In praktischen Angelegenheiten erlangte jetzt Peter eine ihm sonst ganz fremde Sicherheit. Früher hatte ihn jede Geldfrage erregt, eine Bitte, wie sie ihm als sehr reichen Mann oft vorkam, ihn in eine aufgeregte Ratlosigkeit versetzt. »Geben oder nicht geben?« fragte er sich selber. »Ich habe, und er leidet Not! Aber ein anderer ist vielleicht noch mehr in Not. Welcher ist mehr in Not? Und vielleicht sind beide Betrüger?« Früher fand Peter keinen Ausweg daraus und gab allen, solange er etwas zu geben hatte. In derselben Ratlosigkeit befand er sich bei der Frage, die sein Vermögen betraf, wenn der eine sagte, man müsse so handeln und der andere – so.
Jetzt fand er zu seiner Verwunderung, daß es in solchen Fragen keine Zweifel mehr gab. Er war ebenso gleichgültig in Geldsachen wie früher, jetzt aber wußte er unzweifelhaft, was er tun sollte und was nicht. Die erste Anwendung dieser neuen Eigenschaft machte er bei Gelegenheit der Bitte eines gefangenen französischen Obersten, der ihm viel von seinen Taten erzählte und am Ende ihn bat und fast verlangte, Peter solle ihm viertausend Franken geben, um sie seiner Frau und seinen Kindern zu schicken. Peter aber vermochte ohne die geringste Mühe dies zu verweigern, worüber er sich später selbst verwunderte. Zugleich aber hielt er es für nötig, List anzuwenden, um bei seiner Abreise den italienischen Offizier dazu zu bringen, Geld von ihm anzunehmen, das er augenscheinlich sehr nötig hatte. Einen neuen Beweis seines neugewonnenen praktischen Blicks sah Peter in seiner Entscheidung der Frage, wie die Schulden seiner Frau bezahlt werden sollten, und ob seine Häuser in Moskau und seine Villa vor der Stadt wieder aufgebaut werden sollten oder nicht. Sein Oberverwalter besuchte ihn in Orel, und Peter beriet sich mit ihm. Der Brand Moskaus hatte Peter nach der Berechnung des Verwalters ungefähr zwei Millionen gekostet. Zum Trost für diesen Verlust legte der Verwalter Peter eine Berechnung vor, wonach sein Einkommen sich nicht nur vermindern, sondern sogar vergrößern werde, wenn er die Zahlung der von der Gräfin hinterlassenen Schulden, zu der er nicht verpflichtet sei, unterlassen würde, und wenn er den Wiederaufbau der Moskauer Häuser, die jährlich achtzigtausend gekostet und nichts eingebracht hätten, unterlassen würde.
»Ja, ja, das ist wahr«, sagte Peter vergnügt, »das kann alles unterbleiben.« Und so wurde er durch die Zerstörung der Stadt bedeutend reicher. Im Januar aber kam Saweljitsch, der Verwalter aus Moskau, und berichtete über die Lage in Moskau und von dem Kostenanschlag zur Wiedererbauung der Häuser und der Villa in Moskau, die ihm der Architekt angefertigt hatte. Er sprach darüber wie über eine beschlossene Sache. Zu derselben Zeit erhielt Peter auch Briefe vom Fürsten Wassil, seinem Schwiegervater, und anderen Bekannten in Petersburg, in denen von den Schulden seiner Frau die Rede war. Peter kam zu dem Schluß, daß der Plan des Verwalters, der ihm so sehr gefallen hatte, nicht durchführbar sei, und daß er nach Petersburg reisen müsse, um die Angelegenheiten seiner Frau zu ordnen, und daß er auch in Moskau bauen müsse. Warum das alles notwendig sei, wußte er nicht, hegte aber keine Zweifel darüber. Infolge dieses Entschlusses verminderte sich seine Einnahme um drei Viertel, aber er fühlte, daß es notwendig sei.
Willarsky wollte nach Moskau reisen, und sie kamen überein, die Reise zusammen zu machen.
Während der Zeit seiner Wiedergenesung in Orel befand sich Peter in einer freudigen, lebensfrohen Stimmung, aber als er auf der Reise sich in frischer Luft und in voller Freiheit fühlte, hunderte von neuen Gesichtern sah, verstärkte sich dieses Gefühl noch viel mehr. Während der ganzen Reise hatte er die Empfindung eines Schülers in den Ferien.
