Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo Tolstoi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Leo Tolstoi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027211456
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Ehren, aber alle wußten, daß der Kaiser mit dem Feldmarschall unzufrieden war. Als Kutusow auf dem Ball nach alter Gewohnheit aus der Zeit Katharinas beim Eintritt des Kaisers in den großen Saal ihm die eroberten Fahnen zu Füßen legen ließ, verfinsterte sich die Miene des Kaisers, und einige hörten seine Bemerkung: »Alter Komödiant!«

      Die Unzufriedenheit des Kaisers mit Kutusow stieg in Wilna besonders deshalb, weil Kutusow die Bedeutung des bevorstehenden Feldzugs nicht begreifen konnte oder wollte. Als der Kaiser am folgenden Morgen den um ihn versammelten Offizieren sagte: »Sie haben nicht nur Rußland, sondern auch Europa gerettet«, begriffen alle, daß der Krieg noch nicht zu Ende sei. Nur Kutusow wollte das nicht begreifen und sprach offen seine Meinung aus, der neue Krieg könne Rußland keinen Vorteil bringen und seinen Ruhm nicht erhöhen. Er versuchte, dem Kaiser die Unmöglichkeit zu beweisen, neue Truppen auszuheben, und sprach von dem schweren Druck, der auf dem Volk laste, von der Möglichkeit eines Mißerfolgs und so weiter. Um den Alten zu schonen, übernahm der Kaiser selbst den Oberbefehl. Einige Veränderungen fanden im Generalstab statt.

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       Inhaltsverzeichnis

      Peter empfand das volle Gewicht der physischen Entbehrungen, die er in der Gefangenschaft erduldet hatte, erst dann, als sie ihr Ende erreicht hatten. Nach seiner Befreiung fuhr er nach Orel, wo er am dritten Tage nach seiner Ankunft erkrankte und drei Monate lang krank lag. Obgleich ihn die Ärzte behandelten, ihm Blut abzapften und Medizin zu schlucken gaben, genas er dennoch. Alles, was er seit seiner Befreiung erlebt hatte, hinterließ fast keinen Eindruck. Er erinnerte sich nur des trüben Regenwetters und Schneetreibens, der innerlichen physischen Schmerzen, des Krankheitsgefühls, an die Schmerzen in den Füßen und in der Seite. Er erinnerte sich des allgemeinen Unglücks und der Lage des Volkes, der Neugierde der Offiziere und Generale, die ihn befragten, und seiner Sorge, eine Equipage und Pferde zu erhalten, am deutlichsten aber erinnerte er sich seiner Unfähigkeit, zu denken und zu fühlen. Am Tage seiner Befreiung hatte er die Leiche von Petja Rostow gesehen und an demselben Tage auch erfahren, daß der Fürst Andree noch länger als einen Monat nach der Schlacht bei Borodino gelebt hatte und erst vor kurzem in Jaroslaw bei Rostows gestorben war. Denselben Tag erfuhr er auch von Denissow den Tod seiner Frau, den dieser im Gespräch erwähnte, in der Meinung, daß er Peter schon lange bekannt sei. Alles das erschien Peter damals nur seltsam, er fühlte, daß er die Bedeutung aller dieser Nachrichten nicht begreifen könne, er bemühte sich nur, sobald als möglich von diesem Ort fortzukommen, wo die Menschen einander morden, um in einem stillen Zufluchtsort Ruhe und Sammlung zu finden. Sobald er aber Orel erreicht hatte, war er erkrankt. Als er aus seiner Bewußtlosigkeit erwachte, erblickte Peter seine zwei Diener Terenti und Wassja, die aus Moskau gekommen waren, und die ältere Fürstin, die bei Jeletz auf einem Gut Peters lebte und gekommen war, um ihn zu pflegen, als sie von seiner Befreiung und Erkrankung gehört hatte. Während der Genesung vermochte Peter nur nach und nach von den Eindrücken der letzten Monate sich freizumachen und sich daran zu gewöhnen, daß niemand ihn morgen weitertreiben, daß dieses warme Bett ihm niemand wegnehmen, und daß er wirklich ein Mittagessen, Tee und Abendessen haben werde, aber im Traum sah er sich noch als Gefangener. Ebenso begriff Peter auch nur nach und nach die Neuigkeit, die er nach seiner Befreiung vernahm, von dem Tod des Fürsten Andree, vom Tod seiner Frau und von der Vernichtung der Franzosen. Ein freudiges Gefühl der Freiheit erfüllte die Seele Peters; niemand verlangte jetzt etwas von ihm, er wurde nicht weitergetrieben, alles, was er wollte, hatte er, der frühere quälende Gedanke an seine Frau hatte ihn verlassen, da sie nicht mehr war.

