Der Krieg begann. Das Regiment wurde nach Polen vorgeschoben, die Offiziere erhielten doppelte Gagen, es kamen neue Offiziere, neue Mannschaften und Pferde, und vor allem verbreitete sich jene freudig erregte Stimmung, welche den Anfang eines Feldzugs begleitet, und Rostow gab sich ganz den Vergnügungen und den Interessen des Dienstes hin, obgleich er wußte, daß er sie früher oder später werde aufgeben müssen.
Die Truppen zogen sich von Wilna zurück zufolge verschiedener komplizierter politischer und taktischer Gründe. Anfangs lebten sie vergnügt bei Wilna und machten Bekanntschaften mit den polnischen Gutsbesitzern, dann kam der Befehl, sich nach Swenziany zurückzuziehen und Proviant zu vernichten, welcher nicht fortgebracht werden konnte. Swenziany blieb den Husaren nur deshalb denkwürdig, weil es »ein besoffenes Lager« war, wie die ganze Armee das Lager bei Swenziany nannte, und deshalb, weil in Swenziany viele Klagen über die Truppen erhoben wurden, welche den Befehl, den Proviant wegzuschaffen, dazu benutzten, auch Pferde, Equipagen, Teppiche unter den Proviant zu rechnen und den polnischen Herren abzunehmen. Rostow konnte mit den ganz betrunkenen Leuten seiner Schwadron kaum zurechtkommen, die ohne sein Wissen fünf Fäßchen alten Wein mitgenommen hatten. Von Swenziany ging der Rückzug nach Drissa, und von Drissa noch immer weiter. Am 13. Juli hatten die Husaren zum erstenmal ein ernsthaftes Gefecht. Am Tage vorher hatte ein heftiger Sturm mit Regen und Hagel getobt; das Jahr 1812 war überhaupt merkwürdig stürmisch.
Zwei Schwadronen der Husaren lagen im Biwak, inmitten eines von Pferden und Vieh gänzlich zertretenen Roggenfeldes. Der Regen floß in Strömen. Rostow saß mit einem jungen Offizier, Ilin, in einer flüchtig aufgebauten Erdhütte. Ein Offizier des Regiments mit langem Schnurrbart war im Stabe gewesen und kam, vom Regen überfallen, zu Rostow. »Ich komme vom Stabe, haben Sie von Rajewskys Tat gehört?« Und der Offizier erzählte die Einzelheiten des Gefechts von Saltanow, die er beim Stabe gehört hatte.
Rostow rauchte seine Pfeife und hörte achtlos zu. Ilin war ein junger Mensch von sechzehn Jahren, der kürzlich ins Regiment eingetreten war und jetzt zu Nikolai in demselben Verhältnis stand, wie Nikolai vor sieben Jahren zu Denissow. Ilin bemühte sich, Rostow in allem nachzuahmen und war wie eine Dame verliebt in ihn. Der Offizier mit dem Schnurrbart, Sdrschinsky, erzählte enthusiastisch, der Damm von Saltanow sei die »Thermopylen Rußlands« und auf diesem Damm habe General Rajewsky eine Heldentat, würdig des Altertums, vollbracht. Er habe unter jenem schrecklichen Feuer seine zwei Söhne auf den Damm geführt und sei mit ihnen zugleich zum Angriff vorgegangen. Rostow hörte zu, stimmte aber nicht in den Enthusiasmus Sdrschinskys ein, sondern sah eher wie ein Mensch aus, der sich dessen schämt, was man ihm erzählt. Rostow wußte aus eigener Erfahrung, daß bei Erzählungen kriegerischer Vorgänge immer gelogen wird, wie er selbst auch gelogen hatte, und daß alles andere vorgeht, als man darstellen und erzählen kann. Darum mißfiel ihm die Erzählung und der Erzähler selbst, und Rostow blickte ihn schweigend an.
»Erstens«, dachte er, »herrschte auf dem Damm wahrscheinlich eine solche Verwirrung und Gedränge, daß, wenn Rajewsky auch seine Söhne dahinführte, das höchstens auf die vordersten zehn Mann in seiner Nähe eine Wirkung haben konnte, die übrigen konnten nicht sehen, wie und mit wem Rajewsky auf den Damm ging. Aber auch diejenigen, die es sahen, konnten davon wenig begeistert sein, denn was gingen sie die zärtlichen, väterlichen Gefühle Rajewskys an, während ihre eigene Haut auf dem Spiele stand? Übrigens hing von dem Damm bei Saltanow nicht das Schicksal des Vaterlandes ab, wie damals von der Verteidigung des Engpasses von Thermopylä, und wozu solcher Eifer? Ich würde nicht nur meinen kleinen Bruder Peter nicht hingeführt haben, sondern nicht einmal Ilin, der mir doch fremd ist, wenn auch ein guter Junge. Ich hätte gesucht, ihn irgendwo in eine gedeckte Stellung zu bringen.« So dachte Rostow, während er Sdrschinsky zuhörte, sprach aber seine Gedanken nicht aus. Er wußte, daß diese Geschichte zur Verherrlichung unserer Waffen diente, und deshalb mußte man sich anstellen, als ob man nicht daran zweifelte.