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Wenn ein Ameisenhaufen zerstört wird, so fliehen die Ameisen mit Eiern und Puppen, andere eilen zum Haufen zurück und stoßen und drängen einander. Ganz ebenso drängten sich die Menschen nach dem Abzug der Franzosen nach der Stelle, welche früher Moskau hieß. Nach einer Woche waren in Moskau schon fünfzehntausend Einwohner, nach zwei Wochen schon fünfundzwanzigtausend und so weiter, und im Frühjahr 1813 war die Einwohnerzahl größer als vor dem Krieg. Die ersten Russen, die Moskau betraten, waren die Kosaken von dem Heeresteil von Wintzingerode, dann kamen Bauern aus der Umgegend und Einwohner, welche aus Moskau in die Nachbarschaft geflohen waren. Als sie das zerstörte, geplünderte Moskau betraten, begannen sie auch zu plündern und setzten fort, was die Franzosen begonnen hatten. Bauernwagen kamen in Moskau an, um alles, was in den Moskauer Häusern und Straßen zurückgelassen und weggeworfen war, auf die Dörfer hinauszuführen. Die Kosaken nahmen mit, was sie konnten, Hausbesitzer sammelten alles, was sie in anderen Häusern fanden, und trugen es in die ihrigen, unter dem Vorwand, daß es ihr Eigentum sei.
Aber auf die ersten Plünderer folgten andere und noch andere, und mit jedem Tage wurde das Plündern schwieriger und unergiebiger. Die Franzosen hatten Moskau zwar leer, aber mit allen Formen eines organisch gegliederten Gemeinwesens zurückgelassen, diese Formen waren leblos, aber sie existierten noch. Es gab Märkte, Läden, Vorratshäuser, Basare, welche meist Waren enthielten, es gab Fabriken, reiche Warenhäuser, voll von Luxusgegenständen, es gab Krankenhäuser, Gefängnisse, öffentliche Gebäude, Kirchen, Kapellen. Je länger die Franzosen geblieben waren, desto mehr verschwanden diese Formen des Stadtlebens und zuletzt war alles zusammengeflossen in ein einziges Feld der Plünderung. Jetzt strömte alles nach Moskau, wie das Blut zum Herzen, Plünderer, Leute aller Art, die durch Neugierde, durch Dienstpflichten oder verschiedene Interessen zusammengeführt wurden, Hausbesitzer, Geistliche, hohe und niedere Beamte, Kaufleute, Gewerbetreibende und Bauern. Nach einer Woche schon wurden die Bauern, die mit leeren Wagen nach Beute gekommen waren, von der Obrigkeit genötigt, die Leichen aus der Stadt fortzuführen, andere Bauern, die vom Mißerfolg ihrer Genossen gehört hatten, kamen mit Getreide, Hafer und Stroh zur Stadt und unterboten einander, Genossenschaften von Bauleuten, die auf gut bezahlte Arbeit rechneten, trafen jeden Tag ein, und bald wurde überall daran gearbeitet, die angebrannten Häuser auszubessern und neue aufzubauen. Kaufleute eröffneten ihren Handel in Bretterbuden, Gastwirtschaften entstanden in halbverbrannten Häusern, die Geistlichen erneuerten den Gottesdienst in vielen Kirchen, opferwillige Leute brachten gestohlene Kirchengeräte zurück, Beamte stellten ihre Schreibtische in kleinen Zimmern auf, die Obrigkeit und Polizei beschäftigte sich mit der Herausgabe der zurückgebliebenen Sachen, Graf Rostoptschin schrieb seine Proklamationen.
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Ende Januar kam Peter in Moskau an und ließ sich in einem unversehrt gebliebenen Flügel seines Hauses nieder. Er fuhr zum Grafen Rostoptschin und einigen Bekannten, die nach Moskau zurückgekehrt waren, und beabsichtigte am dritten Tag nach Petersburg weiterzureisen. Alles triumphierte, und neues Leben blühte auf in der zerstörten Stadt. Alle wünschten Peter zu sehen und seine Erlebnisse zu hören. Peter fühlte sich besonders freundschaftlich gestimmt gegen alle Leute, die er sah, hielt sich aber jetzt unwillkürlich vorsichtig zurück, um sich nicht durch irgend etwas zu binden. Auf alle Fragen, die man ihm stellte, wichtige und unbedeutende, wo er zu leben gedenke, ob er bauen, wann er nach Petersburg reisen werde, antwortete er: »Ja, vielleicht, ich glaube.«
Von Rostows hörte er, daß sie in Kostroma seien, und nur selten kam ihm ein Gedanke an Natalie wie eine Erinnerung aus längst vergangener Zeit. Am dritten Tag nach seiner Ankunft in Moskau hörte er, daß die Fürstin Marie sich in Moskau befinde. Oft hatte er an die Leiden und die letzten Tage des Fürsten Andree gedacht, und als er hörte, daß die Fürstin Marie in ihrem unversehrt gebliebenen Haus in Moskau wohnte, fuhr er noch an demselben Abend zu ihr. Auf dem Wege dachte er ununterbrochen an Fürst Andree. »Ist er wirklich in dieser bitteren Stimmung, in der er sich damals befand, gestorben? Hat sich ihm nicht vor dem Tode noch das Rätsel des Lebens entdeckt?« dachte Peter.
In sehr ernster Stimmung kam er am Hause des alten Fürsten an. Spuren der Zerstörung waren sichtbar, aber im ganzen war es unversehrt geblieben. Der alte Haushofmeister kam ihm mit wichtiger Miene entgegen, um dem Gast bemerkbar zu machen, daß