Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo Tolstoi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Leo Tolstoi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027211456
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er zurückkehrte, »sie haben zwei Franzosen gebracht, der eine ist halbtot, aber der andere ist solch ein munterer Bursche! Singt Liederchen!«

      »Oho, wir wollen auch hingehen.« Einige Soldaten erhoben sich und gingen zur fünften Kompanie hinüber.

      247

       Inhaltsverzeichnis

      Die fünfte Kompanie lag ganz nahe beim Walde. Ein mächtiger Holzstoß brannte hell und beleuchtete die mit Schnee bedeckten Zweige der Bäume. Mitten in der Nacht hatten die Soldaten im Walde Schritte und das Krachen der Zweige gehört.

      »Kinder, ein Bär!« sagte ein Soldat. Alle erhoben die Köpfe und horchten. Bald darauf traten aus dem Walde in den hellen Feuerschein hinaus zwei sonderbar gekleidete menschliche Gestalten.

      Das waren zwei Franzosen, die sich im Walde verborgen hatten. Der eine war hochgewachsen, mit einem Offiziershut, und schien ganz entkräftet zu sein. Als er zum Feuer ging, um sich niederzusetzen, fiel er zur Erde nieder. Der andere, ein kleiner Soldat mit einem Tuch um das Gesicht, war stärker. Er hob seinen Genossen auf, deutete auf seinen Mund und sprach etwas zu den Soldaten. Diese umgaben die Franzosen, legten dem Kranken einen Mantel unter und brachten heiße Grütze und Branntwein. Der Offizier hieß Ramballes, der andere war sein Bursche Morel. Als Morel Schnaps getrunken und einen Kessel mit Grütze ausgegessen hatte, geriet er plötzlich in eine aufgeregte Heiterkeit und sprach unaufhörlich zu den Soldaten, die kein Wort verstanden. Ramballes aß nichts, lag schweigend beim Feuer auf den Ellbogen gestützt und blickte mit hohlen, roten Augen die russischen Soldaten an. Morel zeigte auf die Schultern, um den Russen verständlich zu machen, daß das ein Offizier sei. Ein russischer Offizier, der an das Feuer kam, ließ beim Oberst fragen, ob er nicht einen französischen Offizier aufnehmen wolle, um ihn zu erwärmen, und als die Antwort zurückkam, der Oberst habe befohlen, den Offizier zu bringen, sagten die Soldaten Ramballes, er solle gehen. Er stand auf und wollte gehen, schwankte aber und wäre gefallen, wenn die Nebenstehenden ihn nicht gehalten hätten.

      »Was? Willst du nicht?« fragte spöttisch ein Soldat.

      »Dummkopf, wie sprichst du da, du Bauer!« riefen verschiedene Stimmen dem Soldaten zu. Sie hoben Ramballes auf, faßten ihn unter den Armen und brachten ihn zur Hütte.

      »O, Kinder!« sagte Ramballes. »Meine guten Freunde! Das sind Menschen!« und legte wie ein Kind seinen Kopf auf die Schulter des einen Soldaten.

      Inzwischen saß Morel auf dem besten Platze, von Soldaten umgeben. Der kleine, stämmige Franzose trug einen Weibermantel und hatte über die Mütze ein Tuch gebunden. Er war sichtlich betrunken, umarmte den Soldaten, der neben ihm saß, und sang mit heiserer Stimme ein französisches Liedchen. Die Soldaten blickten ihn lachend an. »Nun, nun, du da, belehre mich! Ich begreife schnell! Wie heißt es?« sagte der Spaßvogel, den Morel umarmte.

      »Vive Henri quatre,

       Vive ce roi vaillant!

       Ce diable à quatre«,

      sang Morel, mit den Augen blinzelnd.

      »Wiwarika,

       Wiwseruwaru

       Sidjablaka!«

      wiederholte der Soldat, indem er wirklich die Melodie traf.

      »Hohoho! Prachtvoll!« riefen die groben Stimmen. Auch Morel lachte.

      »Nun weiter! Noch mehr, noch mehr!«

      »Qui eut le triple talent

       De boire, de battre

       Et d’ être un vert galant.«

      »Nun, das klingt auch ganz gut. Nun, nun, Saletajew!«

      »Küji«, begann Saletajew mit Mühe.

      »Kijü letriptala

       De bu de ba

       I detrawagala.«

      »Siehst du, so ein Franzos, prachtvoll! Oihohoho! Willst du noch essen?«

      »Gib ihm Grütze! So ein Verhungerter wird nicht gleich wieder satt.«

      Wieder gaben sie ihm Grütze, und Morel aß lachend auch den dritten Kessel aus.