»Es ist nicht auszuhalten«, sagte Ilin, »Hemd und Strümpfe sind ganz durchnäßt. Ich werde ein besseres Unterkommen suchen, es scheint, der Regen läßt nach.« Ilin ging und bald darauf auch Sdrschinsky.
Nach fünf Minuten kam Ilin zurück. »Hurra, Rostow! Schnell fort! Ich habe etwas gefunden. Zweihundert Schritte von hier ist ein Krug, wo die Unsrigen schon beisammen sind. Dort können wir uns wenigstens trocknen. Und Maria Henrichowna ist auch da.«
Das war die Frau des Regimentsarztes, eine junge, hübsche Deutsche, die der Doktor in Polen geheiratet hatte und jetzt überallhin beim Regiment mit sich nahm – vielleicht weil er wenig Mittel hatte, oder weil er in der ersten Zeit nach der Hochzeit sich nicht von der jungen Frau trennen wollte. Den Husarenoffizieren machte es viel Spaß, die Eifersucht des Doktors zu reizen.
Rostow warf den Mantel um, rief seinem Lawruschka zu, die Sachen einzupacken, und watete mit Ilin mühsam durch den zähen Schlamm. Die Finsternis wurde zuweilen durch fernes Wetterleuchten erhellt.
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In dem Krug, vor dem die Kibitka (Feldwagen) des Doktors stand, befanden sich schon etwa fünf Offiziere. Die junge Frau saß in einer Jacke und Schlafhaube in einer Ecke auf einer breiten Bank, neben ihr schlief ihr Mann. Rostow und Ilin wurden mit lustigen Zurufen empfangen.
»O, hier ist’s sehr gemütlich«, sagte lachend Rostow.
»Wie Sie aussehen! Wie aus dem Wasser gezogen! Befeuchten Sie nicht unseren Salon!«
»Nehmen Sie sich in acht, daß Sie das Kleid von Maria Henrichowna nicht naß machen!«
Rostow und sein Begleiter suchten eine Ecke, wo sie, ohne den Anstand zu verletzen, ihre nassen Kleider wechseln konnten. Sie gingen in einen Nebenraum, aber in dem kleinen Verschlag saßen drei Offiziere beim Kartenspiel auf einer leeren Kiste. Sie nahmen den ganzen Raum ein und wollten ihren Platz nicht aufgeben. Die junge Frau gab ihre Jacke her, um’ sie als Vorhang zu verwenden, und hinter dem Vorhängchen zogen sie mit Hilfe Lawruschkas trockene Kleider an. Ein Brett wurde gebracht und über zwei Sättel gelegt, dann wurde ein kleiner Samowar aufgestellt und eine halbe Flasche Rum. Maria Henrichowna wurde gebeten, Wirtin zu sein, und alle drängten sich um sie. Der eine reichte ihr ein reines Taschentuch, um ihre entzückenden Händchen abzuwischen, ein anderer legte ihr eine alte Jacke um die Füße gegen die Feuchtigkeit, der dritte verhängte das Fenster mit einem Mantel, damit es nicht ziehe, und noch ein anderer jagte eine Fliege vom Gesicht ihres Mannes weg, damit er nicht erwache.
»Lassen Sie ihn«, sagte die junge Frau mit schüchternem und glücklichem Lächeln.
»Man muß sich beim Doktor einschmeicheln«, erwiderte der Offizier, »dann wird er mich vielleicht bedauern, wenn er mir ein Bein oder einen Arm abschneidet.«
Es waren nur drei Gläser da, und das Wasser war so schmutzig, daß man nicht unterscheiden konnte, ob der Tee stark war oder nicht. Der Samowar faßte nur für sechs Gläser Wasser, aber um so angenehmer war es, reihum dem Range nach aus den dicken Patschhändchen der jungen Frau mit kurzen, nicht ganz reinen Nägeln sein Glas zu erhalten. Alle Offiziere schienen an diesem Abend in sie verliebt zu sein, selbst die Kartenspieler warfen bald die Karten weg, kamen zum Samowar und schlossen sich dem allgemeinen Bestreben an, der kleinen Frau Doktorin den Hof zu machen, was sie strahlend vor Vergnügen aufnahm.
Nur ein Löffel war da, an Zucker fehlte es nicht, und deshalb wurde beschlossen, daß sie der Reihe nach den Zucker für jeden umrühren solle. Rostow hatte sein Glas erhalten, goß Rum hinein und bat die junge Frau, umzurühren.
»Trinken Sie ohne Zucker?« fragte sie lachend, als ob alles, was sie sagte oder die anderen sagten, sehr lächerlich wäre und noch eine andere Bedeutung habe.
»Es