Der Ball war glänzend. Selten hatten sich so viele Schönheiten auf einer Stelle versammelt. Auch Boris Drubezkoi, welcher seine Frau in Moskau zurückgelassen hatte, war zugegen, und obgleich er kein Generaladjutant war, hatte er sich doch mit einer bedeutenden Summe für die Kosten des Festes unterschrieben. Boris war jetzt reich, suchte nicht mehr nach Gönnerschaften, sondern stand auf gleichem Fuß mit hohen Würdenträgern. Um zwölf Uhr nachts wurde noch getanzt. Helene, die keinen würdigen Tänzer hatte, forderte selbst Boris zur Masurka auf. Gleichmütig blickte er über die glänzenden Schultern Helenes weg, welche aus einem dunklen Gazekleid mit Goldstickerei hervorsahen, erzählte von alten Bekannten und beobachtete dabei beständig den Kaiser, der nicht tanzte und bald an den einen, bald an den anderen freundliche Worte richtete, wie nur er sie auszusprechen verstand.
Beim Anfang der Masurka bemerkte Boris, daß der Generaladjutant Balaschew sich dem Kaiser näherte und stehenblieb, während der Kaiser mit einer polnischen Dame sprach. Der Kaiser blickte ihn fragend an und begriff, daß Balaschew eine wichtige Meldung zu machen habe. Er nickte der Dame zu und wandte sich an den General. Nach den ersten Worten desselben drückte sich auf dem Gesicht des Kaisers Verwunderung aus. Er nahm Balaschew unter den Arm und ging mit ihm durch den Saal, wo sich sogleich eine weite Gasse vor ihm öffnete. Boris bemerkte das aufgeregte Gesicht Araktschejews, des Kriegsministers, welcher Balaschew neidisch nachsah und dem Kaiser folgte.
Aber der Kaiser bemerkte ihn nicht und ging mit Balaschew in den hell erleuchteten Wintergarten.
Während Boris tanzte, quälte ihn beständig die Neugierde, was Balaschew Neues zu melden hatte, und wie er das früher als andere erfahren könnte. Als er eine Dame zu wählen hatte, flüsterte er Helene zu, er wolle die Gräfin Potocki auffordern, welche auf den Balkon hinausgegangen sei. Er glitt über das Parkett bis zur Eingangstür des Saales, und als er den Kaiser auf der Terrasse erblickte, hielt er an. Der Kaiser hatte sich mit Balaschew der Tür wieder zugewandt. Boris drückte sich diensteifrig, als ob er nicht mehr Zeit habe, zurückzutreten, an die Wand und senkte den Kopf.
Mit der Aufregung eines persönlich beleidigten Mannes sprach der Kaiser folgende Worte: »Ohne Kriegserklärung in Rußland einzufallen! Ich werde nur dann Frieden schließen, wenn nicht ein bewaffneter Feind mehr auf meinem Boden steht«, sagte er. Der Kaiser schien über die Ausdrucksform seines Gedankens sehr befriedigt zu sein, aber unzufrieden darüber, daß Boris seine Worte gehört hatte.
»Es soll niemand davon erfahren«, fügte der Kaiser mit finsterer Miene hinzu. Boris begriff, daß das ihm galt, schloß die Augen und senkte den Kopf. Der Kaiser trat wieder in den Saal und blieb noch eine halbe Stunde auf dem Ball.
So hatte Boris zuerst die Nachricht vom Übergang der Franzosen über den Niemen erfahren und benutzte dies auf geschickte Weise, um einigen hochgestellten Persönlichkeiten bemerklich zu machen, daß er vieles wisse, was anderen verborgen sei und dadurch in der Meinung dieser Personen zu steigen.
Diese Nachricht kam besonders unerwartet nach einer monatelangen Erwartung, und auf einem Ball in der ersten Aufregung hatte der Kaiser diesen später berühmt gewordenen Ausspruch gefunden, der ihm selbst so gefiel. Als der Kaiser von dem Ball zurückgekehrt war, sandte er um zwei Uhr nachts nach seinem Sekretär Schischkow und befahl, eine Proklamation an die Truppen zu schreiben, in der durchaus seine Worte wiederholt werden sollten, daß er nicht Frieden schließen werde, bis kein bewaffneter Franzose mehr auf russischem Boden stehe. Am folgenden Morgen schrieb er einen Brief an Napoleon, worin er seine Bereitwilligkeit zum Frieden aussprach.