      »O Himmel! O Himmel! Wie sternenklar!« bemerkte ein alter Soldat. »Es wird eine schreckliche Kälte geben!« …

      Bald wurde es still.

      248

       Inhaltsverzeichnis

      Je weiter die Franzosen flohen, je kläglicher ihre Überreste wurden, besonders nach der Schlacht an der Beresina, auf die man in Petersburg so große Hoffnungen gesetzt hatte, um so heftiger wurden auch die gegenseitigen Beschuldigungen der russischen Heerführer, und ihre Geringschätzung sprach sich immer stärker gegen Kutusow aus, wenn auch in so höflicher Form, daß Kutusow nicht darauf antworten konnte. Alles, was er sagte, zum Beispiel, man müsse auf Proviant warten, die Leute haben keine Stiefel, war so einfach, und alles, was andere vorschlugen, war so kompliziert und klug, daß sie überzeugt waren, er sei alt und einfältig, sie aber geniale Heerführer. Besonders nach der Vereinigung mit der Armee des glänzenden Admirals Wittgenstein, des Helden Petersburgs, stieg diese Meinung und dieses Geschwätz in den Generalstäben bis zur äußersten Grenze. Der Großfürst Konstantin kam bei der Armee an und teilte Kutusow mit, daß der Kaiser über die schwachen Erfolge unserer Truppen und ihre langsamen Bewegungen unzufrieden sei und in nächster Zeit selbst bei der Armee eintreffen werde. Kutusow, der im Hofleben so erfahren und gegen den Willen des Kaisers zum Oberkommandierenden ernannt worden war, der den Thronfolger von der Armee entfernt und gegen den Willen des Kaisers Moskau aufgegeben hatte, begriff wohl, daß seine Rolle ausgespielt war.

      Am 29. November kam Kutusow in Wilna an, wo er alte Freunde und Erinnerungen traf. Er fühlte sich der Ruhe bedürftig, wandte sich von den kriegerischen und politischen Dingen ab, als ob alles, was jetzt in der historischen Welt vorging, ihn nichts mehr angehe.

      Gegen den Willen des Kaisers hielt Kutusow in Wilna den größten Teil der Truppen zurück. Nur ungern beschäftigte er sich mit der Armee; wie seine Umgebung sagte, war er sehr ermüdet und hinfällig, überließ alles seinen Generalen und gab sich in Erwartung des Kaisers Zerstreuungen hin. Am 7. Dezember verließ der Kaiser Petersburg in Begleitung des Grafen Tolstoi, des Fürsten Wolkonsky, Araktschejews und einer großen Suite, und kam am 11. Dezember in Wilna an. Trotz der strengen Kälte standen vor dem Schloß etwa hundert Offiziere des Generalstabes in voller Uniform, sowie eine Ehrenwache vom Semenowschen Regiment. Ein Kurier, der dem Kaiser vorausgefahren war, schrie: »Er kommt!« Konownizin eilte zu Kutusow, um ihm dies zu melden. Sogleich erschien die dicke Gestalt des Alten in voller Uniform mit allen Orden schwankend auf der Vortreppe des Schlosses und stieg seitwärts mühsam die Stufen herab. Alle Augen richteten sich auf den Schlitten, der in vollem Lauf sich näherte und in welchem schon der Kaiser und Wolkonsky sichtbar wurden.

      Der General war in heftiger Erregung, befühlte sich hastig und rückte den Hut zurecht. Als der Kaiser aus dem Schlitten stieg, faßte er sich, überreichte den Rapport und begrüßte ihn mit seiner gewöhnlichen Stimme.

      Der Kaiser betrachtete Kutusow mit einem raschen Blick vom Kopf bis zu den Füßen. Sein Gesicht verfinsterte sich einen Augenblick, sogleich aber trat er mit ausgebreiteten Armen auf den alten General zu und umarmte ihn. Darauf begrüßte der Kaiser die Offiziere und die Ehrenwache, reichte nochmals dem Alten die Hand und ging mit ihm ins Schloß. Als der Kaiser mit dem alten Feldmarschall allein war, sprach er seine Unzufriedenheit über die langsame Verfolgung und über die Mißgriffe bei Krasnoje und an der Beresina aus und äußerte seine Ansicht über den künftigen Feldzug jenseits der Grenze. Kutusow erwiderte nichts, und seine Miene zeigte denselben gehorsamen, gedankenlosen Ausdruck wie vor sieben Jahren, als er bei Austerlitz den Befehl des Kaisers empfing. Am anderen Tage fand beim