bad und stieg die schmale Treppe hinunter. Wenn es etwas gab, das die Spurensicherung übersehen hatte, dann würde sie es wohl auch nicht finden.

      Im Wohnzimmer hing der Geruch des erloschenen Kamins. Auf einem Schränkchen standen Fotos. Auf zweien war eine Gruppe von Kindern zu sehen, eines zeigte drei Frauen vor einer alten Kirche, und auf einem weiteren Bild saß ein greises Paar auf einer Bank in einem blühenden Garten. Beverly öffnete die Rahmen. Hinter den Bildrücken verbarg sich nichts. Sie ging in den Nebenraum, zog unschlüssig mehrere Bücher aus dem Regal und fand ein Fotoalbum: Sheila Moreno’s Urlaubsfotos: Strand, Landschaft, Wasser, Felsen, an denen sich die Wellen brachen, keine Menschen, kein gutaussehender dunkelblonder Mann. Sie legte das Album beiseite und betrat wieder das Kaminzimmer. Sie berührte die Tasten des Klaviers, ohne ihnen einen Ton zu entlocken. Die Kälte der glatten Oberfläche, die durch das dünne Latex ihrer Handschuhe drang, ließ sie erschauern. Was hatte der Mörder gewollt? Es war das Motiv, das fehlte. Warum hatte er Sheila Moreno auf so bestialische Weise umgebracht? Er hatte nichts entwendet, er hatte nichts im Haus zerstört, er hatte sie nicht vergewaltigt. Was um alles in der Welt hatte er gewollt? Liebte er das Töten oder war sein Geist krank und zwang ihn dazu? Passte Sheila Moreno in sein Bild von Frauen, die er ausmerzen musste, oder folgte er einer irrealen Wahnvorstellung, die sie zu einer Gefahr gemacht hatte? Beverly setzte sich auf den dicken Teppich. Sie ließ den Raum auf sich wirken, die Farben, den Duft, die Stille. Alles war so harmonisch, und doch schwang jetzt das Grauen mit, das nicht hierher passte. Das Klavier, was hatte ein Klavier mit einem zugenähten Mund zu tun? Unwillkürlich fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen. Ihr ganzes Denken war blockiert, ihr Kopf schmerzte. Was um alles in der Welt ... was hatte er bezweckt?

      Beverly fuhr in Richtung Stadtmitte. Blechlawinen drängten sich durch die Straßen. Sie hatte schon wieder vergessen, in der Werkstatt anzurufen. Dieses hustende Geräusch, das der Wagen hin und wieder von sich gab, konnte nicht normal sein. Nein, wirklich nicht. Irgendwann bleibst du mit deiner Schrottkarre liegen. Sie bog in die nächste Straße ein. Sands und Henderson waren vermutlich noch unterwegs. Sie nahmen die M 1 an Northampton vorbei. Wie lange fuhr man nach Birmingham? Sicherlich geschlagene zwei Stunden. Beverly war nie dort gewesen. Ein Fall aus dem Jahr 1965. Miller konnte sagen, was er wollte, aber Sands hatte immer ein untrügliches Gespür für brauchbare Hinweise. Wenn er glaubte, dass es eine Verbindung geben könnte, dann war das fast schon sicher.

      Sie fuhr auf das Parkdeck. Es war schwierig, einen freien Platz zu finden. Sie erhaschte eine Lücke, aus der gerade jemand herausfuhr. Als sie das Kaufhaus betrat, wurde sie von seichter Musik eingelullt. Das Gedränge der Menschen nervte sie. Auf den Rolltreppen standen sie dicht an dicht. Mein Gott, gibt es denn nichts Wichtigeres, als sich mit diesem ganzen Krempel zu bepacken?

      Die Parfümerieabteilung lag im dritten Stock. Die Menschen schoben sich durch die Regalreihen. Beverly steuerte auf die Herrendüfte zu und ergriff die Erstbesten. Sie probierte ein paar auf der Innenseite ihrer Unterarme. Ihre Nase war nach wenigen Proben duftblind. Sie ließ sich ein paar Blättchen mit den Herrenparfüms besprühen, jedes einzeln in Folie verpacken, beschriftete sie mit einem Kürzel und steckte sie sorgsam getrennt in ihre Handtasche. Den seltsamen Blick der Verkäuferin hielt sie dabei problemlos aus. Im Ausgangsbereich kaufte sie sich ein Sandwich. Während sie im Aufzug zum Parkdeck stand, wurde ihr durch die peinlich berührten Blicke bewusst, dass sie wie ein parfümierter Iltis stank.

