Balaschew traf Marschall Davoust in der Scheune eines Bauernhauses an, auf einem Fäßchen sitzend und mit schriftlichen Arbeiten beschäftigt. Ein Adjutant stand neben ihm. Davoust hätte ein besseres Unterkommen finden können, aber er war einer jener Menschen, welche absichtlich die düstere Umgebung aufsuchen, um das Recht zu haben, ein finsteres Wesen zu zeigen. »Wie kann ich an die glückliche Seite des Menschenlebens denken, wenn ich hier, wie Sie sehen, in einer schmutzigen Scheune auf einem Fäßchen sitze und arbeite«, sagte seine Miene. Er vertiefte sich noch mehr in seine Arbeit, und als er auf dem Gesicht Balaschews den unangenehmen Eindruck dieses Empfangs wahrnahm, erhob er den Kopf und fragte kühl, was er wünsche. Balaschew schrieb diesen Empfang dem Umstand zu, daß Davoust nicht wußte, daß er Generaladjutant des Kaisers Alexander und dessen Vertreter sei, und beeilte sich daher, Davoust seinen Stand und seine Bedeutung mitzuteilen. Wider Erwarten aber wurde Davoust noch finsterer und unhöflicher.
»Wo ist Ihr Brief?« sagte er. »Geben Sie her! Ich werde ihn dem Kaiser übersenden.«
Balaschew erwiderte, er habe Befehl, den Brief dem Kaiser selbst zu übergeben.
»Die Befehle Ihres Kaisers werden in Ihrer Armee ausgeführt«, erwiderte Davoust, »hier aber müssen Sie tun, was man Ihnen sagt.«
Balaschew zog den Brief aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch. Davoust ergriff ihn und las die Adresse.
»Es steht Ihnen frei, mir Achtung zu erweisen oder nicht«, sagte Balaschew, »aber erlauben Sie mir, zu bemerken, daß ich die Ehre habe, Generaladjutant Seiner Majestät zu sein!«
»Man wird Ihnen erweisen, was Ihnen zukommt«, sagte Davoust, sichtlich befriedigt über die Aufregung Balaschews. Er steckte den Brief in die Tasche und verließ die Scheune. Bald darauf trat ein Adjutant des Marschalls, Herr de Castrie, ein und führte Balaschew in ein für ihn bereitetes Quartier. Balaschew speiste an diesem Tage in der Scheune mit dem Marschall auf einer Tür, welche über zwei Fässer gelegt war. Am anderen Tag fuhr Davoust frühmorgens davon, nachdem er Balaschew zu sich berufen und ihm eindringlich gesagt hatte, er bitte ihn, hierzubleiben und mit der Bagage weiterzurücken, wenn er dazu Auftrag habe, aber mit niemand zu sprechen, außer mit Herrn de Castrie.
Nach viertägiger Einsamkeit und Langweile im Gefühl der Ohnmacht und Nichtigkeit, das besonders drückend war, nachdem er sich vor kurzem erst in der Sphäre der Macht befunden hatte, wurde Balaschew mit der Bagage nach Wilna geführt, das die Franzosen eingenommen hatten. Am anderen Tage teilte ihm ein Kammerherr mit, Napoleon wünsche ihn in Audienz zu empfangen. Vier Tage zuvor hatten vor dem Hause, in das Balaschew geführt wurde, Schildwachen vom Preobraschenskischen Regiment gestanden. Jetzt standen an derselben Stelle französische Grenadiere und eine glänzende Suite von Adjutanten und Generalen erwartete Napoleons Herauskommen. Sein Reitpferd stand vor der Vortreppe des Hauses bereit neben dem Mameluken Rustan. Napoleon empfing Balaschew in demselben Hause in Wilna, von dem aus Alexander ihn abgesandt hatte.
137
Obgleich Balaschew an den Luxus des Hoflebens gewöhnt war, setzte ihn doch der Glanz am Hofe Napoleons in Erstaunen. Der Adjutant, Graf Turenne, führte ihn in ein großes Empfangszimmer, wo viele Generale, Kammerherren und polnische Magnaten warteten, von denen Balaschew viele am Hofe des russischen Kaisers gesehen hatte. Nach kurzen Worten trat ein Kammerherr in das Empfangszimmer, verbeugte sich höflich vor Balaschew und lud ihn ein, ihm zu folgen. Balaschew trat in ein kleines Empfangszimmer, von dem eine Tür in das Kabinett führte, dasselbe, aus dem ihn Kaiser Alexander abgesandt hatte. Rasch öffneten sich beide Flügeltüren, alles verstummte, und aus dem Kabinett kam Napoleon mit raschen, entschiedenen Schritten, in blauer Uniform, mit weißer Weste und Reitstiefeln. Sein weißer, dicker Hals trat scharf hervor aus dem schwarzen Kragen der Uniform, er war mit kölnischem Wasser parfümiert. Auf seinem Gesicht mit dem scharf hervortretenden Kinn lag der Ausdruck kaiserlicher Majestät und Gnade. Er beantwortete die tiefe Verbeugung Balaschews mit einem Kopfnicken, trat auf ihn zu und begann sogleich zu sprechen, wie ein Mann, der jede Minute seiner Zeit zu schätzen weiß.
