SURVIVAL INSTINCT. Kristal Stittle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kristal Stittle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958350250
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änderte. Der Mann konnte gerade noch schreien, bevor er umgeworfen wurde.

      Die grauenhafte Tat, die auf diesen Angriff folgte, ließ Jessica die Augen aufreißen. Sie stand wie angewurzelt mit verkrampften Muskeln da, als wäre sie ein Reh im Scheinwerferlicht, unfähig, sich zu bewegen, unfähig, irgendetwas zu unternehmen.

      »Wir müssen weg von hier.« Jack schüttelte entsetzt den Kopf. Der Mann am Boden hörte nicht auf, zu brüllen. »Jessica.«

      Jack nahm ihre Hand und zog, aber sie reagierte nicht.

      »Jessi!« Er packte sie an den Schultern und drehte sie um, damit sie ihn anschaute. Er musste sie heftig schütteln, damit sie sich wieder besann.

      »Tut mir leid«, flüsterte sie benommen. Sie wollte den Kopf wieder nach dem Geschrei umdrehen, doch Jack hielt ihr Kinn fest, um sie daran zu hindern.

      »Komm jetzt.« Er nahm sie fest an der Hand und zog sie die Straße entlang.

      Sobald Jessica von selbst Schritt hielt, verfielen sie in einen lockeren Lauf.

      »Was war das?«, fragte sie, nachdem sich der Nebel um ihre Gedanken verzogen hatte.

      »Keine Ahnung.« Jack hatte aufgehört, sich misstrauisch umzusehen. Er blickte nur noch geradeaus und wollte tunlichst vermeiden, noch einmal etwas wie vorhin zu erleben.

      »Hast du seinen Kopf gesehen?« Jessica konnte nicht glauben, dass jemand mit einer solchen Wunde noch lebte. Der Knochen war so weiß gewesen …

      Jack nickte nur einmal zur Antwort.

      »Wie weit noch?« Sie wollte unter ein Dach kommen, hinter sichere Wände, sich vielleicht eine Zeitlang in einem behaglichen, kleinen Kämmerlein unter breiten, bauschigen Decken einigeln – bei eingeschaltetem Licht natürlich.

      »Noch ein Block.« Jacks Stimme hatte einen emotionslosen Tonfall angenommen. Jessica konnte nur spekulieren, was in ihm vor sich ging, vermutete aber, es hänge mit Andrew zusammen.

      Während sie das letzte Wegstück zurücklegten, ertappte sich Jessica dabei, wie sie wieder an Cillian dachte. Trotz allem, was zwischen ihnen vorgefallen war, hoffte sie, dass es ihm gut ging.

      Als sie zu dem Wohngebäude kamen, in dem Jack lebte, trat er zuerst ein. Normalerweise gehörte er zu den Männern, die einer Lady die Tür aufhielten, heute jedoch nicht. Er überzeugte sich davon, dass die Luft rein war, bevor er Jessica hereinließ. Sie eilten zu den Fahrstühlen.

      »Hey, wo ist euer Pförtner?« Jessica bemerkte, dass der Mann fehlte, der praktisch zum Inventar des Hauses gezählt hatte.

      »Weiß nicht.« Jack drückte immer wieder auf die Ruftaste und verfolgte, wie die Ziffern über der Aufzugtür absteigend aufleuchteten.

      Während er sich auf den Fahrstuhl versteifte, behielt Jessica den Eingang im Auge. Ihr war nicht nur aufgefallen, dass sich der Pförtner nicht blicken ließ, sondern auch, dass Jack keinen Schlüssel gebraucht hatte, um hereinzukommen. Sie versuchte, sich daran zu erinnern, ob die Tür üblicherweise elektronisch verriegelt wurde oder der Pförtner nur dazu diente, um Unbefugte fernzuhalten. Sie hoffte letzteres, denn ersteres bedeutete, dass das Schloss geknackt worden war, und aufgebrochene Türen waren in keinem Fall ein gutes Zeichen.

      Endlich kam der Fahrstuhl unten an, und die Tür ging mit einem sanften Zischen auf. Jack wäre fast eingetreten, taumelte aber erschrocken zur Seite. Jessica schaute an ihm vorbei in die Kabine: Die Spiegelwände waren rot bespritzt.

      Schließlich stöhnte Jack sichtlich erleichtert auf und machte einen gelassenen Schritt hinein.

      »Was tust du?« Jessica ekelte sich.

      »Das ist Sprühfarbe.« Jack betastete sie, wobei ein wenig an seinen Fingern klebenblieb. Sie war noch feucht.

      Nun da er darauf hingewiesen hatte, erkannte auch Jessica, dass das Rot viel zu hell für Blut war, und betrat den Aufzug ebenfalls. Auch dass es stark nach Farbe roch, beruhigte sie. Dennoch hielt sie sich eine Hand aufs Herz, als wolle sie verhindern, dass es aus ihrer Brust sprang. Ihre Pumpe bekam heute ein ausladendes Belastungstraining.