      „Warst du im Puff?“ waren Millers erste Worte, als Beverly das Büro betrat. Er war zurück und hatte bereits eine Verhaftung vorgenommen. Er hing selbstgefällig hinter ihrem Schreibtisch, die Füße hochgelegt, der Dunst von Whisky schwebte in der Luft. „Dieser Adrian La Vince hat den Polizeifunk abgehört, dafür wette ich. Ich hab ihm mit einer Verhaftung gedroht, falls er es nicht zugibt. Er hat es nicht zugegeben, also hab’ ich die Pfeife verhaftet. ... Ich kenne diesen Typen. Ständig knipst er rum, wo er nichts zu suchen hat, und schreibt dummes Zeug. Und jetzt tut er so, als wenn er von nichts wüsste. Dem würde ich am liebsten seine lose Reporterfresse polieren.“

      „Soll ich es mal versuchen?“

      „Ihm die Fresse zu polieren?“

      „Ihn zu befragen“, seufzte Beverly.

       „Wenn du deine Zeit damit verschwenden willst. Er ist unten. Aber lass dich nicht von diesem kleinen Schleimer einwickeln. Ist ’ne ganz fiese Sorte, sag ich dir.“

      Der Reporter saß im Verhörzimmer und betrachtete anscheinend amüsiert das vergitterte Kellerfenster. Er grinste, als Beverly den Raum betrat.

      „Ich bin Sergeant Beverly Evans.“ Sie setzte sich an den Tisch ihm gegenüber. Er war höchstens fünfundzwanzig Jahre alt. Seine leicht gebräunte Haut und das Profil seines Gesichts verrieten, dass südländisches Blut in seinen Adern floss. Sein schwarzes langes Haar hatte er im Nacken zu einem Zopf gebunden. Mit seinen ausdrucksstarken, flackernden Augen musterte er sie.

      „Ich bin Adrian La Vince, Mitarbeiter bei der London News. Ich würde jetzt gern wieder gehen. Ich hab’ noch zu tun. Sie haben übrigens ganz fantastische Sommersprossen.“

      „Ich möchte gleich zur Sache kommen. Sie sind hier, weil Sie im Verdacht stehen, den Polizeifunk abgehört zu haben. Dadurch behindern Sie unsere Arbeit. Was haben Sie dazu zu sagen?“

      „Bis in die Gemäuer von Scotland Yard hatte ich es bislang noch nicht geschafft. Ich hab’s mir in der Victoria Street allerdings aufregender vorgestellt. War ein bisschen enttäuscht. Aber Sie machen das wieder wett. Ich wusste gar nicht, dass es hier so hinreißende Sergeants gibt. Allerdings“, er zögerte einen Moment, „Sie sollten ein anderes Parfüm benutzen.“ Er lachte. „Ich würde trotzdem gern heute Abend mit Ihnen essen gehen.“

      Keine Chance, Bürschchen.

      „Zur Sache, La Vince. Äußern Sie sich bitte zu den Vorwürfen.“

      „Was wollen Sie denn hören?“ Er lächelte.

      „Die Wahrheit.“

      „Mit der Wahrheit ist das immer so eine Sache. Dann würde ich doch gern vorher meinen Anwalt sprechen. Bitte foltern Sie mich nicht.“ Er machte ein dermaßen eingeschüchtertes Gesicht, dass sie sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte. Sie sah kurz auf ihren Notizblock, um es zu verbergen.

      „Mister La Vince. Wir ermitteln in einem Mordfall. Wir müssen wissen, wer die Presse informiert hat, um ausschließen zu können, dass es der Täter selbst war.“

      „Was würde das ändern?“

      „Das könnte eine ganze Menge ändern. Es könnte den Ermittlungsansatz ändern oder auch das Täterprofil.“

      „Warum geht eine Frau wie Sie zur Polizei?“

      „Das steht hier nicht zur Diskussion.“

      „Sie