»Guten Tag, General«, sagte er. »Ich erhielt den Brief des Kaisers Alexander, den Sie brachten, und bin sehr erfreut, Sie zu sehen.« Er blickte mit seinen großen Augen Balaschew in das Gesicht, sah aber dann sogleich daran vorüber. Augenscheinlich interessierte ihn die Persönlichkeit Balaschews nicht, sondern nur das, was in seiner eigenen Seele vorging. Alles, was außer ihm selbst lag, hatte für ihn keine Bedeutung.
»Ich wünsche keinen Krieg«, sagte er, »aber man hat mich dazu genötigt. Auch jetzt bin ich bereit, alle Erklärungen entgegenzunehmen, die Sie mir geben können«, begann er klar und kurz. Nach dem gemessenen, ruhigen Ton, in dem Napoleon sprach, war Balaschew fest überzeugt, daß er den Frieden wünsche und in Verhandlungen eintreten wolle. Balaschew erwiderte, der Kaiser Alexander vermöge keinen genügenden Grund zum Kriege zu erkennen und habe auch mit England keinerlei Beziehungen.
»Für jetzt noch nicht«, bemerkte Napoleon, nickte aber wieder, zum Zeichen, daß Balaschew fortfahren möge. Nachdem Balaschew die Erklärungen abgegeben hatte, zu denen er beauftragt worden war, erinnerte er sich an die Worte: »bis kein bewaffneter Feind mehr auf russischem Boden stehe«, aber er vermochte diese Worte nicht in ihrer ganzen Schroffheit auszusprechen und sagte nur: »Unter der Bedingung, daß die französischen Truppen hinter den Niemen zurückgehen.«
Napoleon bemerkte Balaschews Verlegenheit bei diesen Worten. Sein Gesicht zuckte, er sprach immer lauter und hastiger, und Balaschew bemerkte unwillkürlich, wie Napoleons linke Wade zuckte.
»Ich wünsche den Frieden nicht weniger als Kaiser Alexander«, begann er, »aber was verlangt man von mir?«
»Die Zurückziehung Ihrer Truppen hinter den Niemen«, sagte Balaschew.
»Hinter den Niemen«, wiederholte Napoleon. »Vor zwei Monaten hat man verlangt, ich soll hinter die Oder, hinter die Weichsel zurückgehen! Ein solches Verlangen kann man an einen Herzog von Baden richten, aber nicht an mich!« schrie Napoleon. »Auch wenn Sie mir Petersburg und Moskau gäben, würde ich diese Bedingung nicht annehmen! Sie sagen, ich habe diesen Krieg angefangen? Wer ist früher zu der Armee gereist? Der Kaiser Alexander, nicht ich! Und welchen Zweck hat Ihr Bündnis mit England? Was hat es Ihnen gegeben?« Je länger er sprach, desto weniger war er imstande, seine Rede zu lenken, welche sichtlich nur den Zweck hatte, sich selbst zu erheben und Alexander, zu beleidigen, was er anfangs am wenigsten beabsichtigt hatte. Sobald er bemerkte, daß Balaschew etwas sagen wollte, unterbrach er ihn hastig. »Ich weiß, Sie haben Frieden mit den Türken geschlossen, ohne die Moldau und die Walachei zu erhalten. Ich hätte Ihrem Kaiser diese Provinzen gegeben, so wie ich ihm Finnland gegeben habe, jetzt aber wird er diese schönen Provinzen nie erhalten! Er hätte können Rußland von dem Bottnischen Meerbusen bis zur Mündung der Donau ausdehnen, was Katharina die Große nicht vermochte«, sagte Napoleon, immer hitziger werdend. »Das alles hätte er meiner Freundschaft zu verdanken.« Er zog die Tabaksdose aus der Tasche und nahm gierig eine Prise.
»Was er nur wünschen konnte, hätte Ihr Kaiser von meiner Freundschaft erhalten können«, sagte Napoleon, die Achsel zuckend, »aber er fand es besser, sich mit meinen Feinden zu umgeben. Er berief Stein zu sich, den Verräter, der aus seinem Vaterland verjagt wurde, Armfeldt, den verworfenen Intriganten, Wintzingerode, den flüchtigen Untertan Frankreichs, und Bennigsen, einen Soldaten, der ein wenig besser ist als die anderen, aber dennoch unfähig, der 1807 nichts zu tun verstanden hatte.«
Napoleon vermochte kaum der raschen Folge seiner Vorstellungen mit seinen Worten zu folgen, durch welche er sein Recht beweisen wollte oder seine Gewalt, was bei ihm ein und derselbe Begriff war.
»Barclay,