135
Am 13. Juni um zwei Uhr nachts ließ der Kaiser Balaschew zu sich rufen, las ihm seinen Brief an Napoleon vor und trug ihm auf, den Brief dem französischen Kaiser persönlich zu übergeben. Der Kaiser hatte jene Worte in dem Brief an Napoleon nicht angewendet, weil er sie hier nicht für angebracht hielt, wo er einen letzten Versuch zur Versöhnung machen wollte, aber er schärfte Balaschew ein, sie mündlich Napoleon zu wiederholen.
Begleitet von einem Trompeter und zwei Kosaken ritt Balaschew gegen Morgen nach dem Dorfe Rykonty zu dem französischen Vorposten und wurde von einem französischen Kavallerieposten angehalten. Der französische Husarenunteroffizier in dunkelblauer Uniform und Pelzmütze rief Balaschew zu, zu halten, und als dieser im Schritt weiterritt, rief der Unteroffizier zornig den russischen General an, ob er taub sei. Balaschew nannte seinen Namen, worauf der Unteroffizier einen Soldaten zum Offizier schickte. Eben ging die Sonne auf und die Luft war frisch und tauig. Auf dem Wege vom Dorf wurde eine Herde fortgetrieben. Während Balaschew sich nach dem Offizier umsah, blickten die Kosaken und die Franzosen einander neugierig an. Ein französischer Husarenoberst, der eben erst das Bett verlassen zu haben schien, kam auf einem schönen, wohlgenährten Pferd, begleitet von zwei Husaren, vom Dorf her. Es war die erste Zeit des Feldzuges, wo die Truppen noch in bester Verfassung und in jener heiteren, unternehmungslustigen Stimmung sich befinden, welche immer den Anfang eines Feldzuges begleitet. Der französische Oberst unterdrückte mit Mühe ein Gähnen, war aber höflich und begriff die Bedeutung Balaschews. Er führte ihn an den Soldaten vorüber hinter die Kette und äußerte, sein Wunsch, dem Kaiser vorgestellt zu werden, werde wahrscheinlich sogleich erfüllt werden, da sich das Hauptquartier, soviel er wisse, in der Nähe befinde. Als sie durch das Dorf und an einem Krug vorbeigeritten waren, kam ihnen eine Gruppe Reiter entgegen. An der Spitze derselben erblickten sie einen hochgewachsenen Reiter mit einem Federhut, mit schwarzen, auf die Schultern herabhängenden Haaren und einem roten Mantel. Dieser Reiter kam Balaschew im Galopp entgegen, während seine Edelsteine an Armbändern und Goldstickereien in der Sonne glänzten.
»Der König von Neapel!« flüsterte der französische Oberst.
Es war wirklich Murat, welcher jetzt König von Neapel genannt wurde, obgleich dies ganz unbegreiflich war. Er war so fest überzeugt, daß er wirklich König von Neapel sei, daß er am Abend vor seiner Abreise von Neapel, als einige Italiener ihm bei einem Spaziergang mit seiner Frau durch die Straßen zuriefen: »Es lebe der König!« mit melancholischem Lächeln zu seiner Gattin sagte: »Die Unglücklichen, sie wissen nicht, daß ich sie morgen verlasse.«
Als er den russischen General erblickte, warf er feierlich, in königlicher Haltung den Kopf zurück und blickte fragend den französischen Oberst an. Dieser meldete seiner Majestät den Auftrag Balaschews, dessen Namen er nicht aussprechen konnte.
»De Bal-macheve! Sehr angenehm, Ihre Bekanntschaft zu machen, General!« sagte der König mit gnädiger Gebärde. Sogleich aber verließ ihn die königliche Würde und er verfiel in seinen gewohnten Ton.
»Nun, wie ist’s, General, es scheint, es kommt zum Kriege?« sagte er.
»Der Kaiser wünscht keinen Krieg, wie Eure Majestät sehen werden«, sagte Balaschew, der bei jeder Gelegenheit die Anrede »Eure Majestät« anwendete und durch alle Fälle deklinierte.
Das Gesicht Murats strahlte in einfältigem Vergnügen. Die königliche Würde legte Verpflichtungen auf, er empfand die Notwendigkeit, mit dem Gesandten Alexanders von politischen Angelegenheiten als König und Verbündeter zu sprechen. Endlich richtete er sich feierlich auf und sagte mit einer königlichen Handbewegung: »Ich halte Sie nicht länger zurück, General, und wünsche Ihnen allen Erfolg.« Dann ritt er mit wallenden Federn zu seiner Suite zurück, die ihn ehrerbietig erwartete. Balaschew erwartete nach den Worten Murats, sehr bald dem Kaiser vorgestellt zu werden, aber er wurde zunächst nur zum Marschall Davoust geführt.
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Davoust war der Araktschejew des Kaisers Napoleon. Araktschejew war kein Feigling, aber ebenso pünktlich und grausam und wußte seine Ergebenheit nicht anders