      »Neulich fühlte sich irgendein Jungspund im 14. Stock zum Künstler berufen«, erläuterte Jack, als er auf die 20 drückte – die Etage, in der er wohnte. Die Tür ging zu, und der Fahrstuhl begann seinen Anstieg mit einem leichten Ruck. »Er besprüht Flure, die Sportgeräte in der Turnhalle und sogar die Kacheln rings um den Pool. Leider hat ihn noch niemand auf frischer Tat ertappt, also haben wir nichts gegen ihn in der Hand.«

      »Werden die Räume, die für alle Bewohner zugänglich sind, nicht per Kamera überwacht?« Jessica hielt dies an einem so beschaulichen Ort wie diesem für selbstverständlich.

      »Er trägt eine Maske und kleckst auch die Kameras zu«, sagte Jack und zeigte in eine der oberen Ecken der Kabine, wo etwas hervorragte, das vollständig mit roter Farbe bedeckt war. »Ich fände das gar nicht so schlimm, wenn er mal etwas Schönes hinterlassen würde und nicht nur diese krakeligen Linien.«

      Endlich lächelte Jack wieder. Jessica schätzte, er fühlte sich besser, da er jetzt zu Hause war und über alltägliche Querelen nachdenken konnte. Auch sie schmunzelte leicht. Im 20. Stock kam der Aufzug zum Halten. Einmal mehr öffnete sich die Tür, und die beiden traten hinaus. Sie gingen zügig über den Flur zu Apartment 2004. Dass Jack zuerst anklopfte, verwunderte Jessica.

      »Andrew? Bin wieder da.« Er horchte mit einem Ohr an der Tür. »Jessica ist bei mir, also zieh dir was an, falls du nackt bist.«

      Jessica musste wieder grinsen. »Was? Er hockt ohne Kleider da, wenn er krank ist?«

      »Manchmal.« Jack zog die Mundwinkel ebenfalls hoch und seinen Schlüssel aus der Tasche. Nachdem er aufgesperrt hatte, hielt er Jessica tatsächlich die Tür auf. Daheim zu sein, vermittelte ihm zweifellos ein angenehmes Gefühl, vielleicht sogar einen Hauch Normalität.

      »Hey, Andrew«, rief Jessica in die gemütliche Wohnung. »Ich hab gehört, dir geht's nicht gut.«

      Sie zog ihre gestohlenen Sneakers aus und stellte sie auf eine Gummimatte neben der Tür. Jack tat das gleiche mit seinen. Alle Schuhe, die Andrew und er besaßen, standen sorgfältig aufgestellt darauf.

      »Deine Laptoptasche kannst du auch hierlassen, wenn du möchtest«, bot er Jessica an.

      »Danke.« Jessica hatte fast vergessen hatte, dass sie die Tasche trug. Sie stellte sie ab und folgte Jack in die kompakte Küche.

      Obwohl dort kein natürliches Licht einfiel, war es dank Andrews Geschmack und Jacks eigensinnigem Verstand, egal worum es ging, ein heller, heiterer Raum. Wenn Jessica zu Besuch kam, hielt sie sich hier am liebsten auf. Sie saß gern auf einem der Hocker an dem kleinen Tresen, lieber sogar als auf der gemütlichen Couch im Wohnzimmer.

      »Andrew? Ich koche Suppe!«, rief Jack, während er in einem Schrank kramte. »Willst du auch welche, Jessica?«

      »Äh …« Jessica ließ den Tag Revue passieren und merkte, wie hungrig sie war, ja geradezu ausgehungert, zweifelte aber daran, irgendetwas zu sich nehmen zu können. Ihre Gedanken kehrten zu dem bedauernswerten Mann auf der Straße zurück …

      »Ich mach dir einfach welche«, entschied Jack, »und du wirst sie essen.«

      Jessica ließ ihm seinen Willen und lächelte. »Was ist mit Andrew?« Um sich abzulenken, streckte sie den Kopf aus der anheimelnden Nische und schaute über den Flur.

      »Seine Nase ist wahrscheinlich komplett dicht, und er will nicht, dass du ihn so hörst.« Jack nahm einen Topf zur Hand und füllte ihn mit Wasser. »Wie gesagt, er zeigt ungern Schwäche.«

      »Ist es so schlimm, ja?« Jessica erwog, Jack anzubieten, ihm beim Kochen der Suppe zu helfen oder Brote zu schmieren, erinnerte sich aber daran, dass er so etwas einem Gast niemals zugemutet hätte.

      »Ja.« Er setzte sich auf einen Hocker neben ihr.

      »Ich finde trotzdem, du solltest nach ihm sehen.« Jessica mochte es nicht, dass Andrew bislang keinen Ton