      »Ach, wie schön!« sagte er zu sich selbst, wenn man ihm den reinen, gedeckten Tisch mit duftender Bouillon ans Bett schob, oder wenn er sich zur Nacht in das weiche, reine Bett legte, oder wenn er daran dachte, daß seine Frau und die Franzosen nicht mehr seien. »Ach, wie schön! Wie wonnig!« Und nach alter Gewohnheit stellte er sich selbst die Fragen: »Was dann? Was werde ich machen?« Doch sogleich antwortete er sich selbst darauf: »Nichts, ich werde leben! Ach, wie wonnig!« Das, was ihn früher quälte und was er beständig suchte, der Zweck des Lebens, existierte jetzt nicht mehr für ihn, weil er jetzt Glauben hatte, nicht den Glauben an gewisse Regeln oder Worte oder Gedanken, sondern den Glauben an einen lebendigen Gott. Früher hatte er das Große, Unerreichbare und Unendliche in nichts zu finden vermocht, er hatte nur gefühlt, daß es irgendwo sein müsse, er hatte es gesucht in allem, was ihn umgab, und nur Begrenztes, Kleinliches, Sinnloses gefunden. Jetzt aber hatte er gelernt, das Große, Ewige und Unendliche in allem zu sehen, und das machte in ruhig und glücklich. Die schreckliche Frage »warum?«, die früher alle seine geistigen Bauwerke zerstörte, existierte nicht mehr für ihn, jetzt hatte er die einfache Antwort auf diese Frage: »Deshalb, weil es einen Gott gibt, ohne dessen Willen kein Haar vom Haupte des Menschen fällt.«

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       Inhaltsverzeichnis

      Im seinem äußeren Wesen hatte sich Peter wenig verändert, er war auch noch ebenso zerstreut und schien noch immer nicht mit dem, was vor seinen Augen lag, beschäftigt zu sein, sondern mit etwas Innerlichem. Der Unterschied zwischen seinem früheren und jetzigen Zustand aber bestand darin, daß er früher viel sprach und bisweilen mit Heftigkeit, aber wenig hörte, jetzt aber wenig gesprächig war und so zuzuhören verstand, daß die Menschen ihm gern ihre innersten Geheimnisse mitteilten.

      Die Fürstin, die Peter nie geliebt hatte und sogar ein feindliches Gefühl gegen ihn hegte, seit sie nach dem Tod des alten Grafen sich abhängig fühlte, war nach Orel gegangen, um Peter zu beweisen, daß sie ungeachtet seiner Undankbarkeit es für ihre Pflicht halte, nach ihm zu sehen, und fühlte bald mit Verdruß und Verwunderung, daß sie ihn liebe. Peter hatte die Gunst der Fürstin durchaus nicht gesucht und sah sie nur mit neugieriger Verwunderung an. Der listigste Mensch hätte sich nicht schlauer in das Zutrauen der Fürstin einschleichen können, aber die ganze Schlauheit Peters bestand nur darin, daß er sein Vergnügen suchte, indem er in der verbitterten, trockenen und auf ihre Art stolzen Fürstin menschliche Gefühle hervorrief.

      »Ja, er ist ein sehr, sehr guter Mensch«, sagte die Fürstin zu sich selbst, »wenn er sich unter dem Einfluß guter Menschen befindet, solcher Menschen wie ich!«

      Die Veränderung, die in Peter vorgegangen war, wurde auch seiner Umgebung, seinen Dienern und dem Arzt bemerkbar, der Peter behandelte. Dieser besuchte ihn jeden Tag, und obgleich er nach Art der Ärzte sich das Ansehen eines vielbeschäftigten Menschen gab, dessen Minuten kostbar sind für die leidende Menschheit, blieb er oft stundenlang bei Peter sitzen und erzählte ihm Anekdoten oder teilte ihm seine Beobachtungen über das Wesen der Kranken im allgemeinen und der Damen im besonderen mit.

      In Orel lebten einige gefangene Offiziere, und der Doktor brachte einen von ihnen, einen jungen italienischen Offizier, zu Peter. Der Italiener schien nur dann glücklich zu sein, wenn er zu Peter kommen konnte, um von seiner Vergangenheit, von seinem häuslichen Leben, von seiner Liebe zu erzählen, sowie von seinem Abscheu gegen die Franzosen und besonders gegen Napoleon. Auch ein alter Bekannter, der Freimaurer Graf Willarsky, kam zu ihm, derselbe, der ihn 1807 in die Loge eingeführt hatte. Willarsky hatte eine reiche Russin geheiratet, die große Güter bei Orlow besaß. Als Willarsky erfuhr, daß Besuchow in Orel sei, kam er zu ihm. Willarsky langweilte sich in Orel und war glücklich, einen Menschen zu finden, der demselben Kreise angehörte und, wie er glaubte, dieselben Interessen hatte. Aber zu seiner Verwunderung kam er bald zu der Ansicht, daß Peter sehr zurückgeblieben und in Apathie und Egoismus versunken sei.

      Aber dennoch war Willarsky jeden Tag bei Peter. Während Peter ihn sah und anhörte, erschien ihm der Gedanke seltsam und unwahrscheinlich, daß er selbst noch vor kurzem ein ebensolcher Mensch gewesen sei wie dieser.

      In seinen Beziehungen zu Willarsky, zur Fürstin, zu dem Arzt und zu allen Menschen mit denen er jetzt in Berührung kam, war jetzt ein neuer Zug an Peter bemerklich, der ihm die Zuneigung aller gewann. Das war das Zugeständnis der Möglichkeit für jeden Menschen, auf seine Weise zu denken, zu fühlen und die Dinge anzusehen,